| # taz.de -- Afrikanische Medienkünstler in Karlsruhe: Die offenen Adern Afrikas | |
| > Die Karlsruher Ausstellung räumt mit dem Klischeebild von Afrika als | |
| > „informationstechnologisch dunkler Kontinent“ auf. | |
| Bild: François Knoetze thematisiert mit „Core Dump“ die Wiedergewinnung ed… | |
| Die Ausstellung [1][„Digital Imaginaries – Africas in Production“ im | |
| Medienkunstmuseum ZKM Karlsruhe] entdeckt den afrikanischen Kontinent als | |
| IT-Hub. Inzwischen weltweit erfolgreiche Apps wie M-Pesa oder Ushahido, | |
| die ursprünglich in Afrika entwickelt wurden, werden vorgestellt. | |
| Afrikanische Medienkünstler mit mal dystopischen, mal auch ironischen | |
| Werken sind eingeladen. Vor allem verabschiedet man sich mit der | |
| Ausstellung fulminant vom Klischeebild Afrikas als | |
| „informationstechnologisch dunklem Kontinent“. | |
| Zentrales Thema sind aber auch die neokolonialen Ausbeutungsverhältnisse in | |
| der globalen IT-Ökonomie, unter denen Afrikas Bevölkerung extrem leidet. | |
| Den Beginn des Verwertungskreislaufes machen die Arbeitsbedingungen beim | |
| Schürfen seltener Metalle wie [2][Coltan, das für Kondensatoren | |
| unabdinglich ist, dem Kongo aber einen Jahrzehnte langen Rohstoffkrieg | |
| bescherte]. | |
| Das Ende des Zyklus stellen die Halden aus Elektroschrott dar, auf denen – | |
| vor allem am Rande der Städte Nigerias – Kinder und Jugendliche die | |
| Plastikisolierungen abfackeln, um an die seltenen Metalle zu gelangen. | |
| Diesen Aspekt verarbeitet der südafrikanische Künstler François Knoetze | |
| spektakulär in seiner Installation „Core Dump“. Lose Kabelenden hängen von | |
| der Decke herunter. Sie weisen von oben auf eine Pyramide aus | |
| ausgeschlachteten Computern, Smartphones und 3-D-Druckern. In diese | |
| Skulptur sind Monitore integriert, die frühere Videoarbeiten und Interviews | |
| Knoetzes zeigen. Auf den Leinwänden rechts und links der Schrottskulptur | |
| läuft ein Episodenfilm, den Knoetze in Kapstadt und Karlsruhe drehte. | |
| Die afrikanischen Protagonisten werden dabei zu Mutanten, genetisch | |
| verändert durch die Strahlung der Geräte. Zugleich sind sie selbst | |
| Rohstoffträger. In einem Ritual werden einem von ihnen die Hände abgehackt: | |
| Anstelle von Blut fallen Coltan-Brocken aus den Armstümpfen. Die Szene ist | |
| eine geradezu geniale Übertragung von Eduardo Galeanos Klassiker „Die | |
| offenen Adern Lateinamerikas“ auf den afrikanischen Kontinent. | |
| ## Digitale Dreiklassengesellschaft | |
| Eher ambivalent, zwischen Dystopie und Utopie schwankend, ist der | |
| Animationsfilm „Mad Horse City“. Der Künstler und Architekt Olalekan | |
| Jeyifous und der Schriftsteller und Verleger Wale Lawal präsentieren hier | |
| eine digitale Dreiklassengesellschaft, in der es für Bessergestellte als | |
| attraktiv gilt, offline zu sein, während einfache Fischer ihr Leben | |
| riskieren, wenn sie der Meeresüberwachung zu entkommen versuchen. Jeyifous | |
| entwirft dabei das Lagos des Jahres 2115 als eine vibrierende Mega-City, in | |
| der Informationsströme und organische Formen miteinander verschmelzen. | |
| Ganz pragmatisch der Jetztzeit zugewandt ist das Projekt Agbogbloshie | |
| Makerspace Platform (AMP). Kernelement ist eine | |
| IT-Infrastruktur-Arbeitsplattform von circa 3 x 3 Meter Grundfläche und | |
| einem darauf befindlichen Gehäuse mit Hängevorrichtungen. Es wurde in Ghana | |
| hergestellt und dient Arbeitern auf den Elektroschrotthalden dazu, ihre | |
| Kenntnisse beim Bergen, aber auch Reparieren von Bauteilen sowie dem | |
| Neuzusammenfügen von Geräten auszutauschen und zu verfeinern. | |
| AMP verdammt nicht die Ausbeutungspraktiken auf den Müllhalden, sondern | |
| will Wissen generieren. Prototypen der Plattform waren auch beim Afropixel | |
| Festival in Dakar, einer Partnerorganisation des ZKM im Rahmen der | |
| Ausstellung, im Einsatz. Das Exemplar in Karlsruhe soll demnächst mit einem | |
| Gerät zur Messung der Luftqualität versehen werden und dabei Daten mit | |
| anderen Standorten austauschen. | |
| Des Weiteren werden zahlreiche Apps aus Afrika vorgestellt: Cardiopad, | |
| entwickelt von einem Ingenieur aus Kamerun, misst den Herzschlag und sendet | |
| die Daten zu einem Herzspezialisten. In einem Land, das zum Zeitpunkt der | |
| Entwicklung der App lediglich 50 Kardiologen bei einer Gesamtbevölkerung | |
| von 20 Millionen Menschen hatte, ein potenziell Leben rettendes Instrument. | |
| Die App wird mittlerweile auch in Indien und Nepal vertrieben. | |
| M-Pesa, bereits 2007 in Kenia entwickelt, erlaubt Zahlungsverkehr über | |
| Mobiltelefone und ersetzt damit den – zumindest seinerzeit in ländlichen | |
| Regionen schwach ausgebildeten – Bankensektor. Die ebenfalls in Kenia | |
| entwickelte Ushahidi-Plattform verknüpft geografische Daten mit | |
| Informationen über Politik und Wirtschaft. Sie kam erfolgreich bei der | |
| Wahlbeobachtung und Aufdeckung von Wahlbetrug zum Einsatz, aber auch bei | |
| den Rettungs- und Bergungsaktivitäten unmittelbar nach den schweren | |
| Erdbeben in Haiti 2010 und Nepal 2015 sowie zur Abklärung der Umweltschäden | |
| anlässlich der [3][Havarie der Bohrplattform Deepwater Horizon] vor der | |
| US-Küste. | |
| Projekte wie diese zeichnen ein anderes Bild von Afrika, jenseits der | |
| Klischees vom abgehängten und verwüsteten Kontinent. Dass die klassischen | |
| Ausbeutungs- und Abhängigkeitsverhältnisse durch ein paar erfolgreiche Apps | |
| nicht grundlegend geändert werden, ist allerdings auch klar. In die | |
| Ausstellung ist auch eine Arbeit integriert, die die Entdeckung des digital | |
| erfolgreichen Afrikas durch die Kunstkuratoren aus dem globalen Norden | |
| ironisch betrachtet. | |
| Die Künstlergruppe The Nest Collective kreiert in dem Kurzfilm „This One | |
| Went to the Market“ eine afrofuturistische Performance-Ikone, ausgestattet | |
| mit Kabeln, VR-Brille und Attrappen von Empfangsgeräten. Die vermeintliche | |
| Cyber-Body-Art-Pionierin schwärzt zudem noch ihr Gesicht, um allen | |
| Anforderungen des globalen Kunstmarkts zu genügen. | |
| 5 Dec 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://zkm.de/de/ausstellung/2018/11/digital-imaginaries-africas-in-produc… | |
| [2] /Coltanabbau-im-Kongo/!5547168 | |
| [3] /Umweltkatastrophe-im-Golf-von-Mexiko/!5143567 | |
| ## AUTOREN | |
| Tom Mustroph | |
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