# taz.de -- Kolumne Ich meld mich: cool crass crypto: c | |
> Um Touristen werben ist ein Kinderspiel. Sie wieder loswerden ist | |
> hingegen alles andere als einfach. Das nennt man dann | |
> Vergrämungsstrategie. | |
Bild: Das war einmal: den Weihnachtsmarkt hat die Stadt selbstverständlich gan… | |
„Es schmerzt schon sehr“, sagt Frau R. und nippt an ihrem Ingwertee. Die | |
45-Jährige war zwanzig Jahre lang Tourismus-Chefin einer mittelgroßen Stadt | |
in Süddeutschland. Vor 15 Monaten erhielt sie ein neues Aufgabengebiet: Sie | |
ist heute die inoffizielle Tourismus-Vergrämerin von K., die Erste in ganz | |
Deutschland. | |
„Vor zwei Jahren hatten wir die 2-Millionen-Besucher-Grenze geknackt. Aber | |
die Kollateralfolgen waren suboptimal.“ Fast 50 Prozent aller | |
EinwohnerInnen zogen in Keller und Schrebergärten und überließen ihre | |
Wohnungen Airbnb-Mietern. Kellner und Köche übernachteten zwischen ihren | |
üblichen Doppelschichten in Zelten im Stadtpark. Die Stimmung kippte. | |
Plötzlich zogen Kiezmilizen durch Kneipen und bewarfen Touristen mit | |
Dinkelmehlknödeln, dem kulinarischen Schmankerl der Stadt. | |
„Das muss ein Ende haben“, befand nunmehr sogar die Industrie- und | |
Handelskammer. „Tun Sie was, Frau R. Die Stadt als Exporteur hochwertiger | |
Abwasserpumpenringe hat einen guten Ruf zu verlieren.“ Etwas naiv, wie sie | |
heute zugibt, setzte Frau R. zunächst auf Naheliegendes. Sie empfahl den | |
Gastronomen, Preise anzuheben, Personal einzusparen. Doch dies hatte den | |
gegenteiligen Effekt. 9,75 Euro für eine Tasse Kaffee und einen | |
Streuselkuchen vom Vortag – die Touristen waren hingerissen. „Gruselige | |
Preise, miserables Junkfood, pampiger Service – ein Abstecher nach K. | |
ersetzt Venedig, Miami und Berlin“, jubelte ein Däne auf Expedia. „It’s a | |
must, must, must!“ | |
Notgedrungen intensivierte Frau R. ihre Vergrämungsstrategie. An einem | |
frühen Samstagnachmittag ließ sie das Besucherleitsystem in Schloss C., dem | |
Wahrzeichen der Stadt, gezielt zusammenbrechen. Doch die Touristen trollten | |
sich nicht, sie stürmten im Gegenteil die Drehkreuze und trafen sich | |
anschließend unter dem Motto „cool, crass, crypto: c“ zu einem Flashmob vor | |
dem Infocenter – der nun jeden Samstag neue Massen anzieht. | |
„Jetzt gehen wir subtiler vor“, sagt Frau R. Über die Website der Stadt | |
verbreitet ihr Team alte Fotos vom menschenleeren Marktplatz, in die es | |
pensionierte Musiklehrerinnen in Funktionswesten montiert hat.“ Auch auf | |
die bewährten Influencer sei Verlass – alles nur eine Frage des Preises. | |
„Unsere Instagramer lassen wir Mülltonnen und Verkehrsampeln fotografieren. | |
Und unseren BloggerInnen diktieren wir: Nachtleben gähn, statt knackiger | |
Trachtenbräute nur straighte Feministinnen – keep out, out, out.“ | |
Erste Erfolge deuten sich an. K. taucht dieses Jahr nicht mehr auf der | |
Must-see-Liste von Lonely Planet auf. „Aber glauben Sie mir,“ sagt Frau R. | |
beschwörend: „Touristen ranzuholen ist ein Klacks. Touristen loszuwerden – | |
das ist die wahre Härteprobe.“ | |
1 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Franz Lerchenmüller | |
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