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# taz.de -- Kolumne Lügenleser: Alte Herren mit Splittern im Kopf
> Früher galten Kriegstraumata als Entschuldigung für sonderbare Männer.
> Bei Merz und Trump scheint jedoch einfach die Zeit stehengeblieben zu
> sein.
Bild: Eine Uhr hat Merz zwar – doch die scheint wohl rückwärts zu laufen
Es gab mal eine Phase, da wurde das zweifelhafte Verhalten vieler älterer
Herren mit Granatsplittern im Kopf oder Kriegstraumata erklärt. Meine
Schwiegermutter etwa hatte einen Onkel Rudi. Der legte, neben seiner
Alkoholsucht, ab und zu ein sonderbares Verhalten an den Tag, gebärdete
sich cholerisch und redete wirres Zeug. Vor allem aber fehlte ihm jegliches
Zeitgefühl. Dem damals 5-jährigen Mädchen wurde erklärt, der Onkel habe nun
mal diesen Spleiß da oben drin und wenn der sich bewegt, dann wird er eben
merkwürdig. Es sei jedoch nicht seine Schuld.
Außerdem, und das schockierte meine Schwiegermutter viel mehr, könne er
aufgrund des vom Russen als Andenken hinterlassenen Metallteils im Schädel,
jede Sekunde tot umfallen. Zackbumm! Das Mädchen verbrachte seitdem viele
Feiern damit, den Onkel ununterbrochen anzustarren, um bloß den Moment
nicht zu verpassen, in dem er das Zeitliche segnet. Während der Epoche der
Kriegsversehrten gab es offenbar jeden Menge „Onkel Rudis“ in deutschen
Familien. Ich kann dazu nichts sagen, meine Ur-Großeltern waren damit
beschäftigt, mit ihren Nachfahren nicht über die Erlebnisse als KZ-Insassen
zu sprechen.
Heutzutage sind die meisten Onkel mit den Splittern im Kopf verstorben.
Sollte man meinen. Wenn man jedoch die illustre Schar der derzeit auf dem
politischen Parkett agierenden Herren genauer betrachtet, scheinen viele
von ihnen ebenfalls das Gefühl für Raum und Zeit verloren zu haben. Einige
wirken gar wie Untote, die man aus ihrem konservativen Massengrab hervorzog
und als tanzende Zombies dem zahlenden, nach Besserung lechzenden Publikum
vorführt. Prominente Beispiele wären die Dackelkrawatte von der AfD oder
[1][Friedrich Merz], dem offenbar im Jahr 2000 die innere Uhr abhanden
gekommen ist.
Gauland hat seine Kuckucksuhr bekannterweise wesentlich früher irgendwo
zwischen Maas und Memel verloren. Zwar konnte Merz sich seitdem theoretisch
[2][die ein oder andere Rolex leisten], aber die Entwicklungen der letzten
15 Jahre sind für ihn offenbar nur eine kurzweilige Verwirrung. Das lässt
sich alles wieder gerade biegen, man muss nur den Zeiger etwas rückwärts
drehen. Und schon bald haben wir wieder die wunderbaren 50er, als Mutter zu
Hause am Backofen stand und die alten Männer wirres Zeug reden durften. Und
dann wird alles gut!
Ein Trugschluss. Weder Merz, noch Gauland, kein Trump, [3][Kurz und kein
Orbán] werden das Rad der Zeit zurückdrehen. Sie können sich vielleicht bei
den Familienfesten am Kopf der festlich gedeckten Tafel daneben benehmen
und rumschreien, kurzfristig für Unbehagen sorgen und auf den Tisch hauen.
Und währenddessen, starren wir sie alle an. Stunde um Stunde, Tag für Tag.
Man möchte ihnen zurufen, dass sie sich doch endlich den Splitter raus
operieren lassen sollen. Viele von uns sind da gern behilflich. Ansonsten
bleibt uns immer noch die zweite Variante: abzuwarten bis sie demnächst
einfach umfallen.
27 Nov 2018
## LINKS
[1] /Frueherer-Obdachloser-zu-Friedrich-Merz/!5552775
[2] /Kommentar-Cheblis-Rolex-und-SPD-Politik/!5541023
[3] /AfD-Parteitag-in-Magdeburg/!5551579
## AUTOREN
Juri Sternburg
## TAGS
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Hans-Georg Maaßen
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