| # taz.de -- „Haus der Geschichte“ in Wien: Deutschnationale zu wenig gewür… | |
| > Von der Ausrufung der Republik über Austrofaschismus und NS bis zu | |
| > Conchita Wurst: In Wien eröffnete das „Haus der Geschichte“ in der | |
| > Hofburg. | |
| Bild: Engelbert Dollfuß im Kreise seiner Liebsten | |
| „Republik u. Anschluss an Deutschland“, notierte [1][Sigmund Freud] am 12. | |
| November 1918. Der Jahreskalender des berühmten Seelendoktors, eine | |
| Leihgabe der Library of Congress in Washington, gehört zu den liebsten | |
| Exponaten von Monika Sommer. Die 44-Jährige ist Direktorin des neuen Hauses | |
| der Geschichte, das am 10. November in Wien in der Hofburg mit einer | |
| Ausstellung eröffnete. | |
| 100 Jahre österreichischer Zeitgeschichte werden da auf 750 Quadratmetern | |
| Ausstellungsfläche zusammengepfercht: von Filmaufnahmen, die die Ausrufung | |
| der Republik vor dem Parlament zeigen, bis zum Glitzerkleid, in dem | |
| [2][Conchita Wurst] 2015 den Eurovision Song Contest gewann. Ausgestellt | |
| wird auch das Liederbuch einer Burschenschaft mit NS-Texten aus der | |
| Gegenwart. Es hatte Anfang des Jahres zum vorübergehenden Rücktritt des | |
| FPÖ-Spitzenkandidaten in Niederösterreich Udo Landbauer geführt. | |
| „Aufbruch ins Ungewisse“ heißt die Ausstellung, mit der das Haus der | |
| Geschichte seinen Betrieb aufnimmt. Ungewiss war die Zukunft der Ersten | |
| Republik, nach Ende des Ersten Weltkriegs und Zusammenbruch der Habsburger | |
| Monarchie 1918. Anders als Freud und viele andere dachten, wurde das | |
| Restterritorium nicht mit Deutschland vereinigt. Das Überbleibsel des | |
| habsburgischen Vielvölkerreichs musste eine neue Identität finden. | |
| Anfangs waren auch die Grenzen der Republik nicht fest abgesteckt. Der | |
| Friedensvertrag von St. Germain 1919 brachte schließlich den Verlust von | |
| Südtirol, eine Volksabstimmung 1921 führte zur Eingliederung von Teilen des | |
| deutschsprachigen Westungarn als Burgenland. | |
| Dass die junge Republik aber nicht nur von Mangel, Hyperinflation, Krisen | |
| und Militarisierung der Parteipolitik geprägt war, zeigen Erinnerungen an | |
| das „Rote Wien“. Große Sozialbauten und eine progressive Arbeiterkultur | |
| entstanden. Und Juristen wie Hans Kelsen arbeiteten 1920 eine Verfassung | |
| aus, die in der Substanz noch heute gültig ist. | |
| ## „Hitlers erstes Opfer“ | |
| 1933 schaltete der christlich-soziale Kanzler Engelbert Dollfuß das | |
| Parlament aus. Er errichtete eine Diktatur, die 1938 in die NS-Herrschaft | |
| münden sollte. Die Sozialdemokraten sprechen vom Austrofaschismus. Die | |
| Österreichische Volkspartei (ÖVP) zieht bis heute den Terminus | |
| „Ständestaat“ vor, in ihrer Parteizentrale hing gerade noch ein Porträt d… | |
| Autokraten Dollfuß, der 1934 bei einem Putschversuch der | |
| Nationalsozialisten umkam und den Konservativen seither als Märtyrer ging. | |
| Die Besucher*innen der Ausstellung sind eingeladen, sich mit der | |
| „Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur“ auseinanderzusetzen. Sie können sich auf | |
| fünf möglichen Varianten beziehen – von der „Kanzler-“ bis zur | |
| „Ständestaat-Diktatur“. Die Phase, in der zunächst Sozialisten, später a… | |
| alle andere Minderheiten verfolgt wurden, wird als Übergang in die | |
| NS-Herrschaft präsentiert. Ein Volksschüler preist in krakeliger Schrift | |
| den Anschluss durch Adolf Hitler: „Er schickte sofort zum Schutze der | |
| nationalen Bevölkerung die Wehrmacht.“ Schautafeln erinnern an ermordete | |
| Widerstandskämpfer und dokumentieren die Namen österreichischer | |
| Kriegsverbrecher. | |
| Anders als etwa die Bundesrepublik konnte sich Österreich nach 1945 um die | |
| Aufarbeitung der eigenen Täterschaft lange drücken. In der Ausstellung am | |
| Objekt deutlich zu studieren: Aus dem Entwurf des Staatsvertrages von 1955 | |
| wurde der Passus über Österreichs Mitschuld an Kriegs- und NS-Verbrechen | |
| gestrichen. Man stilisierte sich als „Hitlers erstes Opfer“. | |
| ## 1986, eine Zeitenwende in Österreich | |
| Erst als sich der ehemalige Wehrmachtoffizier Kurt Waldheim 1986 um die | |
| Präsidentschaft bewarb, setzte eine größere kritische Debatte ein. Im Haus | |
| der Geschichte findet sich so auch das von den Künstlern Alfred Hrdlička, | |
| Peter Turrini und Manfred Deix kreierte hölzernen „Waldheim-Pferd“. Es ist | |
| das größte der 1.905 Exponate. Und auch die von Waldheim lange erfolgreich | |
| unterschlagene Wehrstammkarte, die seine SA-Mitgliedschaft ab 1938 | |
| dokumentiert, ist zu sehen. Das auf Demonstrationen einst häufig | |
| mitgeführte Holzpferd war übrigens eine Anspielung auf das Bonmot des | |
| früheren Bundeskanzlers Fred Sinowatz. Der hatte gesagt, er nehme zur | |
| Kenntnis, dass offenbar nicht Waldheim der SA angehört habe, sondern nur | |
| sein Pferd. | |
| 1986, das Geburtsjahr von [3][Bundeskanzler Sebastian Kurz], markiert eine | |
| Zeitenwende in Österreich. Doch für heutige Jugendliche scheint dies | |
| genauso weit entfernt wie Monarchie und Austrofaschismus. Eine Umfrage | |
| ergab schon vor zehn Jahren, dass nur noch knapp 40 Prozent der | |
| Jugendlichen den Namen Dollfuß ungefähr einordnen konnten. | |
| Heute wären es sicher noch weniger, sagt der Zeithistoriker Oliver | |
| Rathkolb, Vorsitzender des international zusammengesetzten | |
| wissenschaftlichen Beirats des Hauses der Geschichte. Die | |
| rechtspopulistische FPÖ, die in Planung und Gestaltung nicht eingebunden | |
| war, beklagt, dass der Beitrag des „dritten Lagers“, also der | |
| Deutschnationalen, zu wenig gewürdigt werde. | |
| Das Haus der Geschichte ist nun in der Neuen Burg untergebracht, einem Teil | |
| der kaiserlichen Hofburg, die auch die Nationalbibliothek und das | |
| Ephesos-Museum beherbergt. Der Standort war in der mehr als 20-jährigen | |
| Vorgeschichte des Museums ebenso umstritten wie die Ausrichtung. Die beiden | |
| ehemaligen Großparteien ÖVP und SPÖ haben immer wieder neue Konzepte | |
| geboren. Erst eine Novelle des Bundesmuseengesetzes 2015, das Haus der | |
| Geschichte als Diskussionsforum definiert und dem Zugriff der Politik | |
| entzieht, hat die Einsetzung einer unabhängigen Leitung ermöglicht. Derzeit | |
| untersteht sie der Nationalbibliothek. Doch Kulturminister Gernot Blümel | |
| (ÖVP) denkt laut darüber nach, es in die Verantwortung des Parlaments zu | |
| holen. Direktorin Sommer wäre damit einverstanden, solange an | |
| Unabhängigkeit und Budget nicht gerüttelt wird. | |
| 11 Nov 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ralf Leonhard | |
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