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# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Jenseits von Knallgrün
> Können die Grünen damit umgehen, dass ihre neuen Wähler in der Mehrheit
> sind? Und auch damit, dass die fetten Jahre wohl vorbei sind?
Bild: Ganz bei sich: Die Grünen auf dem Parteitag in Leipzig
Wenn ich beim Grünen-Parteitag war, sitze ich hinterher deprimiert im ICE.
Dann sage ich zu mir: Ja, denkst du ernsthaft, dass diese Leute in unserer
komplizierten globalen Lage irgendwas reißen?
Zur existenziellen Frage der Zukunft unserer EU [1][gibt es beim
„Europa-Parteitag“] kaum etwas, dafür Emo-Storys von der Oma oder den
Kreidezähnen der Kinder aus der Rhetorik-Klippschule. Aber null über
Manfred Weber oder Emmanuel Macron, als wolle man die Leute nicht mit
Politik behelligen und der Frage, mit welchen Allianzen man die permanent
beschworenen Bedrohungen parlamentarisch bannen kann.
Aber meine Frau nennt mich nicht umsonst den „Pastor“, weil ich angeblich
selbst in den schlimmsten Fällen (Lindner) das Gute zu suchen bereit sei.
So eine Weltsicht gilt in unseren Kreisen als moralischer und ästhetischer
Abstieg.
Beziehungsweise eben nicht mehr. Wie in dem Fantasyroman „Die Nebel von
Avalon“ ist man beim Grünen-Parteitag an einem Ort abwechselnd in zwei
Welten. Die alte Welt ist immer noch die Utopie vom wunderbaren Patchwork
der Freundinnen-und-Freunde-Minderheiten, das gegen das Feindbild einer
deutschen Gartenzwerggesellschaft durchgesetzt wird.
Die neue geht von der Frage aus: Wie könnte reale Zukunftspolitik für
heterogene Mehrheiten gehen, die ihr Eintreten für eine liberale
europäische Gesellschaft eint? Es ist nicht zu ignorieren, dass der Beifall
bei Emotionsbewirtschaftung anschwillt, während er bei der Thematisierung
einer europäischen Armee eher verhalten ausfällt.
Aber der Ton ist nachdenklicher geworden und die Energie wird nicht mehr
verschleudert in symbolischen internen Kämpfen um Aufmerksamkeitskapital,
die mit Verlusten für die Gesamtpartei enden. Eine Hauptursache dafür
könnte in der neu aufgestellten Bundesgeschäftsstelle zu finden sein, aber
das ist erst mal eine Vermutung.
Es ist evident, dass die neuen Grünen-Wähler die neuen Grünen wählen, also
den derzeitigen Eindruck eines vernünftigen, europäischen, liberalen
Stabilitätsfaktors im Zentrum der Gesellschaft. Andersherum: Wenn jemand
seinen Wahlkampf 2019 noch als „knallgrün“ ankündigt, ist klar, dass er
verloren geht.
## Großes Thema Wirtschaft
Die entscheidende Frage ist also: Kann die Partei, anders als 2011,
mittelfristig damit umgehen, dass die neuen Wähler in der Mehrheit sind
oder es sein werden? Und kann sie neben dem neuen kulturellen ein neues
politisches Angebot machen, das in den Kompromissen einer
Regierungsverantwortung „wirkt“, wie man ja gern behauptet? Und zwar in
verschiedenen Konstellationen, da es die alten „Lager“ nicht mehr gibt.
Es ist gut möglich, dass das nächste große Medienthema „Wirtschaft“ sein
wird. Es wird von oben gespielt werden und der Tenor wird sein: Die fetten
Jahre sind vorbei. Das ist für linken Sozialdemokratismus kein Problem,
denn der wird sagen, was er immer sagt: dass es für zu viele niemals fette
Jahre gab. Stimmt ja auch.
Aber für eine Partei, die mithilfe einer weltbürgerlich sein wollenden und
okay verdienenden bürgerlichen Mitte Verantwortung übernehmen will, ist
Sozialpolitik nicht genug. Da braucht es Wirtschaftspolitik.
Sonst setzt sich der Eindruck durch, dass Friedrich Merz „etwas“ von
Wirtschaft versteht – und mehr als Annalena Baerbock und Robert Habeck.
Wenn es nicht mehr um ästhetische Haltungen geht, sondern um die
Erwirtschaftung der Kohle, den Angriff der Chinesen und der künstlichen
Intelligenz auf deutsche Wertschöpfungsketten, dann reicht es nicht mehr,
„Green New Deal“ zu rufen. Dann muss was kommen.
18 Nov 2018
## LINKS
[1] /Gruenen-Parteitag-in-Leipzig/!5549568
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
Robert Habeck
Kolumne Die eine Frage
Bündnis 90/Die Grünen
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