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# taz.de -- Zentralafrika-Milizenchef in Haft: Der Rambo von Bangui
> Erstmals überstellt die Zentralafrikanische Republik einen Milizenchef an
> Den Haag. Alfred „Rambo“ Yekatom ließ Muslime massakrieren.
Bild: 2014: Anti-Balaka-Milizionäre in Banguis Stadtviertel Boeing, wo „Ramb…
BERLIN taz | Zum ersten Mal muss sich ein Milizenführer der
Zentralafrikanischen Republik wegen Gräueltaten an Zivilisten während des
Bürgerkrieges von 2013 bis 2014 vor dem Internationalen Strafgerichtshof in
Den Haag verantworten. Alfred Yekatom, genannt „Rambo“, wurde am
Samstagnachmittag aus der zentralafrikanischen Hauptstadt Bangui, wo er
sich aus anderen Gründen bereits in Haft befand, nach Den Haag geflogen und
dort in Gewahrsam genommen.
Internationale Menschenrechtsgruppen würdigten das als entscheidenden
Schritt im Kampf gegen die Straflosigkeit in einem Land, das in den letzten
Jahren brutale Massenverbrechen an Zivilisten in Ausmaßen erlebt hat, wie
man sie eher aus dem Völkermord an Ruandas Tutsi 1994 kannte.
Fast alle Angehörigen der muslimischen Minderheit der Zentralafrikanischen
Republik wurden zwischen Dezember 2013 und April 2014 getötet oder
vertrieben – in [1][organisierten Feldzügen sogenannter
Anti-Balaka-Milizen], die gezielt auf Menschenjagd gingen. Yekatom war
einer von zahlreichen Anti-Balaka-Kommandeuren.
Der Den Haager Haftbefehl gegen ihn, der erst nach seiner Überstellung
veröffentlicht wurde, wirft ihm zahlreiche Kriegsverbrechen und Verbrechen
gegen die Menschlichkeit vor, darunter Mord, Folter, Verschwindenlassen,
Vertreibung, Plünderung und Zerstörung. Er habe gezielt Muslime angreifen
lassen und seine Kämpfer entsprechend indoktriniert und ausgerüstet.
## Vom Armeegefreiten zum Milizenkommandeur
Die Geschichte von „Rambo“ Yekatom steht für die seines Landes. Geboren
1975 oder 1976 in der Stadt Bimbo am südwestlichen Rand von Bangui, schlug
er die Soldatenlaufbahn ein und wurde Hauptgefreiter in der Regierungsarmee
von Präsident Francois Bozizé, der sich 2003 an die Macht geputscht hatte.
Im März 2013 wurde Bozizé von der muslimischen Rebellenallianz „Seleka“
gestürzt; seine ohnehin chaotische Armee floh oder ging in den Untergrund,
darunter auch Yekatom.
Aus den Resten der Bozizé-Truppen formierten sich neue Milizen, die
kollektiv als Anti-Balaka bekannt wurden und für die Willkür und
Terrorherrschaft der Seleka-Rebellen kollektiv die in der Geschäftswelt und
im Handel einflussreichen Muslime des Landes verantwortlich machten.
Yekatom wurde einer der Milizenführer. Den Ermittlungen Den Haags zufolge
führte er 3.000 Kämpfer, darunter 200 ehemalige Soldaten – insgesamt
zählten die Anti-Balaka zum Höhepunkt ihrer Aktivitäten im Jahr 2014 50.000
Mann.
Am 5. Dezember 2013 versuchten die Anti-Balaka, Bangui zu erobern, um als
Herren der Hauptstadt eine bereits im Anflug befindliche französische
Militärintervention willkommen zu heißen. Rund 1.000 Menschen starben.
Yekatom soll dabei unter anderem für ein Massaker auf dem Markt des
Stadtviertels Boeing am Rande des Flughafens verantwortlich sein und die
Zerstörung der Moschee in Boeing angeordnet haben.
Yekatoms Truppe schwärmte in den Folgemonaten, als die Seleka-Regierung
gestürzt war und eine international geschützte Übergangsregierung nichts
gegen die Ausbreitung von Massakern an Muslimen auf das ganze Land
unternahm, in die Heimatregion ihres Chefs aus, nach Südwesten.
Ende Januar 2014 erreichte sie die Stadt Mbaiki, 100 Kilometer von Bangui
entfernt, und vertrieb dort sämtliche Muslime. Hier und in anderen Orten
unter ihrer Kontrolle wurden Häuser zerstört und Zivilisten an
Straßensperren ausgeraubt. Manche Kämpfer waren nicht einmal 15 Jahre alt.
Yekatom wurde reich und mächtig. Als sein Bruder inhaftiert wurde, überfiel
er das Gefängnis und holte ihn heraus. Er gründete die private
Sicherheitsfirma „Koya“ (Onkel) mit einem Löwenkopf als Logo, die
Palmölplantagen schützte. Er schrieb seinen Spitznamen Rambo jetzt vornehm
„Rombhot“, und obwohl er seit 2015 unter UN-Sanktionen steht, wurde er 2016
mit 57 Prozent der Stimmen für den Wahlkreis Mbaiki 2 als Abgeordneter ins
Parlament in Bangui gewählt.
Eine solche Karriere ist in der Zentralafrikanischen Republik nichts
Besonderes, sondern Normalfall. [2][Die Gewaltakteure haben das Land unter
sich aufgeteilt] – sie sitzen in den Institutionen und pflegen zugleich
ihre Privatreiche; 80 Prozent des Landes stehen nicht unter staatlicher
Kontrolle.
## Im Parlament die Pistole gezückt und abgedrückt
[3][Der Internationale Strafgerichtshof ermittelt gegen eine ganze Reihe
zentralafrikanischer Milizenchefs, aus dem Anti-Balaka- wie aus dem
Seleka-Lager]. Dass Yekatom nun der erste – und eventuell einzige – Den
Haager Häftling ist, obwohl er zunächst gar nicht im Zentrum der
Ermittlungen stand, weil er nicht zur allerobersten Kommandoebene gehört,
liegt allein an ihm selbst.
Am 29. Oktober dieses Jahres zückte „Rambo“ mitten im Parlamentsplenum
seine Pistole und schoss zweimal in die Luft, um einen anderen Abgeordneten
am Reden zu hindern. Er und drei weitere Abgeordnete wurden noch im
Parlamentsgebäude festgenommen – ausgerechnet von einem anderen ehemaligen
Anti-Balaka-Kommandanten, den zur Gendarmerie gewechselten Olivier
Gbangouma.
Die Staatsanwaltschaft in Bangui erließ umgehend Haftbefehl unter anderem
wegen Rebellion und versuchten Mordes, und am 30. Oktober beantragten die
Ermittler in Den Haag ebenfalls Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen und
Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Die Umstände, die Yekatom hinter Gitter brachten, verweisen auf die
verworrene Art, in der sich die bewaffneten Konflikte der
Zentralafrikanischen Republik fortsetzen und derzeit erneut verschärfen.
Der Grund für die Wahl eines neuen Parlamentspräsidenten Ende Oktober war
die Absetzung seines Vorgängers gewesen: Karim Meckassoua, der letzte
hochrangige Muslim in den zentralafrikanischen Institutionen.
Meckassoua ist in Banguis Politik ein alter Hase, gilt traditionell als
Vertrauensmann Frankreichs und war daher dem Staatschef Faustin Touadéra
ein Dorn im Auge – Touadéra hat sich und seine gesamte Regierung stark
Russland angenähert, weil Moskau ihm bereitwilliger Waffen schenkt, als
Paris es tut. Unter Touadéra ist die Zentralafrikanische Republik zu einem
Brückenkopf russischen Einflusses in Afrika geworden.
Yekatom kann mit Präsident Touadéras Vorgehen gegen Warlords wenig anfangen
und stimmte gegen Meckassouas Absetzung, obwohl dieser Muslim ist. Neuer
Parlamentspräsident wurde dann mit Laurent Ngon-Baba ausgerechnet jener
Abgeordnete, gegen den Yekatom seine Pistole gezückt hatte.
Auf Nachsicht konnte „Rambo“ da nicht hoffen, obwohl sein einstiger
Anti-Balaka-Vorgesetzter heute im zentralafrikanischen Generalstab tätig
ist, wie Medien in Bangui berichten.
## Warlords erneut auf dem Kriegspfad
Bleibt die Frage, ob die erste Überstellung eines mutmaßlichen
zentralafrikanischen Kriegsverbrechers nach Den Haag die Situation im Land
beruhigt oder verschlimmert. Seit Meckassouas Absetzung befinden sich die
ehemaligen muslimischen Seleka-Rebellen wieder auf dem Kriegspfad.
Aus mehreren Landesteilen werden aktuell Kämpfe gemeldet. Nachdem am
Freitag ein Haftrichter in Bangui Yekatoms Freilassung ablehnte – dass er
an Den Haag überstellt werden würde, war da noch geheim –, erschütterten
Explosionen Bangui, und im Westen des Landes wurde ein UN-Soldat aus
Tansania getötet.
Die Rivalität zwischen Paris und Moskau um Einfluss in Bangui schwächt
derweil die internationalen Befriedungsbemühungen. Der UN-Sicherheitsrat
stimmte am Donnerstag lediglich für eine technische Verlängerung des
ablaufenden Mandats der UN-Mission in der Zentralafrikanischen Republik
(Minusca) um einen Monat, statt wie üblich ein neues Mandat für ein Jahr zu
beschließen. Russland hatte einen französischen Resolutionsentwurf zuvor
blockiert.
18 Nov 2018
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## AUTOREN
Dominic Johnson
## TAGS
Zentralafrikanische Republik
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