# taz.de -- Gewalt in Zentralafrika: Frühwarnzeichen eines Völkermords | |
> International mehren sich Appelle, die Bevölkerung endlich vor den | |
> Warlords der Zentralafrikanischen Republik zu schützen. | |
Bild: UN-Blauhelme in Bria (Zentralafrikanische Republik, Mai 2017) | |
BERLIN taz | Die Helfer sind am Ende ihrer Kräfte. „Wir sind täglich Zeugen | |
der Gewalt“, schreiben 35 internationale Hilfswerke, die in der | |
Zentralafrikanischen Republik arbeiten, in einer am Montag verbreiteten | |
gemeinsamen Erklärung. „Das dritte Jahr hintereinander gilt die | |
Zentralafrikanische Republik als das gefährlichste Land der Welt für | |
humanitäre Helfer [. . .] Da die Hälfte der Bevölkerung von humanitärer | |
Hilfe abhängt, ist es besorgniserregend, dass die humanitären | |
Organisationen, die den Bedürftigsten Nothilfe zukommen lassen, dies nicht | |
mehr tun können.“ | |
Eine Woche zuvor hatte der Leiter der humanitären Abteilung der Vereinten | |
Nationen, Stephen O’Brien, eine klare Warnung ausgesprochen: „Die | |
Frühwarnzeichen eines Völkermords sind vorhanden. Wir müssen jetzt | |
handeln.“ | |
Und Ende Juli hatte der Leiter der UN-Abteilung für Friedensmissionen, | |
Jean-Pierre Lacroix, vor dem UN-Sicherheitsrat erklärt, die zunehmende | |
Intensität der Angriffe auf Zivilisten und UN-Soldaten in Zentralafrika | |
treibe das Land in den Abgrund. „Das müssen wir um jeden Preis verhindern.“ | |
Alle sind sich einig: Nichts geht mehr in der Zentralafrikanischen | |
Republik. Die Regierung ist machtlos, die UN-Truppe von 12.870 Soldaten und | |
Polizisten zu schwach. „Wir fordern einen besseren Schutz von Zivilisten | |
und einen besseren humanitären Zugang“, heißt es in der Stellungnahme der | |
Hilfswerke. | |
## Muslime vertrieben oder getötet | |
Eigentlich hat das Land seit 2016 eine gewählte Regierung. Der Amtsantritt | |
von Präsident Faustin Touadéra am 30. März 2016 sollte drei Jahren Wirren | |
ein Ende setzen. Im März 2013 hatte die muslimische Rebellenkoalition | |
„Seleka“ (Allianz) den autokratischen Präsidenten Francois Bozizé gestür… | |
Unfähig, Stabilität herzustellen, und angesichts brutaler Angriffe | |
Bozizé-treuer christlicher Milizen unter dem Sammelbegriff „Anti-Balaka“ | |
(Gegen die Kugeln der AK-47) gaben sie im Januar 2014 die Macht an eine | |
Übergangsregierung ab. Es folgten Pogrome, bei denen fast alle Muslime des | |
Landes vertrieben oder getötet wurden. Die Reste der Seleka verzogen sich | |
in den Nordosten, während in Bangui ein neuer Staatsaufbau mit | |
UN-Unterstützung begann und Wahlen organisiert wurden. | |
Aber dieser Staatsaufbau ist nie über Bangui heraus sichtbar geworden. | |
Lokale Warlords und Reste der Seleka und Anti-Balaka führen unzählige | |
lokale Kriege gegeneinander, in wechselnden Allianzen, aber mit einer | |
Gemeinsamkeit: mit äußerster Brutalität gegenüber Zivilisten, die der | |
Gegenseite zugerechnet werden. | |
Seleka hat sich gespalten. Ihr Militärchef Noureddine Adam führt jetzt eine | |
„Volksfront für die Wiedergeburt Zentralafrikas“ (FPRC) in Bria im | |
Nordosten des Landes. Sie bekämpfte zunächst vor allem die andere | |
Ex-Seleka-Fraktion „Union für den Frieden in Zentralafrika“ (UPC) unter dem | |
Warlord Ali Darass in der zweitgrößten zentralafrikanischen Stadt Bambari. | |
Pogrome gegen die Fulani-Volksgruppe, zu der Darass gehört, forderten 2016 | |
zahlreiche Tote. Im Februar 2017 zog sich Darass auf UN-Bitte aus Bambari | |
zurück. Er ging Richtung Südosten – in Anti-Balaka-Hochburgen. | |
Die Anti-Balaka schlugen grausam zurück. Mitte Mai verwüsteten sie die | |
Kleinstadt Bangassou, um den UPC-Vormarsch zu stoppen. Über 100 Ziviisten | |
starben, Tausende Fliehende in der Moschee, der Kirche und dem Krankenhaus | |
wurden tagelang belagert. Im Juni breiteten sich die Kämpfe erneut Richtung | |
Bria aus. | |
## Waffen aus den Nachbarländern | |
Nun tobt ein unkontrollierbarer Dreifrontenkrieg von FPRC, UPC, und | |
Anti-Balaka im Dreieck Bria–Bambari–Bangassou. UNO und Regierung haben | |
alles, was östlich von Bambari liegt, praktisch aufgegeben. Überall dort, | |
wo noch verschiedene Volksgruppen zusammenleben, fürchten nun Hilfswerke, | |
dass auch hier die Gewalt ankommt. Der Konflikt internationalisiert sich: | |
die FPRC erhält Waffen aus Sudan und Südsudan, die UPC sowie die | |
Anti-Balaka aus dem Kongo, haben UN-Experten recherchiert. | |
Von den 5 Millionen Einwohnern der Zentralafrikanischen Republik leben eine | |
halbe Million als Flüchtlinge in Nachbarländern. Im Land selbst überschritt | |
die Zahl der Binnenflüchtlinge Anfang Juni zum ersten Mal seit drei Jahren | |
wieder die Zahl von 500.000 und erreichte Ende Juli die 600.000-Marke. | |
Seine Warnung vor Völkermord äußerte UN-Hilfskoordinator Stephen O’Brien | |
nach einem Besuch in Bangassou Anfang Juli, wo er durch die Ruinen der | |
Kämpfe vom Mai stapfte. Bis heute leben dort 2.000 Vertriebene, vor allem | |
Muslime, im katholischen Kirchengelände – dem einzigen einigermaßen vor den | |
christlichen Milizen sicheren Ort. Wer das Gelände verlässt, ist Freiwild. | |
Ende Juli versuchten die Milizen erneut, das Kirchengelände zu stürmen. Sie | |
griffen auch den Ort Gambo weiter westlich an. Mindestens 30 Menschen | |
starben bei dem Angriff von rund 1.000 Kämpfern vor rund einer Woche, | |
darunter sechs Freiwillige des Roten Kreuzes. | |
Am vergangenen Sonntag zelebrierte die Zentralafrikanische Republik ihren | |
57. Unabhängigkeitstag in düsterer Stimmung. „Wieso fallen wir zurück?“, | |
fragte Präsident Touadéra in seiner Ansprache in Bangui – und appellierte, | |
„mit der Auslöschung unschuldiger Bevölkerungen aufzuhören.“ | |
15 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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