| # taz.de -- Kolumne Fremd und befremdlich: Unangebrachte Demut | |
| > Ich freue mich nicht über das Frauenwahlrecht. Die, die sich darüber | |
| > freuen, sind demütig. Und dazu bin ich nicht bereit. | |
| Bild: Festakt zu 100 Jahre Frauenwahlrecht, in diesem Fall nicht in Hannover, s… | |
| Niedersachsen feiert 100 Jahre Frauenwahlrecht mit einem Festakt und mit | |
| Ausstellungen zur Geschichte des Frauenwahlrechts in Hannover und Lüneburg. | |
| Das ist schön. | |
| Aber wer wollte sich heute noch dagegen aussprechen? Auch der Mann, der | |
| täglich den „Genderwahn“ anprangert, spricht sich nicht mehr gegen das | |
| Frauenwahlrecht aus. Das Frauenwahlrecht ist ihm ziemlich egal. So wie es | |
| ihm egal ist, dass die Frau Auto fährt, ein Girokonto hat, ein | |
| Bewerbungsgespräch führt oder Hosen trägt. Dies alles sind Dinge, die sind | |
| auch für den härtesten „Männerrechtler“ Selbstverständlichkeiten. Da wi… | |
| er gar nicht mehr dran rütteln. | |
| Soll ich mich heute darüber freuen, dass ich wählen darf? Es macht mich, | |
| wenn ich darüber nachdenke, eher wütend, dass ich als Frau irgendwann | |
| einmal nicht das Recht zur Wahl hatte. Vielleicht ist das ein Grund, daran | |
| zu erinnern, damit wir uns die Wut bewahren? Denn freuen können wir uns | |
| doch darüber nicht. | |
| Freuen konnten sich vielleicht die Frauen, die damals kämpften, freuen | |
| konnten sie sich über einen Erfolg ihrer Bewegung. Aber sollen wir uns | |
| heute darüber freuen, dass wir wählen dürfen? Dass wir Rechte haben? Ich | |
| bin dazu nicht bereit. Ich freue mich nicht darüber. Die sich darüber | |
| freuen, die sind demütig. | |
| Ich bin den Frauenrechtlerinnen dankbar, dass sie sich für mich eingesetzt | |
| haben, aber ich bin nicht der Gesellschaft dankbar für mein Wahlrecht. Ich | |
| bin nicht dankbar, dass ich als Frau dieselben Rechte habe wie ein Mann. | |
| Soll ein freigelassener Sklave dankbar für seine Freiheit sein? Soll ein | |
| Mensch dankbar sein, dass er nicht misshandelt wird? Und wem? Gott? Der | |
| Gemeinschaft? | |
| Ich lese immer wieder, wenn es um Gleichberechtigung geht, dass Frauen hier | |
| in Deutschland doch dankbar sein sollen, weil sie hier Auto fahren dürfen, | |
| weil sie hier nicht verschleiert sein oder ihren Mann um Erlaubnis fragen | |
| müssen, wenn sie eine Arbeit anfangen. Dass sie froh sein sollen, dass sie | |
| hier und nicht in einem Land leben, in dem es den Frauen schlechter geht. | |
| Dafür sollen diese Frauen, die sich für Gleichberechtigung einsetzen, | |
| dankbar sein, anstatt sich zu beschweren. Das lese ich immer wieder in | |
| sozialen Netzwerken, in den Kommentaren, wenn es um irgendein Thema geht, | |
| in dem es um die Ungleichbehandlung von Frauen und Männern geht. | |
| ## Schräge Logik | |
| Froh sollten die Frauen sein. Und froh bin ich dann nicht. Denn warum soll | |
| es mich froh machen, dass es anderen Frauen schlechter geht als mir? Warum | |
| soll ich aufhören, mich um mich zu sorgen, um meine Rechte zu streiten? | |
| Weil, im Verhältnis gesehen, meine Sorgen gering sind? Das ist die Logik? | |
| Dankbar sollen Frauen sein. Schätzen können, was sie haben. „Frauen leben | |
| durchschnittlich zehn Jahre länger als Männer. Sie beziehen dadurch auch | |
| länger Rente. Sie brauchen keine schweren körperlichen Arbeiten zu | |
| verrichten. Was wollen sie noch?“ (Aus einem Kommentar) Das fragt sich der | |
| Mann. | |
| Was wollen diese Frauen denn noch? Ich kann es ihm sagen: Lieber Mann aus | |
| der Kommentarspalte, ich will alles. Alles, was du hast, alles, was du | |
| darfst, ohne in der Gesellschaft dafür angemacht zu werden, das will ich | |
| auch haben. Nichts soll es mehr geben, das du als Mann darfst und ich | |
| nicht. | |
| ## Macht der Gewohnheit | |
| Ich will dafür weder dankbar sein noch mich freuen müssen. Ich will | |
| vielleicht sogar so lange zornig bleiben, bis wir alle auf dieser Welt | |
| vollkommen vergessen haben, dass Frauen und Männer jemals unterschiedliche | |
| Rechte hatten. Dass es jemals unterschiedliche Normen und gesellschaftliche | |
| Zwänge für unterschiedliche Geschlechter gegeben hat. | |
| In diesem Zusammenhang ist es vielleicht doch gut, sich an die Einführung | |
| des Frauenwahlrechts zu erinnern. Wir sehen, wie Dinge, die damals unerhört | |
| waren, uns heute gewöhnlich erscheinen. Wir haben uns daran gewöhnt, auch | |
| die Männer. Wir finden es gar nicht mehr komisch oder falsch. Wir haben uns | |
| alle miteinander daran gewöhnt. Das ist das Ziel. | |
| 14 Nov 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Seddig | |
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