| # taz.de -- OECD-Bericht zu Bildungsgerechtigkeit: Postleitzahl entscheidet üb… | |
| > Die Chancengleichheit für Kinder in Deutschland hat zugenommen. Doch noch | |
| > immer gilt: Wer einmal als „abgeschrieben“ gilt, bleibt es. | |
| Bild: Der Wohnort entscheidet in Deutschland noch immer über den Erfolg in der… | |
| Ein Kind, bei dem im Klassenbuch unter „Adresse“ die Postleitzahl 10437 | |
| verzeichnet ist, hat größere Chancen, Chemiker*in, Musiklehrer*in oder | |
| Wirtschaftsprüfer*in zu werden, als ein Kind, bei dem 28237 steht. 10437 | |
| steht für Berlin-Prenzlauer Berg, Hotspot Helmholtzplatz. Dort wohnen | |
| hauptsächlich Akademiker*innen mit gut bezahlten Jobs in geräumigen | |
| Altbauwohnungen, die den Bewohner*innen in der Regel gehören. In | |
| Gröpelingen mit der Postleitzahl 28237 sieht es anders aus: Der Bremer | |
| Stadtteil gilt als sozialer Brennpunkt mit einer Arbeitslosenquote von über | |
| 26 Prozent. Die mehrheitlich migrantischen Großfamilien leben in viel zu | |
| kleinen Wohnungen, die Polizei ist oft im Einsatz vor Ort. | |
| Zwei Postleitzahlen, die im Grunde nichts aussagen – und doch alles: Der | |
| Zufall des Geburtsortes entscheidet noch immer über Bildungs- und | |
| Entwicklungschancen eines Kindes. Die Spanne zwischen den „Gewinner*innen“ | |
| und „Verlierer*innen“ ist laut des am Dienstag veröffentlichten neuen | |
| [1][Bildungsberichts der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und | |
| Zusammenarbeit (OECD)] zwar gesunken. Das heißt aber noch lange nicht, dass | |
| sich die Bildungschancen von Kindern in Deutschland merklich verbessert | |
| haben. Im Gegenteil: Im internationalen Ranking liegt Deutschland noch | |
| immer hinter Ländern wie Schweden, Dänemark und Neuseeland und in etwa auf | |
| Höhe von Chile, Mexiko, Montenegro. | |
| Das deutsche Spezifikum: Wer zu Hause gefördert und gefordert wird, wer mit | |
| Büchern und Eltern aufwächst, die dem Kind die Welt erklären, geht | |
| gestärkter und selbstbewusster ins Leben als jemand, dessen Eltern zu den | |
| sogenannten Bildungsfernen und „Abgehängten“ zählen. Das heißt nicht, da… | |
| diese Mütter und Väter ihre Kinder weniger liebevoll erziehen und | |
| versuchen, ihnen das mitzugeben, von dem sie glauben, dass es richtig sei | |
| für einen Alltag, in dem es nicht selten ums nackte Überleben geht. | |
| Darin steckt das deutsche Dilemma: Wer einmal als „abgeschrieben“ gilt, der | |
| bleibt abgeschrieben. Den Betroffenen gilt häufig die rhetorische | |
| Solidarität der politischen Elite, daraus folgen aber selten reale | |
| Handlungen. Bildungskarrieren wie die eines Gerhard Schröder, der auf einem | |
| Bauernhof geboren und Jahrzehnte später Bundeskanzler wurde, gehören | |
| mittlerweile zur sozialdemokratischen Bildungsnostalgie: Mit uns kann aus | |
| jedem Kind etwas werden. | |
| Der aktuellen OECD-Studie zufolge wird heute fast die Hälfte der Kinder mit | |
| erschwerten sozialen Bedingungen in Schulen geschickt, in denen sie auf | |
| andere benachteiligte Kinder stoßen. Die Folgen benennt die OECD deutlich: | |
| Der Anteil schwacher Schüler*innen in Deutschland ist von rund 25 Prozent | |
| im Jahr 2006 auf über 32 Prozent im Jahr 2015 gestiegen – so stark wie in | |
| kaum einem anderen Land. | |
| Was hilft dagegen? Ausreichende frühkindliche Bildung, gemischte Klassen, | |
| längeres gemeinsames Lernen, Ganztagsschulen. All das sind keine neuen | |
| Vorschläge, sondern althergebrachte Ideen. Offenbar aber lassen sie sich | |
| leichter fordern, als sie umzusetzen sind. Dafür nun aber ausschließlich | |
| „die Politik“ in die Pflicht zu nehmen, ist so fatal wie verkehrt. | |
| Manchmal sind es die Akteur*innen selbst, die das Dilemma fortschreiben. | |
| [2][So grenzen manche Lehrer*innen benachteiligte Kinder aus und empfehlen | |
| sie nicht für weiterbildende Schulen], obwohl die Mädchen und Jungen die | |
| Leistungen dafür haben. Und nicht wenige Eltern, darunter | |
| Bildungskritiker*innen par excellence, schicken ihre eigenen Kinder lieber | |
| auf Elite- und Privatgymnasien als auf Schulen mit einem mehr oder weniger | |
| hoher Migrant*innenanteil. Auf diese Weise bleiben die Kinder aus 10437 | |
| weiter unter sich. Und die aus 28237 eben auch. | |
| 23 Oct 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.oecd-ilibrary.org/education/equity-in-education_9789264073234-en | |
| [2] /Das-Kreuz-mit-der-Schulempfehlung/!5460645 | |
| ## AUTOREN | |
| Simone Schmollack | |
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