| # taz.de -- Rob Mazurek beim Jazzfest Berlin: Kreatives Leben für alle | |
| > Suchen, Experimentieren: Der US-amerikanische Komponist und Kornettist | |
| > Rob Mazurek tritt am Donnerstag gleich zweimal in Berlin auf. | |
| Bild: Vielbeschäftigter Musiker und visueller Künstler: Rob Mazurek | |
| Es dürfte kürzlich an der südlichen Küste Sardiniens für Verblüffung | |
| gesorgt haben, als ein Trompeter und ein Kornettist eines Abends voll | |
| bekleidet ins Wasser wateten, während sie eine langsame, melancholisch | |
| klingende Melodie im Duett spielten. Sie schritten einfach immer tiefer ins | |
| Meer, bis ihnen das Wasser fast zum Hals reichte. Dann endeten sie mit | |
| einem lang anhaltenden Ton unisono; wie ein Schiffs- oder Seenotsignal | |
| anmutend. | |
| Diese Performance war Anfang September beim Jazzfestival Sant’anna Arresi | |
| zu sehen und hören, man findet sie ausschnittsweise im Netz. Einer der | |
| beiden Künstler ist der US-Jazzmusiker Rob Mazurek, der hier mit dem | |
| Italiener Gabriele Mitelli kollaborierte. Genau dort, am Strand von Porto | |
| Pino, kommen immer wieder Flüchtlinge in Booten an. Die Verständigung über | |
| akustische Signale, die Migration der Sounds, das Aufeinandertreffen von | |
| Kulturen – all das war Thema dieser sandig-nassen Improvisation. | |
| Dieses Stück zeigt anschaulich, wer Rob Mazurek ist, was Musik für ihn | |
| bedeutet und wie er sich und seine Kunst in Beziehung zur Welt setzt. | |
| „Warum gibt es Grenzen, Mauern, warum überhaupt die Vorstellung eines | |
| ‚Migranten‘, wenn wir doch alle von woanders her stammen?“, schreibt | |
| Mazurek in einer Mail über diese Performance, „wir sind alle Migranten, die | |
| Menschheit ist seit sehr langer Zeit kontinuierlich in Bewegung. Jede | |
| gespielte Note handelt von der Freiheit und Gleichheit, die für jedes | |
| Lebewesen gelten sollte. Das ist etwas Grundsätzliches.“ | |
| ## Einer seiner seltenen Deutschlandauftritte | |
| Mazurek spielt am Donnerstag im Rahmen des Jazzfests Berlin einen seiner | |
| seltenen Deutschlandauftritte, er wird mit dem Exploding Star Orchestra | |
| gastieren. Das Kollektiv hat er 2005 – nach dem Vorbild von Sun Ra – in | |
| Chicago gegründet. Es tritt seither in immer wechselnden Konstellationen | |
| auf, heute wird eine Berliner Jazzfraktion, etwa die Vibraphonistin Els | |
| Vandeweyer und Flötistin Sabine Vogel, mitwirken. | |
| Sein Orchester nennt Mazurek das „konzeptuelle, kompositorische und | |
| philosophische Zentrum all meiner Arbeiten“, insgesamt aber hat der | |
| 53-Jährige ein unfassbar breites Œuvre. Unter dem Alias Orton Socket | |
| machte er einst Synthesizer-Experimente, bei seinem Projekt Alternate Moon | |
| Cycles waren Ambient- und Drone-Klänge zu vernehmen, mit dem in Brasilien | |
| gestarteten Projekt Black Cube SP mischt Mazurek wiederum rockigere Klänge | |
| mit Free Jazz. | |
| Nur einige Beispiele dafür, wie vielseitig Mazurek ist. Im Lauf der Jahre | |
| hat er nicht nur in mehr als 20 Musikprojekten mitgewirkt, sondern ist | |
| zudem visueller Künstler. All sein Schaffen bringt er mit fünf Begriffen | |
| auf einen gemeinsamen Nenner: „Suchen, Experimentieren, Zuhören, Spielen, | |
| Dasein“. Alles Weitere ergebe sich daraus. | |
| Geboren ist Mazurek in Jersey City, seine Jugend verbrachte er in Chicago. | |
| Die dort ansässige Musikervereinigung Association for the Advancement of | |
| Creative Musicians (AACM) habe ihn entscheidend inspiriert, schreibt er, | |
| der Vibe Chicagos sei bis heute sein Dynamo: „Man kann in dieser Stadt aus | |
| so vielem schöpfen – Architektur, Leute, die Energie der Musiker und | |
| Veranstalter sind beeindruckend.“ Mazurek wird die Windy City übrigens auch | |
| in Berlin repräsentieren: Chicago ist ein Schwerpunkt des Jazzfests. | |
| Die Stadt bleibt bis heute ein Fixpunkt für Mazurek, allerdings lebt er | |
| nach einem längerem Aufenthalt in Brasilien seit einiger Zeit in Marfa, | |
| einer texanischen Kleinstadt, in die der US-Maler und Architekt Donald Judd | |
| von den 1970ern an seine Gedankenwelt und Gebäude verpflanzt hat. | |
| „Marfa strotzt vor Energie, dank seiner Kunst, Ideen, der Literatur, dem | |
| Sound, dem Himmel, dem Boden, dem konstanten Zuzug von Künstlern aus aller | |
| Welt. Es ist ein Ort zum Denken und Arbeiten, ein Raum, in dem man frische | |
| Luft atmen kann.“ In Brasilien lebte Mazurek zunächst in Manaus am Amazonas | |
| und in São Paulo, wo er mit São Paulo Underground wieder eine Band mit ganz | |
| eigenem Profil gründete – neben Jazz und Rock war der Sound nun erkennbar | |
| von Samba- und Maracatu-Rhythmen geprägt. | |
| ## Von Sun Ra inspiriert | |
| Das Exploding Star Orchestra ist konzeptueller angelegt. Dass das Kollektiv | |
| von Sun Ra inspiriert ist, wirkt offensichtlich. „Ich hörte Sun Ra beim | |
| Chicago Jazz Festival, als ich 16 war, und es flashte mich total“, erklärt | |
| Mazurek. Wie Sun Ra erzählt er selbst mit seinem Ensemble eine | |
| Science-Fiction-Story mit den Mitteln des Jazz, verlegt die Utopien, die | |
| auf Erden unmöglich geworden sind, in den Weltraum. | |
| „Galactic Parables Volume 1“ heißt die jüngste Aufnahme des Orchesters, s… | |
| wurde vor drei Jahren in Chicago und auf Sardinien eingespielt. In Berlin | |
| werden die Parabeln nun fortgeschrieben – die Titel klingen, als zielten | |
| sie auf all die Politiker ab, die heute mit Rassismus und identitären Ideen | |
| reüssieren: „Parable of Inclusion“ soll ein Stück heißen, „Parable 300… | |
| All Come From Somewhere Else)“ ein anderes. | |
| Damit schlösse sich der Kreis zu einer grundsätzlichen Agenda der „Rechte | |
| des Lebenden“ (Claude Lévi-Strauss), die Mazurek verfolgt. „Jedes Lebewesen | |
| sollte eine kreatives, erfülltes Leben führen können, ohne dabei Angst vor | |
| Schrecken und Kriegen haben zu müssen“, sagt er. Man sollte diesem Mann | |
| zuhören. | |
| 1 Nov 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Uthoff | |
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