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# taz.de -- Gitarristin Mary Halvorson beim Jazzfest: Das Holz schwingen hören
> Die Gitarristin Mary Halvorson gehört zu den markantesten Stimmen des
> Jazz in den USA. Beim Jazzfest Berlin ist sie Artist in Residence.
Bild: Der Hohlraum der Gitarre macht den Klang: die Musikerin Mary Halvorson mi…
Sie spielt eine halbakustische Gitarre, deren großer Korpus genauso zu
ihrem Erkennungszeichen gehört wie die große Brille. Hinter beiden scheint
die zierliche Frau, die bevorzugt im Sitzen musiziert, zu verschwinden. Was
aber täuscht. Weder versteckt sich Mary Halvorson hinter ihrem Instrument
noch hinter ihrer Sehhilfe.
Denn wenn sie auftritt, ist sie mit ihrem klaren Ton, ihren
unvorhersagbaren, verdreht-eleganten Melodien so gegenwärtig wie nur irgend
möglich. Ohne aufdringlich-aggressive Gesten füllt sie den Raum mühelos aus
und gibt sich als Künstlerin zu erkennen, die einen höchst individuellen
Stil erarbeitet hat. Und über die nötigen Mittel verfügt, um ihre Ideen in
Klang zu übersetzen. Andernfalls überlegt sie sich eben eine Fingerübung,
um nachzuhelfen.
Dass Mary Halvorson dieses Jahr Artist in Residence beim Jazzfest Berlin
sein wird, ist ein Glücksfall für die erste Ausgabe unter der
künstlerischen Leiterin Nadin Deventer. Die in New York lebende Halvorson
kann mit ihrem Ton und ihrer unerschrockenen Lust an Entdeckungen heute als
eine der ausgeprägtesten Stimmen im Jazz gelten.
Man wird wenige Gitarristen in ihrer Generation – sie ist Jahrgang 1980 –
finden, die ähnlich markant klingen wie sie und dabei in immer neuen
Konstellationen ein Höchstmaß an Produktivität zeigen. Allein vier
Tonträger sind in diesem Jahr schon unter ihrem Namen erschienen, darunter
ihr „Song“-Album „Code Girl“ und ein gemeinsames Werk mit dem ebenfalls
stark innovationsfreudigen Kollegen Bill Frisell.
Halvorson studierte an der Wesleyan University in Connecticut. Als Mentor
nennt sie an erster Stelle den Komponisten und Saxofonisten Anthony
Braxton, der zu den intellektuellsten Avantgardisten des Jazz überhaupt
zählt. Eine der wichtigsten Ermunterungen, die Braxton ihr mitgab, war für
sie der Satz: „Wenn du keine Fehler machst, stimmt etwas nicht.“ Halvorson
nahm den Rat an: „Man muss rausgehen und die Dinge ausprobieren, selbst
wenn man dabei manchmal scheitert“, fasst sie zusammen.
## Stücke entstehen beim Improvisieren
Trotz aller akademischen Prägung hat Halvorson eine klare Vorstellung von
konzeptueller Ökonomie beim Arbeiten: „Ich habe mich stets auf meinen
Instinkt verlassen, ohne allzu lang über die Dinge nachzudenken. Denn ich
glaube, dass die ersten Ideen, die man hat, oft die besten sind, selbst
wenn sie sehr naheliegend oder schlicht erscheinen mögen.“ Ihre Stücke
entstehen beim Improvisieren, anschließend arbeitet sie die Arrangements
weiter aus. In ihren Kompositionen lotet sie umgekehrt die verschiedenen
Möglichkeiten zur Improvisation aus – mal frei in der Gruppe, mal klassisch
als solo über einem harmonischen Gerüst, um auch hier beweglich zu bleiben.
Dass Melodie, Harmonie und Rhythmus für sie höchste Bedeutung haben, hört
man besonders schön auf ihrem Album „Away With You“ (2016), dessen Programm
Halvorson am Abschlussabend des Jazzfests in Berlin präsentieren wird.
Zugleich bietet diese Aufnahme mit einem Oktett die bisher größte
Besetzung, die Halvorson zu verantworten hatte. Nach übermäßiger
Konstruktion hört sich das dennoch nicht an, sondern selbstverständlich.
„Für mich sind Dinge wie Melodie und Rhythmus viel stärker intuitive als
logische Angelegenheiten. Ich habe keine Struktur oder Formel vorab im
Kopf.“ Vielmehr soll sich die Musik möglichst „natürlich“ anfühlen.
Was zu ihrer halbakustischen Gitarre passt, die sie des spezifischen Klangs
wegen wählte. Als Vorbild dient ihr der Kontrabass: „Ich liebe seinen
Klang, weil man da richtig das Holz mitschwingen hören kann!“ Ihre übrige
Ausrüstung ist übersichtlich, ihr genügen eine Handvoll Effektgeräte, mit
denen sie den Klang bearbeitet. Diese Effekte sind für sie wie „Ornamente“,
aus denen sich eine „Dualität“ zwischen elektrischem und akustischem Sound
ergibt.
## Die Geschlechterverhältnisse im Jazz verschieben sich
In insgesamt drei unterschiedlichen Besetzungen wird Halvorson zu erleben
sein, an denen sich gut nachvollziehen lässt, wie sich die
Geschlechterverhältnisse im nach wie vor männerdominierten Jazz
verschieben. Während sie am Eröffnungsabend im Trio Thumbscrew mit zwei
männlichen Mitstreitern auf der Bühne steht, weist ihr Quartett im A-Trane
am Sonnabend eine Dreiviertelmehrheit von Frauen auf. Bassist Chris
Dahlgren wird der einzige Künstler sein. In ihrem Oktett schließlich
treffen tags darauf drei Frauen auf fünf Männer.
„Als ich mit dem Gitarrespielen anfing, bin ich keinen anderen
Gitarristinnen begegnet“, erinnert sie sich. Das habe sich inzwischen
erfreulicherweise deutlich geändert. Wobei für sie die Wahl der Musiker
nicht bloß vom Geschlecht abhängt: „Die Musikerpersönlichkeit steht für
mich ganz klar an erster Stelle.“
1 Nov 2018
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
## TAGS
Jazzfest Berlin
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