# taz.de -- Prozess gegen Hamburger Gleis-Blockierer: Erst das Urteil, dann die… | |
> Im Prozess um die Blockade eines Uran-Transports findet der Angeklagte in | |
> den Akten frühzeitige Notizen des Richters zum möglichen Urteil. | |
Bild: Dominik Richl bei der Blockade des Urantransporters 2014 im Hamburger Haf… | |
HAMBURG taz | Der Anti-Atomkraft-Aktivist Dominik Richl kann es kaum | |
fassen, was ihm mit seiner Prozessakte in die Hände gefallen ist: Neben | |
einem Ablaufplan für seine Verhandlung wegen der Blockade eines | |
Atomtransports in Hamburg, fand er, wie er sagt, „eine stichpunktartige | |
Urteilsbegründung, versehen mit dem Vermerk ‚Bitte vor Akteneinsicht alle | |
Unterlagen dringend entfernen‘“. Richl stellte deswegen einen | |
Befangenheitsantrag gegen den Richter. Doch das Amtsgericht Hamburg-Harburg | |
wies den Antrag ab. | |
Richl hatte sich im Jahr 2014 im Hamburger Hafen zusammen mit einem | |
weiteren Aktivisten an ein Bahngleis gekettet, um einen Urantransport | |
aufzuhalten. Der zweite Aktivist ist bereits wegen Nötigung und Störung | |
öffentlicher Betriebe verurteilt. Richl befürchtet, dass bei dem Prozess, | |
der ihm jetzt vor dem Amtsgericht Harburg gemacht wird, das Urteil im | |
Grunde schon feststeht. | |
In dem Ablaufplan zum Prozess seien an einigen Stellen noch Lücken gewesen, | |
berichtet er, nicht allerdings unter dem Stichwort „Urteil“. Dort sei zu | |
lesen „Nötigung in Tateinheit mit Störung öffentlicher Betriebe“. Eine | |
Seite weiter finde sich das handschriftliche Konzept der Urteilsbegründung. | |
„Allesamt geschrieben noch bevor die Beweisaufnahme überhaupt begonnen | |
hat“, sagt Richl. | |
Für den Atomkraftgegner passt das zu seiner Erfahrung. „Der Besuch von | |
Gerichtsprozessen wirkt insbesondere bei politischen Prozessen auf mich oft | |
so, als stünde das Urteil im Vorfeld schon fest.“ Wenn er so etwas sage, | |
ernte er oft Zweifel. Doch spätestens bei der dritten oder vierten | |
Gerichtsverhandlung entstehe bei vielen Prozessbesuchern das Gefühl, dass | |
es nur darum gehe, „die Form halbwegs zu wahren, um ein ohnehin schon | |
feststehendes Urteil zu verkünden“. | |
Im konkreten Fall sah das Harburger Amtsgericht Richls Besorgnis als | |
unbegründet an: Eine Voreingenommenheit des Richters lasse sich nicht aus | |
dem Umstand herleiten, dass sich in der Akte Dokumente zu einem möglichen | |
Prozessablauf, einem möglichen Urteilstenor und einer möglichen | |
Urteilsbegründung befänden. | |
„Es ist dem Tatrichter unbenommen, sich schon vor der Hauptverhandlung | |
durch die Fertigung eines Urteilsentwurfs entsprechend dem jeweiligen | |
Ermittlungs- bzw. Verfahrensstands (sic) auf die Hauptverhandlung | |
vorzubereiten“, heißt es in der Ablehnung des Befangenheitsantrages. Damit | |
lasse sich sicherstellen, dass „die Beweisaufnahme alle erheblichen | |
Tatsachen und Beweismittel umfasst“. Auch könne das zur | |
„Verfahrenskonzentration“ nützlich sein. | |
Zudem stammten diese Dokumente nicht einmal von dem aktuell mit dem Fall | |
befassten Richter, sondern von dessen Vorgängerin. Der aktuelle Richter hat | |
versichert, die Dokumente seien nicht von ihm und er habe sie auch nicht | |
gekannt. | |
## Das Amtsgericht hält die Vorwürfe für „konstruiert“ | |
Mit seiner Begründung zitiere das Amtsgericht eine Entscheidung des | |
Bundesgerichtshofs, sagt Gerichtssprecher Kai Wantzen. Wenn demnach schon | |
ein „Urteilsentwurf entsprechend dem jeweiligen Ermittlungs- bzw. | |
Verfahrensstands“ keine Befangenheit befürchten lasse, gelte das erst Recht | |
für die Notizen im vorliegenden Fall. | |
Die vormals befasste Richterin habe lediglich Tatzeit und -ort, | |
Anklagevorwurf und Stichworte zur Situation notiert. „In dieser Unterlage | |
kann ich beim besten Willen weder einen Urteilsentwurf noch ein Konzept zur | |
Urteilsbegründung erkennen“, sagt Wantzen. | |
Ähnliches gelte für den Ablaufplan und die darin enthaltenen Angaben zum | |
Anklagevorwurf, zum Strafrahmen und den korrekten Bezeichnungen der | |
Tatbestände „die im Falle einer Verurteilung in den Urteilstenor übernommen | |
werden müssten“. Daraus zu schließen, der Richter sei bereits auf ein | |
Urteil mit entsprechendem Tenor festgelegt, erscheine ihm konstruiert. | |
Der Angeklagte Richl sieht das anders: „Zu behaupten, ein vor Prozessbeginn | |
allein aufgrund der Akte angefertigter Urteilsentwurf sei keine | |
Vorverurteilung, ist realitätsfern und absurd“, findet er. Zudem wirke der | |
Hinweis auf die „Verfahrenskonzentration“ so, als sei damit gemeint, | |
möglichst fließbandmäßig arbeiten zu können. Das sei „das Gegenteil dess… | |
wofür angeblich eine Hauptverhandlung da ist“. | |
1 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
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