| # taz.de -- Man Booker Prize für Anna Burns: Sexuelle Übergriffe und Widersta… | |
| > Die Jury war hingerissen, doch in Deutschland ist die diesjährige | |
| > Man-Booker-Preisträgerin noch weitgehend unbekannt. Das sollte sich | |
| > schnell ändern. | |
| Bild: Anna Burns bei der Übergabe des Bookerpreises | |
| Dublin taz | „Niemand in der Jury hat so etwas bisher je gelesen“, sagte | |
| Kwame Anthony Appiah, der Vorsitzende der Jury für den Man-Booker-Preis, | |
| als der mit 50.000 Pfund dotierte wichtigste britische Literaturpreis | |
| überraschend [1][an die Schriftstellerin Anna Burns für ihren Roman | |
| „Milkman“ ging.] Es ist das erste Mal, dass jemand aus Nordirland diesen | |
| Preis, mit dem seit 1969 der beste englischsprachige Roman ausgezeichnet | |
| wird, gewonnen hat. | |
| Das Buch werde überdauern, sagte Appiah: Es sei genauso nützlich für die | |
| „zersplitterten Gesellschaften im Libanon und in Syrien wie für die | |
| Genderdebatte im Westen“. Die 56-Jährige erzähle eine Geschichte der | |
| Brutalität, der sexuellen Übergriffe und des Widerstands, durchsetzt mit | |
| ätzendem Humor, sagte er. | |
| Worum geht es? Die 18-jährige Ich-Erzählerin wird von einem viel älteren, | |
| verheirateten Mann mit dem Spitznamen „Milkman“ bedrängt. Er kämpft in | |
| einer paramilitärischen Einheit und nutzt die Spaltung der Gesellschaft und | |
| seine Macht als Kämpfer aus, um ihr nachzustellen, ohne jemals | |
| handgreiflich zu werden. Die Erzählerin schildert die Reaktionen ihres | |
| Umfelds. | |
| Der Ort, an dem das Buch spielt, wird nicht genannt, aber es ist klar, dass | |
| es sich um Nordirland handelt. Anna Burns ist in dem [2][Belfaster Viertel | |
| Ardoyne geboren und aufgewachsen, einer katholisch-nationalistischen | |
| Enklave inmitten protestantischen Gebiets.] Um das Viertel verläuft trotz | |
| des Friedensabkommens vom Karfreitag 1998 noch immer Brachland als | |
| Pufferzone. | |
| ## Vermeintliche Normalität | |
| In Ardoyne ist Ende der sechziger Jahre die Irisch-Republikanische Armee | |
| (IRA) wiedergegründet worden. 6.600 Katholiken leben hier auf anderthalb | |
| Quadratkilometern, 180 Einwohner Ardoynes sind in den 25 Jahren des | |
| Konflikts von protestantischen Loyalisten umgebracht worden. Es war ein | |
| Ort, wo Gewalt, Misstrauen und Paranoia grassierten, sagt Burns, die seit | |
| 30 Jahren in England lebt: „Ich dachte, das sei Normalität.“ | |
| Bereits in ihrem ersten Roman, „No Bones“, der 2001 erschienen ist, ging es | |
| um das Aufwachsen eines Mädchens während der troubles, wie der politische | |
| Konflikt dort euphemistisch genannt wird. Der „Milkman“ entsprang aus „ein | |
| paar hundert Wörtern, die in einem anderen Roman, an dem ich gerade | |
| arbeitete, überflüssig waren“, sagt sie. Eigentliche wollte sie daraus eine | |
| Kurzgeschichte machen, doch dann wurde ein ganzes Buch draus. | |
| „Milkman“ ist ihr vierter Roman. Der Spitzname des Mannes rührt daher, dass | |
| die IRA früher Benzinbomben in Milchkästen an Jugendliche verteilt hat. Die | |
| fünf Jury-Mitglieder betonten, dass ihre einstimmige Entscheidung weder | |
| durch die Präsenz Nordirlands in der Brexit-Debatte noch durch die | |
| MeToo-Kampagne beeinflusst worden sei. Das Buch sei eine Herausforderung, | |
| sagte Appiah bei der Preisverleihung in der Londoner Guildhall. | |
| ## Die Namen wieder gestrichen | |
| Es ist keine einfache Lektüre, sowohl vom Inhalt als auch vom Stil her. Die | |
| Erzählung ist im Sprachduktus Nordirlands gehalten, es gibt fast keine | |
| Absätze, die Protagonisten haben keine Namen. „Das Buch funktioniert nicht | |
| mit Namen“, sagt Burns. „Anfangs habe ich es ein paarmal mit Namen | |
| versucht, aber die Erzählung wurde dadurch schwer und leblos. Deshalb habe | |
| ich sie wieder herausgenommen.“ | |
| Anna Burns war in der Literaturszene bisher ziemlich unbekannt, auch in | |
| Irland. Sie sagt, das Schreiben sei für sie bisher nicht sonderlich | |
| lukrativ gewesen. Sie musste oft umziehen, weil sie die Rechnungen nicht | |
| mehr bezahlen konnte. „Mit dem Preisgeld werde ich meine Schulden zahlen, | |
| und vom Rest werde ich erst mal leben“, sagt sie. Auf Deutsch gibt es noch | |
| keins ihrer Bücher. Das dürfte sich nun ändern. Wer mit der Übersetzung des | |
| „Milkman“ beauftragt wird, hat keine leichte Aufgabe vor sich. | |
| 24 Oct 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Anna-Burns-gewinnt-Man-Booker-Prize/!5543878 | |
| [2] /Randale-in-Nordirland/!5139084 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Sotscheck | |
| ## TAGS | |
| Englische Literatur | |
| Schwerpunkt #metoo | |
| Schriftstellerin | |
| Booker Prize | |
| Englische Literatur | |
| Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024 | |
| Booker Prize | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Anna Burns gewinnt Man Booker Prize: Erstmals Nordirin geehrt | |
| Burns Roman „Milkman“ preist die Jury als Werk, das nachhallen wird: Die | |
| Themen in dem Werk seien auch in der #MeToo-Ära aktuell. | |
| Pro und Contra Kazuo Ishiguro: Kobolde und Emotionen | |
| Beim Literaturnobelpreisträger Ishiguro ist Magie da, wo sie hingehört, | |
| sagt unsere Autorin. Der aktuelle Roman enttäuscht, findet unser Autor. | |
| Man Booker Preis für Paul Beatty: Harter Stoff, auch literarisch | |
| Der US-amerikanische Schriftsteller bekommt für seine „fröhliche | |
| Hemmungslosigkeit“ den renommierten britischen Literaturpreis. |