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# taz.de -- Bayerischer Streit um Gewerbegebiete: Kühe, die auf Bauflächen sc…
> Die Gemeinden Gilching und Gauting könnten Freunde sein. Wäre da nicht
> das Hickhack um ein Gewerbegebiet und die Frage: Was wird aus der Natur?
Bild: Da weidet's sich nicht so schön
Gilching/Gauting/Unterbrunn taz | In Unterbrunn ist die Welt noch in
Ordnung. Vor dem Wirtshaus Böck im Landkreis Starnberg steht ein fescher
Maibaum, wie ein Heiligenschein schwebt ein grüner Kranz am weißblauen
Holzpfosten. Der Böck liegt rund 25 Kilometer vor der Landeshauptstadt und
mittendrin in der „Metropolregion München“. Die erstreckt sich weit über
den eigentlichen Ballungsraum bis hinaus nach Landshut oder Garmisch.
Verkehr, Bebauung und Einwohner*innenzahlen steigen in dieser Region rasant
in den letzten zehn Jahren. Und pro Jahr, so hat es [1][das „Volksbegehren
gegen den Flächenfraß“] errechnet, verschwinden 45 Quadratkilometer, so
groß wie der Ammersee, in ganz Bayern unter Asphalt und Beton.
Beim denkmalgeschützten Böck in Unterbrunn hat der Regisseur Herbert
Achternbusch einst Einkehr gehalten, verewigt im Film „Der Neger Erwin“.
„Nach dem Spiel wird jeder wissen, wie er hätte spielen müssen.“ Solcher
Art sind die Sinnsprüche, die im uralten Gebälk der Wirtsstube eingeritzt
sind, und just dieser steht recht gut für das Folgende. Darin geht es um
die die bayerischen Gemüter erhitzende Frage, [2][wer in Zukunft wo und wie
die Landschaft mehr als eh schon versiegeln darf]. Und ob die bayerische
Flur weiter zugebaut werden soll mit unschönen Gewerbegebieten samt
dinglicher Infrastruktur. Und auch wenn jetzt im neuen bayerischen
Koalitionsvertrag, der erkennbar beeinflusst ist vom grünen Wahlerfolg, die
Absicht steht, in Zukunft landesweit nicht mehr als 5 Hektar Fläche pro Tag
zu bebauen – dann ist das eben nur eine Absicht, von Gesetzesinitiative
keine Spur. Aktuell wird jedenfalls das Doppelte verbraucht.
Wie unter einem Brennglas bayerischer Befindlichkeiten erscheint deshalb
diese Geschichte, die nah bei Unterbrunn spielt. Sie handelt von
Expansionsdrang und Sturheit, von Zwiespälten und Naturliebhaber*innen
versus Landschaftsfatalist*innen.
Letztlich handelt sie von viel Geld, das im Spiel ist oder erwartet wird.
Da ist einmal das wohlhabende und flächenmäßig ausgedehnte Gauting im
Würmtal mit seinen rund 21.000 Einwohnern. Und da ist Gilching, nur etwa 6
Kilometer weg, und, wie ein Spaziergänger dort mit altdeutschem Schäferhund
anmerkt, „das hässliche Entlein im schönen Fünfseenland bei Starnberg“.
Ganz so stimmt es nicht: Gilching ist weder ein Entlein mit seinen knapp
19.000 Einwohner*innen, noch ist es flächendeckend hässlich.
Dennoch wird der Ort vom Verkehr überrollt. Lange schon ist er eine Art
Gewerbezentrum im Landkreis Starnberg mit aktuell etwa 100 Hektar solcher
Flächen. Momentan wird das vierte Gebiet entwickelt, die
Gewerbesteuereinnahmen lagen 2017 bei fast 17,5 Millionen Euro. Stau ist in
Gilching normal, das direkt an der Autobahn München–Lindau liegt. Denn wer
ein Gewerbegebiet nutzt, der oder die fährt an und ab. Und das meist per
eigenem Auto.
## In einer geschützten Naturzone
Es passt also Bürgermeister Manfred Walter von der SPD, seit 2008 im Amt,
so gar nicht, dass der Nachbar direkt an der Westgrenze des Gautinger
Gemeinderaums 60 Hektar Gewerbegebiet plant. Und das auch noch in einer
geschützten Naturzone. Bis jetzt hat der Ort kein Gewerbegebiet, „da haben
wir jahrzehntelang Strukturentwicklung verschlafen“, sagt die derzeitige
Bürgermeisterin Brigitte Kössinger, 62 und von der CSU. Allerdings ist der
Ort beim Gemeindeanteil an der Einkommensteuer privilegiert. Der lag 2017
bei 17,7 Millionen Euro, andere im Umland haben oft viel weniger.
Walter ist Anfang 50, und er freut sich in seinem lichten Amtszimmer wie
ein Junge, dass „wir mit der Ausweisung unserer Gewerbegebiete vielleicht
schlicht Glück gehabt haben“. Lang und breit klagt er über die „fehlende
Kommunikation“ seiner Amtskollegin, die seit 2014 ihr Rathaus leitet.
Gilching respektiere ja den Wunsch der Gautinger nach Gewerbeflächen, „aber
sie sollen sich nicht einfach so an unserer Infrastruktur bedienen“. Fakt
ist auf alle Fälle, dass Gauting entwickeln will – im zurzeit dreifach als
Bannwald, Landschafts- und Wasserschutzgebiet ausgewiesenen Unterbrunner
Holz.
Bürgermeisterin Kössinger führt am Telefon ins verminte Feld, dass das
mittlerweile von der Landesregierung recht geschleifte „Anbindungsgebot“,
eingehalten werde. Es schrieb vor, dass Gewerbegebiete in Bayern möglichst
nicht auf der grünen Wiese gebaut werden. „Da entstehen doch dann schnell
Synergien mit den Gilchingern.“ Und der geschützte Bannwald? „Ist
großteils kaputter und kranker Fichtenstangenwald“.
Ortsbegehung im umkämpften Forst mit Christian Winklmeier, 27, vom
„Aktionsbündnis Pro Bannwald“. Hier haben sich unter anderen SPD, Linke und
Grüne, aber auch der Fahrradclub ADFC und ein Gautinger Umweltzentrum
zusammengetan. Auch der zweite Gilchinger Bürgermeister, Martin Fink (CSU),
spricht sich öffentlich gegen die Pläne der CSU-geführten Nachbarn aus. Im
September, am ersten Wiesn-Wochenende, hat das Aktionsbündnis protestiert.
Über 500 Leute kamen, Ludwig Hartmann, der bayerische Ko-Grünenchef, hat
das „Wettrüsten der Gewerbegebiete“ kritisiert und gefordert, dass „die
Landesplanung Leitplanken setzen muss“. Die Spielregeln sollten für alle
gleich sein.
## „Weil die halt die Kreisform so schön fanden“
„Das Ganze hat Gauting viel zu groß gedacht“, kritisiert Jutta Kreuzer vom
örtlichen Bund Naturschutz (BUND). Aus Sicht von Kreuzer ist „Natur ein
Wert an sich“. Dafür müssten Gemeinden etwas kriegen, „nicht für die
Zersiedelung“. Und vom grünen Gilchinger Gemeinderat Peter Unger kommt der
radikale Vorschlag, dass alle Landkreisgemeinden ihre Gewerbeflächen in
eine gemeinsame Gesellschaft einbringen. Die baut dann, wenn überhaupt, nur
noch ökologisch verträglich. Per Verteilungsschlüssel teilen sich die
Gemeinden die Steuereinnahmen. Davon könnte etwa Gauting profitieren „und
auf die Zerstörung von Natur und Landschaft verzichten“, so Unger.
Für die vier Gautinger Grünen im Gemeinderat verlief die Kontroverse ums
Unterbrunner Holz bis jetzt im Zickzack. So recht will man sich bei ihnen
nicht mehr erinnern, wie im Rat 2015 unter Bürgermeisterin Kössinger
abgestimmt wurde, als man grünes (sic!) Licht für das Projekt gab. Klar
ist, dass zumindest 2016 zwei grüne Ratsmitglieder für den momentan
geltenden Entwurf votiert haben, „weil die halt die Kreisform so schön
fanden“, beschwichtigt Anne Franke, die damals nicht da war. Heute plädiert
sie für ein abgespecktes Modell außerhalb vom Bannwald und wirbt um
Verständnis „für Gemeinderäte, die gucken müssen, dass ihr Ort finanziell
okay ist“. Frankes grüner Ortsverband war stets gegen das Projekt. Grüne
Zwiespälte – die nicht kleiner werden zukünftig.
„Klima, Mobilität – eben die üblichen Dinge, die auch bei der Entwicklung
des Unterbrunner Holzes nötig sind“, sagt Bernd Schulte-Middelich am
Telefon. Es klingt professionell, fast gelangweilt. Schulte-Middelich ist
geschäftsführender Gesellschafter der asto Business Group, die den
benachbarten Flughafen Oberpfaffenhofen managt. Und er ist Geschäftsführer
der Astopark Gauting Entwicklungsgesellschaft mbH. Die soll den Forstteil
im Auftrag der Gemeinde neu gestalten.
30.000 Tonnen Co2 sollen einmal im „Ecopark Gauting“ durch Geothermie
eingespart werden; man will laut Schulte-Middelich ein „sozial, ökologisch
und energetisch nachhaltiges Gewerbegebiet“. Christian Winklmeier vom
Aktionsbündnis hält dagegen, das meiste davon sei „pure Öko-Augenwischerei,
wie sie zurzeit überall grassiert.“ Dass etwa fast kein Auto reinfahren
dürfe, „ist doch komplette Utopie“.
## „Wer soll sich des alles leisten können? I net.“
Schulte-Middelich glaubt erwartbar fest an das Projekt. „Unsere Gegner
können uns lange behindern, aber das Gewerbegebiet nicht verhindern.“ Dass
der zuständige Starnberger Kreistag das betroffene Waldstück als Bannwald
und Landschaftsschutzgebiet „herausnehme“, sei nur eine Frage der Zeit –
beim Blick auf frühere Kreistagsbeschlüsse richtig.
Bis dato sind auch 5 Hektar, die Gauting im Gelände des Flughafens
Oberpfaffenhofen hat, nicht genutzt. Ein Ort, und das finden auch die
Gautinger Grünen, der genutzt werden sollte – ebenso wie fast 10 Hektar
naturschutzfreie Felder in einer Senke Richtung Unterbrunn. Hier will
Bürgermeisterin Kössinger ebenfalls Gewerbe ansiedeln. „Reicht doch!“,
sagen darob die Gegner der Bauidee im Unterbrunner Holz. Zumal auf diesen
Feldern möglichst örtliche Betriebe gefördert werden sollen. Außerdem
entsteht bereits ein kleinerer „Handwerkerhof“ im Ort.
„Reicht doch!“: Am Unterbrunner Stammtisch vom Gasthof Böck drückt es
derweil ein Metzger ähnlich aus, jedoch mundartlicher. Der stämmig kleine
Mann ist zum Handyklang „Bayerischer Defiliermarsch“ eingezogen. Sitzend
vor einer halben Bier positioniert er sich zum kommunalen Hickhack zwischen
Gilching und Gauting. „Mei“, sagt er und drückt den Marsch energisch weg,
„mei, Gilching hat doch schon so viel, jetzt will Gauting den Wald da
zubauen. Schluss mit immer noch mehr Geraffel! Wer braucht des alles?“
Später ertönt erneut der Defiliermarsch des Metzgers. Der erhebt sich vom
Stammtisch, dreht sich zum Herrgottseck. Im Abgang begriffen, ruft er: „Und
wer soll sich des alles leisten können? I net.“
Ob es also „Bayern am Ende gut gehen wird“, wie es jüngst
CSU-Generalsekretär Markus Blume verkündet hat? Die Frage bleibt im
bebauten – und, solange es ihn noch gibt – unbebauten Raum bestehen.
Hymnisch ausgedrückt: „Gott mit dir, du Land der Bayern!“
10 Nov 2018
## LINKS
[1] /Naturschutz-in-Bayern/!5518056
[2] /Kommentar-Flaechenfrass-in-Bayern/!5517971
## AUTOREN
Harriet Wolff
## TAGS
Bayern
Gewerbegebiet
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Landtagswahl Bayern
Flächenverbrauch
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