# taz.de -- Osman Kavala im Gefängnis: Ein System aus Willkür und Unrecht | |
> Seit über einem Jahr sitzt der Istanbuler Philantrop Osman Kavala in | |
> Haft. Aus Deutschland bekommt er viel Unterstützung. | |
Bild: Wartet bis heute auf seine Anklageschrift: Osman Kavala | |
„Es schmerzt, zu erkennen, dass ein Staat keinen Wert auf die Freiheit der | |
eigenen Bürger legt.“ Kein Funken Verzweiflung lag in dem Satz, den Osman | |
Kavala seinen Freunden Mitte Oktober aus dem Gefängnis schrieb. Stattdessen | |
gab er sich so, wie man ihn kennt: mit klarer politischer Haltung, ohne | |
übertriebenes Aufheben von seiner Person zu machen. Grund dazu hätte er: | |
Seit über einem Jahr sitzt der Istanbuler Ex-Unternehmer nun [1][in | |
denselbem Gefängnis im Haft], in dem schon Deniz Yücel und Peter Steudtner | |
einsaßen. | |
Am 18. Oktober letzten Jahres war Kavala nach der Rückkehr aus Gaziantep an | |
der syrischen Grenze verhaftet worden, wo er zusammen mit dem | |
Goethe-Institut ein Projekt für Flüchtlinge vorbereitet hatte. Der Vorwurf | |
lautete, wie üblich, [2][„Terrorpropaganda“] und „Versuch, die | |
verfassungsmäßige Ordnung umzustürzen“. | |
In Wahrheit war dem Staat des Recep Tayyip Erdoğan Kavalas unermüdliches | |
Engagement für die Menschenrechte, gegen Zensur, für die Minderheiten in | |
der Türkei und die Freiheit der Kunst ein Dorn im Auge. Ungezählte Projekte | |
realisierte er mit seiner 2002 gegründeten Stiftung „Anadolu Kültür“, de… | |
Vorsitzender er ist. | |
„Osman Kavala wird in Haft gehalten, weil sein Engagement im Bereich der | |
Zivilgesellschaft der Regierung missfällt“, ist seine Stellvertreterin | |
Asena Günal überzeugt. Bislang Leiterin des Kunst- und | |
Menschenrechtszentrums „Depo“ unweit des Galata-Turms, führt sie jetzt die | |
Geschäfte, organisiert die Hilfe für ihren Chef. | |
## Warten auf die Anklageschrift | |
Bis heute wartet der 61-jährige Philantrop auf seine Anklageschrift. „Es | |
ist seltsam, das Antlitz der Justiz für ganze neun Monate nicht zu sehen“, | |
schrieb er in einem Brief im August. Zuletzt war Bewegung in den Fall | |
gekommen, als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im | |
September beschloss, seine Beschwerde wegen unrechtmäßiger Inhaftierung in | |
einem „beschleunigten Verfahren“ zu behandeln. | |
Untersuchungshaft darf nach der Europäischen Menschenrechtskonvention eine | |
bestimmte Frist nicht überschreiten. Das türkische Verfassungsgericht muss | |
dem EGMR bis zum nächsten Januar eine Erklärung zur Verhaftung vorlegen. | |
So sehr sich der türkische Präsident dieser Tage im Fall Khashoggi als | |
Aufklärer inszeniert, so sehr ist der Fall Kavala der lebende Beweis für | |
das System aus Willkür und Unrecht, in das er sein Land beharrlich | |
verwandelt hat. Der Fall Kavala ist aber auch einer der türkischen | |
Bourgeoisie und ihrer moralischen Ambivalenz. | |
Bislang hat sich keiner der vermögenden Familien-Clans der gleichfalls | |
kulturverliebten Koçs, Sabancıs, Eczacıbaşıs oder Çetindoğans – zwei v… | |
ihnen wollen im kommenden Jahr zwei weitere private Kunstmuseen am Bosporus | |
eröffnen – mit einem deutlich vernehmbaren Wort des Protestes gegen die | |
Verhaftung ihres Unternehmer-Kollegen Kavala vernehmen lassen. | |
## Die Verhaftung Kavalas war ein Signal | |
Nur die Kultur- und Menschenrechtsszene hält die Solidaritätskampagne am | |
Laufen. Regelmäßig versammeln sich seine Anhänger zu Solidaritäts-Meetings | |
vor dem Gefängnis, pflegen eine Website, versammeln sich in aller Welt zu | |
Gruppenfotos mit dem Motto [3][„Free Osman Kavala“], mit denen sie dann die | |
sozialen Medien fluten, zählen öffentlich die Tage seiner Internierung, um | |
bloß nicht die Erinnerung an den stillen Mann mit dem graumelierten Bart | |
schwinden zu lassen. | |
Eine Gruppe internationaler Wissenschaftler hat in einem offenen Brief an | |
Staatspräsident Erdoğan seine Freilassung gefordert, unter ihnen die | |
Politologin Seyla Benhabib und der Historiker Timothy Garton Ash. Seit dem | |
Ende des Ausnahmezustands in der Türkei im Juli dürfen ihn immerhin seine | |
Anwälte, seine Ehefrau Ayşe Buğra, eine Ökonomie-Professorin an der | |
Istanbuler Boğaziçi-Universität und einzelne Bekannte häufiger sehen. | |
Die Verhaftung Kavalas war ein klares Signal an die liberale Bourgeoisie im | |
Lande, die jetzt so schön stillhält, es nicht zu weit zu treiben mit ihrer | |
Unterstützung der widerständigen Kultur. Mit ihrem Schweigen geben die | |
Mäzene aber die falsche Antwort. Denn wenn sie, was nicht unwahrscheinlich | |
ist, eines Tages selbst an der Reihe sind, werden wahrscheinlich nicht mehr | |
viele da sein, die dann für sie eintreten können. | |
31 Oct 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Nach-der-Verhaftung-Osman-Kavalas/!5471910 | |
[2] /Festnahmen-in-der-Tuerkei/!5483127 | |
[3] http://www.osmankavala.org/en/ | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
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