# taz.de -- Nach der Verhaftung Osman Kavalas: Ein Signal an die liberale Türk… | |
> Mit der Verhaftung des Kunstmäzens Osman Kavala ist nun auch die liberale | |
> Kunstszene in der Türkei ins Visier des AKP-Regimes geraten. | |
Bild: Osman Kavala, Vorsitzender des Kultur instituts Anadolu Kültür, währen… | |
Ein feuerroter Drache, der einen Phönix küsst, türkisfarbene Pfauen | |
schweben neben Regenbogenschlangen, friedlich umschwirren sich blaue | |
Fische, ein gefleckter Panther und ein grün schillerndes Krokodil. Immer | |
wieder bleiben Passanten dieser Tage auf Istanbuls Einkaufsmeile İstiklâl | |
Caddesi staunend vor dem kunterbunten Zoo aus Stofftieren stehen, der im | |
Erdgeschoss des Kunsthauses Arter aufgebaut ist. | |
„Animal Kingdom“hat die türkische Künstlerin Canan die farbenfrohe | |
Installation genannt, die in ihre Schau „Behind Mount Qaf“einlädt. | |
Vielleicht ist es die Aussicht auf die Idylle, die so viele Besucher in das | |
private Museum lockt. Der Berg aus der persischen Mythologie gilt als | |
Ursprung der Erde, der nur nach langer, beschwerlicher Reise zu erreichen | |
ist. In der Jetztzeit der türkischen Diktatur wird er plötzlich zum Symbol | |
für den Weg vorwärts, aller Verzweiflung zum Trotz. | |
Denn weiter entfernt von einer Welt, in der Löwen zu Lämmern werden, könnte | |
die Türkei derzeit kaum sein. Jüngstes Beispiel: die Verhaftung Osman | |
Kavalas Mitte Oktober. Drei Monate sitzt der bekannte türkische Kunstmäzen | |
nun schon in Untersuchungshaft. Ein Schicksal, das er mit vielen türkischen | |
Intellektuellen teilt. Doch nach dieser Verhaftung macht sich niemand mehr | |
Illusionen über den Ernst der Lage. Denn Kavala ist nicht irgendwer. | |
Der 1957 geborene Ökonom und Erbe eines Firmenimperiums gehört zu den | |
wichtigsten Intellektuellen des Landes. 1999, nach dem schlimmen Istanbuler | |
Erdbeben, entschied sich Kavala, nur noch als Philantrop zu wirken. 2002 | |
gründete er die Stiftung Anadolu Kültür, die sich besonders der Kultur der | |
Minderheiten in der Türkei widmet. Sie unterhält Filialen in der | |
armenischen Stadt Kars und im kurdischen Diyarbakır. | |
## Der Kunstbetrieb im Visier | |
2008 folgte das Istanbuler „Depo“. Das alte Tabakwarenlager, einen | |
Steinwurf von Istanbuls Galata-Turm entfernt, fungiert als | |
Ausstellungshalle. Hier arbeiten aber auch Menschenrechtsgruppen, die die | |
Gewalt gegen die kurdische Zivilbevölkerung im Südosten aufarbeiten. Hier | |
dokumentiert die Organisation Siyah Bant (Black Tape) Zensurfälle in der | |
Türkei. | |
Im Hinterhof des historischen Gebäudes, 2005 erstmals von der | |
Istanbul-Biennale als Kunst-Raum genutzt, umgeben von Teestuben, Dönershops | |
und kleinen Handwerkern, funkt das Açık Radyo. Der 1995 gegründete, | |
mehrfach ausgezeichnete Non-Profit-Sender war durch seine unabhängige | |
Berichterstattung über den Gezi-Aufstand aufgefallen. | |
Schon lange hatte man sich gewundert, dass ausgerechnet dieser Verbund der | |
ästhetisch-politischen Gesellschaftsreflexion nach dem missglückten Putsch | |
vom Sommer 2016 von den Verbotswellen gegen Hunderte Initiativen der | |
Zivilgesellschaft verschont geblieben war. | |
Kavalas Verhaftung sandte Schockwellen durch die Szene. Zum ersten Mal nach | |
der Verurteilung der kurdischen Künstlerin Zehra Doğan im Sommer, ist der | |
bis dahin einigermaßen unbehelligte Kunstbetrieb der Türkei direkt ins | |
Visier der Staatsmacht geraten. Denn um ein Versehen der Behörden kann es | |
sich bei diesem Mann nicht handeln. | |
## Investitionen in die Zivilgesellschaft | |
Der Mann mit dem charakteristischen graumelierten Lockenkopf und | |
Backenbart, der den Spitznamen „Der rote Millionär“trägt, war wiederholt | |
öffentlich attackiert worden. Kavala ist nicht ganz so reich wie die | |
anderen kunstliebenden Industriellenclans des Landes. In den Augen des | |
Regimes dürfte er aber als der gefährlichere Repräsentant der säkularen | |
Großbourgeoisie gelten. | |
Während sich die Koçs, Sabancıs und Eczacıbaşıs aufwändige private | |
Kunstmuseen bauen oder spektakuläre Kulturevents wie die | |
Istanbul-Biennale, Jazz-, Theater oder Filmfestivals sponsern, unterstützt | |
der Antimilitarist die vielen kleinen Projekte und Vereine der türkischen | |
Zivilgesellschaft. | |
Als der 60-Jährige am Istanbuler Flughafen verhaftet wurde, kam er gerade | |
aus Gaziantep, wo er mit dem deutschen Goethe-Institut eine Kulturstiftung | |
für syrische Flüchtlingskinder gründen wollte. Zu seinen zahllosen | |
Initiativen zählt auch die Gründung eines türkisch-armenischen | |
Jugendorchesters. | |
## Der „Soros der Türkei“ | |
Der AKP ist ein Dorn im Auge, dass seine Stiftung von der „Open Society“des | |
amerikanisch-ungarischen Milliardärs und Philantropen George Soros | |
unterstützt wird. Unmittelbar nach Kavalas Verhaftung denunzierte Präsident | |
Erdoğan ihn als „Soros der Türkei“. Vor der AKP-Parlamentsfraktion in | |
Ankara donnerte der unnachgiebige Präsident: „Wir bleiben hart gegen alle, | |
die diese Nation von innen heraus bedrohen.“ | |
Nun sitzt auch der freundliche, stille Mann mit den ausgesuchten | |
Umgangsformen im Untersuchungsgefängnis Silivri, Europas größtem Knast im | |
Westen Istanbuls. Zusammen mit Angeklagte wie dem deutsch-türkischen | |
Journalisten Deniz Yücel, den Intellektuellen Ahmet und Mehmet Altan oder | |
dem Investigativ-Journalisten Ahmet Şık. | |
Mit seiner Internierung setzt Erdoğan ein unübersehbares Signal an die | |
liberale Bourgeoisie, es nicht zu weit zu treiben mit der Promotion der | |
liberalen Öffentlichkeit, deren Erhalt sie sich von der Kunst erhoffen. | |
Er sendet aber auch ein Zeichen an die Organisationen der internationalen | |
Zivilgesellschaft, dem Goethe-Institut oder der niederländischen | |
Prince-Claus-Stiftung. Wer mit unseren Gegnern paktiert, so Erdoğans | |
Botschaft, landet in der Terror-Ecke, wird als „Agent“feindlicher Mächte | |
gebrandmarkt. | |
Wohl auch aus diesem Grund hat das Berliner Maxim Gorki Theater die | |
Notbremse gezogen und eine Petition von fast 200 Künstlern und | |
Intellektuellen für die Freilassung Kavalas lanciert. „Die Türkei darf kein | |
geschlossenes Land werden“,hatte der dort im letzten Jahr deutsche | |
Kulturschaffende beschworen, den Kulturaustausch mit seiner Heimat nicht | |
abzubrechen. Nun sitzt Kavala selbst in Isolation. | |
Wie sehr sich die Stimmung gedreht hat am Bosporus, zeigte sich ebenfalls | |
im Oktober. Eine Gruppe von Protestierenden war in den | |
Abdülmecid-Efendi-Pavillon, einen Palast aus dem 19. Jahrhundert, | |
eingedrungen, der die Kunstsammlung des Industriellen Ömer Koç beherbergt. | |
Wie schon die religiösen Fanatiker, die auf der Istanbuler Kunstmesse im | |
vergangenen Winter Sturm gegen eine Statue liefen, die Sultan Abdülhamid | |
II. mit einer Frau im Bikini auf der Brust zeigte, fühlten sich die | |
Protestler diesmal von der Skulptur eines nackten Kauernden des | |
australischen Künstlers Ron Mueck verletzt. | |
Dass die Mischung aus wachsender Intoleranz und nackter Gewalt die bis vor | |
Kurzem noch übermütige, kritikverliebte Kunstszene in ein Schattenreich | |
verwandelt habe, in dem nur noch „harmlose, dekorative“Kunst Chancen habe, | |
wie der Kurator Necmi Sönmez kürzlich behauptete, stimmt so pauschal nicht. | |
Das bewies die Istanbuler Kunstwoche Anfang September samt einer durchaus | |
politischen Biennale. Selbst der Ende 2015 unter mysteriösen Umständen | |
geschlossene Art Space „Salt Beyoğlu“soll demnächst wieder öffnen. | |
Doch der Stoßseufzer „Wir haben den Glauben an Demokratie, Frieden und die | |
Herrschaft des Rechts verloren“, den Ayşe Buğra, Ehefrau Osman Kavalas und | |
Wirtschaftsprofessorin an der Istanbuler Bosporus-Universität kürzlich | |
ausstieß, ist nicht übertrieben. | |
## Im Berliner Exil | |
Immer mehr Künstler- und Kurator*innen haben sich inzwischen eine Exklave | |
in der neuen Hauptstadt der türkischen Kultur-Diaspora zugelegt – Berlin. | |
Der ästhetische Jungspund Ahmet Ögüt ebenso wie Gülsün Karamustafa, die | |
unerschrockene Grande Dame der türkischen Kunst. | |
„Jetzt ist nicht die Zeit für Helden“,erklärt auch Selda Asal die Vorsicht | |
vieler türkischer Künstler*innen. Die Videokünstlerin hat schon 2012 ihr | |
legendäres „Apartment Project“, Istanbuls 1999 gegründeten, ersten | |
unabhängigen Art Space, von Beyoğlu nach Berlin-Neukölln verlegt. | |
Aber so ist es mit den Utopien einer anderen, besseren Welt. Zu ihr gelangt | |
man nur durch ein Fegefeuer. „Purgatory“hat die Künstlerin Canan eine der | |
Arbeiten in ihrer „Mount Qaf“-Ausstellung genannt. Auf einem rotierenden | |
Tüllvorhang in Schwarz und Grau sieht man eine fragile Frauengestalt in die | |
Dunkelheit aufsteigen, umgeben von Vögeln und Engeln. | |
16 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
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