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# taz.de -- Mossul nach der IS-Herrschaft: Kultur statt Kalifat
> Der IS wurde aus der irakischen Stadt vertrieben, aber viele Viertel
> liegen noch in Trümmern. Künstler wollen sich ihre Stadt nun zurückholen.
Bild: Auf einigen Straßen Mosuls ist wieder der Alltag eingekehrt
Mossul | taz Ein beschäftigter Morgen in einer ganz normalen Stadt. Der
Morgenverkehr rauscht auf der Universitätsbrücke – unter einer Brücke
durch, wo sich Bücher zum Verkauf stapeln, vorbei an einer belebten
Häuserzeile: Restaurants, Cafés, Shisha-Bars. In der Kurve liegt der
Haupteingang zum Universitätscampus. Und erst die Trümmer hinter dem
massigen Beton-Bogen rufen einem wieder ins Gedächtnis, dass die Normalität
hier in Mossul vor Kurzem noch anders aussah.
Saleh Elias sitzt im Qantara, dem Büchercafé, das er vor ein paar Monaten
eröffnet hat. Es liegt mitten an jener belebten Straße im zweiten Stock
eines unauffälligen Gebäudes. Im Eingangsbereich stehen Regale voller
Nietzsches und Kafkas, an den Wänden hängen Fotografien von der zerstörten
Altstadt Mossuls, außerdem ein orangefarbener Overall und ein paar
Handschellen. Das mag manche seiner Kunden irritieren, gibt Elias zu, und
sagt: „Es ist wichtig, daran zu erinnern, was unsere Stadt durchlebt hat.
Nur so können wir sicher sein, dass es nicht wieder geschieht.“
Etwas über ein Jahr ist es her, seit die irakische Armee Mossul vom
„Islamischen Staat“ befreit hat. Die Terrormiliz hatte drei Jahre lang über
die Stadt geherrscht. Damals gab es keine Shisha-Bars, denn Rauchen war
verboten. Die Buchhändler unter der Brücke waren nicht da, stattdessen
zündete der IS jeden Freitag Bücher in der Zentralbibliothek der
Universität an. Statt Musik aus den Cafés und Autos schallte nur der Ruf
des Muezzins über die Stadt.
Vom Fenster des Qantaras aus sieht man die Ruinen der Universität auf der
gegenüberliegenden Straßenseite. Der Frieden in Mossul ist noch jung und
die Spuren des Krieges sind allgegenwärtig – vor allem auf der anderen
Seite des Tigris. Hier am Ufer des Flusses liegt die Altstadt von Mossul,
die frühere Seele der Stadt. Manche Viertel der Altstadt liegen komplett in
Trümmern, darunter verwesen selbst ein Jahr nach der Befreiung noch
Hunderte Leichen von IS-Kämpfern – manche mit scharfen Sprenggürteln um den
Bauch. Der Wiederaufbau kommt kaum voran. Von den ursprünglich rund 200.000
Bewohnern der Altstadt kehrten erst 600 Familien zurück.
## Das Aufblühen einer Kulturszene
Im Universitätsviertel jedoch auf der östlichen Flussseite hat sich längst
der Alltag die Straßen zurückgeholt. Und hier sind es nicht nur Shisha-Bars
und Restaurants, die wieder eröffnet haben. Seit der Befreiung der Stadt im
Sommer 2017 erlebte Mossul das Aufblühen einer Kulturszene, wie es in den
letzten Jahrzehnten kaum möglich war. Aktivisten organisieren Festivals,
Musiker Freilichtkonzerte, es gibt Lesungen und viele, vor allem junge
Bewohner engagieren sich freiwillig: Sie räumen die Straßen frei vom
Schutt, verteilen Lebensmittel an arme Familien oder bergen die
verbliebenen Bücher aus der Zentralbibliothek der Universität.
Die Idee für einen Ort wie das Café Qantara trägt Elias Saleh schon seit
Jahren mit sich herum: ein Treffpunkt für die Intellektuellen der Stadt,
ein Ort, wo nicht nur Kaffee getrunken wird, sondern auch Konzerte,
Lesungen oder Vorträge stattfinden.
Er will Mossul wieder zu dem machen, als das es bekannt gewesen war: eine
Stadt, in der Bildung und Kultur einen hohen Stellenwert genießen. Ein
arabisches Sprichwort etwa sagt: Bücher werden in Ägypten geschrieben, im
Libanon gedruckt und im Irak gelesen.
Es mag trivial klingen. Doch gerade in Mossul, wo Kultur stets eine
prägende Rolle gespielt hat, wurden Künstler und Intellektuelle Jahre- wenn
nicht Jahrzehnte lang eingeschränkt und unterdrückt. Unter dem Regime von
Saddam Hussein war die Kulturszene beinahe vollständig unter der Kontrolle
des Staates – und diente dem Diktator als Instrument für seine Propaganda.
Nach dessen Sturz hatten viele Künstler die Hoffnung, nun endlich frei
arbeiten zu können.
Stattdessen versank ihr Land im Krieg. Mossul wurde zu einer Hochburg für
islamistische Milizen, die die Stadt im Würgegriff hatten wie eine Mafia.
Wer ein Geschäft betrieb, musste jeden Monat Schutzgeld bezahlen. Künstler
und Universitätsprofessoren wurden zum Ziel von Mordanschlägen. Saleh, der
zu jener Zeit als Journalist arbeitete, ging im Trainingsanzug zu
Interviews. Es war seine Tarnung. Für die Eröffnung eines Cafés, das auch
säkulare Bücher verkauft, wäre er höchstwahrscheinlich umgebracht worden.
Die Befreiung Mossuls beendete nicht nur die drei Jahre
Schreckensherrschaft des IS. Sondern auch das Geflecht an Milizen, die
Armee-Angehörige ebenso ermordeten wie Journalisten und
Universitätsprofessoren. Sie waren es, die dem Kalifat über Jahre hinweg
den Weg geebnet hatten.
Als der IS in Mossul die Kontrolle übernahm, floh Saleh nach Bagdad. Als
Journalist berichtete er weiter darüber, was in Mossul geschah. Es sei eine
schwierige Zeit gewesen, sagt er, zermürbend, aus der Ferne zu sehen, wie
der IS den Alltag und das Leben der Menschen in seiner Stadt zur Hölle
machte.
Doch selbst dem IS gelang es nicht, das kulturelle Leben ganz abzutöten. In
ihren Häusern machten manche Künstler weiter, sie malten heimlich, sie
luden sich verbotene Bücher als PDF-Datei auf ihr Handy oder schrieben
Texte über den Alltag unter dem IS.
## Musik ist mehr als eine sinnlose Beschäftigung
Einer von ihnen ist der Oud-Spieler Khaled al-Rawi. Das Instrument Oud, das
vermutlich am nächsten mit der Laute verwandt ist, hat ihre Wurzeln in
Mesopotamien – im heutigen Irak. Obwohl dieses Instrument sehr zur
Tradition dieses Landes gehört, wüssten nicht viele Leute, wie es zu
spielen sei. Musikunterricht hatte schon zur Zeit Saddam Husseins keine
Bedeutung. Und die Islamisten, die nach seinem Sturz Mossul terrorisierten,
sahen in der Musik Teufelswerk.
Jetzt aber, sagt al-Rawi, würden wieder mehr Leute anfangen, das Instrument
zu lernen. Er selber unterrichtet Kinder und spielt nebenher mit drei
Freunden in einer Musikgruppe. Einmal hätten sie auf der Straße in Mossul
gespielt, erzählt er. Die Passanten seien stehen geblieben, überrascht,
viele von ihnen hätten noch nie Musiker auf der Straße spielen sehen. „Als
wir unser Stück beendeten, hat niemand geklatscht“, sagt al-Rawi. Nicht,
weil es den Leuten nicht gefallen hätte. Sondern weil sie einfach nicht
wussten, dass man nach einer Aufführung normalerweise klatscht.
Al-Rawi war schon als Kind von dem Instrument fasziniert. Doch seine Eltern
hielten Musik eher für eine sinnlose Beschäftigung. Erst Ende 2013 kaufte
er sich seine erste Oud – ein halbes Jahr, bevor der IS Mossul überrannte.
Doch al-Rawi verbrachte nicht einen Tag, ohne zu spielen. Er blieb meistens
zu Hause in seinem Zimmer und zupfte die Saiten mit den Fingern statt mit
dem Plastikstiel, den man eigentlich zum Spielen verwendet. Der Ton sollte
nicht zu laut werden.
Manchmal, wenn er die Enge nicht mehr aushielt, setzte er sich in den
Garten und spielte. „Wenn die Religionspolizei das mitgekriegt hätte,
hätten sie mich umgebracht“, sagt er. Einmal, 2016 war das, da saß er im
Garten und wollte gerade ansetzen zum Spielen, als es an der Tür klopfte.
Es war ein Freund von ihm. Doch als al-Rawi das Tor öffnete, sah er, wie
eine Gruppe IS-Kämpfer gerade ins Nachbarhaus ging. Er wartete, bis sie weg
waren. Dann spielte er. Er machte ein Video davon und postete es auf
Instagram. Es war eine kleine Botschaft aus dem Kalifat an die Welt, dass
es immer noch Leute in Mossul gibt, die sich nicht unterkriegen lassen.
Als sein Viertel befreit wurde, setzte er sich zum ersten Mal draußen in
den Friseursalon, den er in seiner Straße betrieben hatte. „Das Gefühl von
Freiheit, das ich in dem Moment empfand, ist unbeschreiblich“, sagt er.
„Man weiß erst, wie wertvoll sie ist, wenn sie einem genommen wurde.“
2 Nov 2018
## AUTOREN
Meret Michel
## TAGS
Zerstörung
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