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# taz.de -- Buch zu Geopolitik hinter der Finanzkrise: Das große Beben ins Heu…
> Historiker Adam Tooze hat ein Buch über die Geopolitik hinter der
> Finanzkrise geschrieben. Er will zeigen, wie der Crash die Welt
> veränderte.
Bild: Wo landet all das Geld? Laut Adam Tooze spielte die EZB eine zwiespältig…
Adam Tooze hat ein neues Buch geschrieben. Das allein ist schon eine
Nachricht. Denn der Brite gehört zu den wichtigsten Wirtschaftshistorikern
weltweit und ist dafür bekannt, dass er auch viel beackerte Gebiete
gründlich umpflügen kann. Vor allem sein Bestseller „Ökonomie der
Zerstörung“, im Jahr 2006 erschienen, war eine Sensation: Tooze hat dort
die Aufrüstungspolitik des Nationalsozialismus neu gedeutet und das
angebliche Organisationstalent Albert Speer entzaubert.
Seither sind die Erwartungen hoch, wenn Tooze ein Buch veröffentlicht. In
„Crashed“ hat er sich die Finanzkrise 2008 vorgenommen. Aber anders als
beim Nationalsozialismus hat Tooze diesmal keine eigenen umwälzenden
Erkenntnisse zu bieten, sondern bedient sich vor allem bei Studien, die von
Zentralbanken, Untersuchungsausschüssen, Thinktanks und Volkswirten
erarbeitet worden sind.
Neu ist nicht die Analyse, sondern der Fokus. Tooze verfolgt in seinem
800-Seiten-Wälzer einen geopolitischen Ansatz. Er spannt den Bogen von den
USA bis nach China, von der Eurokrise bis nach Georgien, von Russland bis
nach Südkorea, von Trump zum Brexit. Allerdings bleibt oft nicht viel Platz
für die einzelnen Länder. Es drängt sich der Verdacht auf, dass Tooze
selbst auch wusste, wie gering der Neuigkeitswert ist – und dass er durch
den schieren Umfang der Materie zusätzlich punkten wollte. Diese Sorge wäre
gar nicht nötig gewesen: „Crashed“ ist gut geschrieben und technisch
versiert. Tooze versteht, wie Finanzmärkte funktionieren, und erklärt ihre
Mechanismen so anschaulich, dass auch Laien folgen können.
Zudem arbeitet er einige Zusammenhänge eindrucksvoll heraus. Er zeigt, dass
die europäischen Banken wie überdimensionierte Hedgefonds operierten: Sie
liehen sich Dollars – um diese dann weiterzuverleihen. Dieser Kreisverkehr
des Geldes konnte nur Profit und Boni abwerfen, indem die europäischen
Banken ins Risiko gingen: Am Ende hielten sie 29 Prozent der toxischen
US-Papiere.
## Unmittelbar vor dem Zusammenbruch
In der Finanzkrise tauchte daher ein Doppelproblem auf: Es drohten nicht
nur Verluste, auch der Dollar-Kreisverkehr stoppte abrupt. Die europäischen
Banken wären sofort zusammengebrochen, wenn die US-Notenbank Fed nicht
unbegrenzt Dollar zur Verfügung gestellt hätte. Es war eine historisch
einmalige Aktion, und die Fed wurde ihrer Rolle gerecht: Der Dollar kann
nur weltweite Leitwährung sein, wenn die US-Notenbank globale Verantwortung
übernimmt.
Diese grenzüberschreitende Weitsicht fehlte der Europäischen Zentralbank
(EZB), als Osteuropa in den Strudel der Finanzkrise geriet. Vor allem die
Ungarn hatten viele Kredite in Fremdwährungen wie Euro oder Yen aufgenommen
– konnten diese Darlehen aber kaum noch bedienen, als der Forint abstürzte.
Die Ungarn hätten Euro-Kredite der EZB benötigt, doch genau diese Hilfe
wurde verwehrt. Anders als die Fed versagte die EZB, was zu einem großen
Teil erklärt, warum der rechtspopulistische Orbán in Ungarn an die Macht
kommen konnte.
Überhaupt beschreibt Tooze sehr präzise, wie eingeschränkt die Optionen der
EZB waren. Sie konnte nur agieren, wenn die Deutschen zustimmten. Dies galt
auch für die berühmte Rede von EZB-Chef Mario Draghi, als er im Sommer 2012
ankündigte, man werde „alles“ tun, um den Euro zu retten. Diese Ansage
konnte nur wirken, weil Kanzlerin Merkel ihn gewähren ließ.
So erhellend einige Details sind: Sie können nicht den Anspruch einlösen,
eine völlig neue Sicht auf die Finanz- und Eurokrise zu bieten. Um dennoch
Neuigkeitswert zu erzeugen, versteigt sich Tooze zu einer radikalen These:
Er will zeigen, dass die „gängige Erzählung auf beiden Seiten des
Atlantiks“ falsch sei, die in der Euro-Krise ein „separates und
eigenständiges Ereignis“ sieht. Bei ihm hingegen soll sie „direkt aus dem
Schock von 2008 folgen“. Mit diesem Ansatz unterschätzt Tooze nicht nur die
Euro-Krise – sondern negiert auch die Stärken seines eigenen Buchs. Es
beschreibt nämlich präzise, welche Eigendynamik sich entwickelt, wenn 19
Nationalstaaten in einer Währung mit einer Zentralbank zusammengeschweißt
sind.
Tooze endet mit der Prognose, dass Europa abgehängt sei, während die
Zukunft den USA und Asien gehöre. Diese Vorhersage mag stimmen, ist aber
keineswegs originell – und passt damit bestens zum Buch.
29 Oct 2018
## AUTOREN
Ulrike Herrmann
## TAGS
Schwerpunkt Finanzkrise
EZB
Fed
Eurokrise
Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2024
Olaf Scholz
Lehman Brothers
Schwerpunkt Erster Weltkrieg
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