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# taz.de -- Geschichtsbuch über „Zwischenkriegszeit“: Schulden und eine ne…
> Zwischen den Kriegen auf der Suche nach einer neuen Weltordnung: Adam
> Tooze erzählt in „Sintflut“ über die Zeit zwischen 1916 und 1931.
Bild: So sah ein Gasangriff im Ersten Weltkrieg aus.
Der an der Yale University lehrende britische Historiker Adam Tooze wurde
bekannt, als er 2008 die auf spekulativen Annahmen beruhenden Thesen in
Götz Alys Buch über „Hitlers Volksstaat“ in seinem Buch „Ökonomie der
Zerstörung“ widerlegte.
Jetzt legt Tooze mit „Sintflut. Die Neuordnung der Welt 1916–1931“ eine
Studie zu jenen 15 Jahren vor, die man nur aus der Rückschau
„Zwischenkriegszeit“ nennen kann, die sich selbst jedoch eher als Zeit des
Aufbruchs verstand. So sehr diese Zeit auch geprägt war von dem
Verschwinden der großen Monarchien, der Revolution in Russland,
wirtschaftlicher Krise und sozialer, so stark war sie auch eine Zeit der
Suche nach Alternativen zur Vorkriegszeit.
Der Kriegseintritt der USA am 6. 4. 1917 markierte nicht nur eine
militärisch-politische Wende, sondern den Beginn einer neuen Epoche. Der
Entschluss des US-Präsidenten Woodrow Wilson (1856–1924) beruhte auf der
paradoxen Vorstellung, mit diesem Krieg einen „Frieden ohne Sieger“ zu
stiften. Die Weltordnung, die Wilson vorschwebte, sollte auf drei Säulen
ruhen: moralischer Autorität, militärischer Macht und wirtschaftlicher
Überlegenheit.
Der Vorwurf, Wilson habe seine Politik auf liberale Ideale und Illusionen
gestützt, läuft ins Leere, bei Kriegsende 1918 gab es nur einen einzigen
Sieger, der über Autorität, militärische Macht und wirtschaftliche
Überlegenheit verfügte: die USA. Insofern war Wilson kein utopischer
Idealist, sondern Realpolitiker, der die Welt im Eigeninteresse neu ordnen
wollte.
An die Stelle von imperialistischer Konkurrenz, wie sie vor 1914 zwischen
den europäischen Großmächten herrschte, sollte der freie Zugang zu den
Märkten und Meeren für alle treten. Hinter Wilsons Parole „Frieden ohne
Sieger“ stand die Vorstellung von einem „Überstaat mit Vetorecht“ – ei…
Rolle, die der Idee nach der Völkerbund übernehmen sollte, die aber
faktisch die USA selbst spielten. Dass es dazu kam, liegt an der Zwietracht
der Mitsieger Großbritannien, Frankreich und Italien, die sich schon auf
der Friedenskonferenz in Versailles in egoistische Kalküle verrannten.
## In den Ruin
Frankreich zum Beispiel beanspruchte 55 Prozent der deutschen Reparationen,
noch bevor man sich auf deren Höhe geeinigt hatte. Und der britische
Premierminister wollte auch Pensionszahlungen an Kriegerwitwen in die
Reparationsrechnung einbeziehen. Durch solche Ansprüche wurden die USA
förmlich in die Rolle des Schiedsrichters gedrängt. Nach Abschluss der
Friedensverhandlungen fand Wilson in Washington keine Mehrheit für den
Beitritt der USA zum Völkerbund. Der faktische Sieger konnte also bei der
Umsetzung der paradoxen Vorstellung vom „Frieden ohne Sieger“ offiziell gar
nicht mitwirken.
Inoffiziell dominierten die USA das Geschehen – auch und gerade gegenüber
den Verbündeten Großbritannien und Frankreich. Das zeigte sich in der
kompromisslosen Haltung der USA in der Frage der Schulden, die diese Länder
auf dem US-Finanzmarkt aufgenommen hatten. Die USA beharrten gegen jede
Vernunft auf Rückzahlung der Gesamtschuld beider Länder von etwa 10
Milliarden US-Dollar.
Statt mit einer Kombination von Schuldenerlass und großzügigen,
langfristigen Krediten die zerstörte europäische Wirtschaft wieder in Gang
zu bringen, stürzte man diese in ein Wechselbad von Deflation und
Inflation. Die Konsequenzen waren für den Verlierer Deutschland desaströs,
aber auch für Frankreich. Es musste als Mitsieger von 1918 viermal mehr
zahlen als bei der Niederlage von 1870/71. Ein Schuldenerlass gegenüber
Frankreich hätte das Land entlastet und gleichzeitig Deutschlands
Reparationen an Frankreich entsprechend verringert.
Angesichts des Drucks aus den USA erhöhte Frankreich seinerseits den Druck
auf Deutschland (Ruhrbesetzung) und trieb es in den Ruin. Fast gleichzeitig
musste Frankreich 1919 in den USA Refinanzierungskredite mit 6 bis 12
Prozent Zinsen aufnehmen, um Altschulden zu bedienen.
Tooze zeichnet die komplexen wirtschaftlichen und politischen Versuche
nach, eine neue Weltordnung zu begründen, und analysiert die Gründe für
deren Scheitern überzeugend. Der angelsächsischen Tradition historischen
Erzählens verpflichtet, verliert der 47-Jährige manchmal den Faden und
führt die Leser auf Abwege. Etwas mehr Konzentration auf die Hauptstränge
hätten dem Buch nicht geschadet.
18 Sep 2015
## AUTOREN
Rudolf Walther
## TAGS
Schwerpunkt Erster Weltkrieg
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Wirtschaftskrise
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