# taz.de -- Finanzministerium in der Nazi-Zeit: Hitlers willige Buchhalter | |
> Eine Historikerkommission erforscht die NS-Geschichte des | |
> Finanzministeriums. Im Zwischenbericht geht es um die gigantischen | |
> Schulden des Regimes. | |
Bild: Adoplf Hitler brauchte ein Finanzministerium mit gutem Ruf, um das Geld f… | |
BERLIN taz | Ins ehemalige Reichsluftfahrtministerium - einen strengen | |
Nazi-Bau, in dem heute Wolfgang Schäuble als Finanzminister residiert - lud | |
am Montag jene unabhängige Historikerkommission ein, die die Geschichte des | |
Reichsfinanzministeriums zur Zeit des Nationalsozialismus erforscht. Sie | |
gab einen zweiten Zwischenbericht ab, nachdem letzes Jahr über die | |
fiskalische Judenverfolgung referiert worden war. Diesmal stand die | |
Behördengeschichte des Ministeriums und seine Politik der Staatsschuld auf | |
der Agenda. | |
Die Historikerin Stefanie Middendorf stellte ihr Referat unter die | |
Überschrift "Hitlers Hauptbuchhalter?". War das Ministerium nur eine reine | |
Fachbehörde, hatte es keinerlei Einfluss auf die Durchführung der | |
Nazi-Strategie? Dies waren die zentralen Behauptungen gewesen, die in der | |
Nachkriegszeit vor allem von Minister Lutz Graf Schwerin von Krosigk nicht | |
ohne Erfolg verbreitet worden waren. | |
Schwerin, ein deutschnationaler Konservativer, arbeitete seit den zwanziger | |
Jahren führend im Finanzministerium, wurde bereits 1932 unter von Papen | |
Minister und blieb es bis 1945. Er wurde vom amerikanischen | |
Kriegsverbrecher-Gerichtshof zu zehn Jahren verurteilt, von denen er nur | |
eines absaß. Alle Verantwortung für die Durchführung der NS-Finanzpolitik | |
im Ministerium wurde auf den Staatssekretär Fritz Reinhardt abgeschoben, | |
einen glühenden Nazi, vor dessen ideologischer Besessenheit sich die | |
sachliche Arbeit der Beamten vorteilhaft abhob. | |
Middendorf untersucht die Karrieren der Ministerialbeamten, fast alles | |
Deutschnationale, oft Monarchisten. Für sie war es kein Problem, dass das | |
Budgetrecht schon vor 1933 dem Parlament entzogen wurde und dass unter der | |
Nazi-Herrschaft allmählich jede Publikation des Reichshaushaltes | |
unterblieb. Mit der Auflösung der Länderkompetenzen erreichten sie | |
Entscheidungsfreiheit in der Fiskalpolitik, die sie zur Mobilisierung der | |
Ressourcen für Hitlers Aufrüstungspolitik nutzten. Natürlich gab es da | |
Konflikte, vor allem mit den NS-Parteibehörden - ein Forschungsfeld, das | |
noch beackert werden muss. | |
## Milliarden aus den Sparkassen | |
Der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze stellte die Politik des Ministeriums | |
zu den Reichsanleihen und zum Staatskredit im "Dritten Reich" ins Zentrum. | |
Er benannte drei Quellen für die enorme Ausweitung des Staatshaushalts | |
unter den Nazis: Steuern, Ausbeutung besetzter Länder und die verschiedenen | |
Formen des Kredits. Das Steueraufkommen stieg von 1933 bis 1944 von 6,9 auf | |
38 Milliarden Reichsmark, die Kontributionen beliefen sich auf 23,6 | |
Milliarden. | |
Hingegen betrugen die Schulden aus der Kreditfinanzierung insgesamt | |
gigantische 379,8 Milliarden. Dem Finanzministerium und der Reichsbank | |
gelang es, drei Staatsanleihen teils bei Privaten, teils bei Institutionen | |
zu platzieren. Erst die vierte Anleihe, emittiert während der Sudetenkrise, | |
wurde zum Flopp. | |
Während des Krieges zweigte das Ministerium Milliarden aus dem bei den | |
Sparkassen gesammelten Vermögen ab. Dieser alles andere als "geräuschlose" | |
Vorgang war von Sparpropagandaoffensiven des Regimes begleitet. Indem das | |
Reichsfinanzministerium als angeblich zuverlässige Behörde fungierte, | |
verstärkte sie das Vertrauen in die Bonität der Anleihen - Hitlers | |
"Endsieg" vorausgesetzt. | |
2 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Christian Semler | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Finanzkrise | |
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