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# taz.de -- Dankesrede von Aleida und Jan Assmann: Die Nation ist kein heiliger…
> Erinnern ist für den Einzelnen wie für die Gesellschaft elementar, sagten
> Aleida und Jan Assmann in ihrer Rede zur Verleihung des Friedenspreises.
Bild: Jan und Aleida Assmann bei ihrer Dankesrede in der Paulskirche
So oft kommt es nicht vor, dass Paare über Jahrzehnte hinweg miteinander
arbeiten, sich in einem produktiven Dialog befinden und gemeinsam Bücher
schreiben. Oft „hält“ einer dem anderen „den Rücken frei“, wie das Kl…
besagt.
Bei Aleida und Jan Assmann aber handle es sich nicht um bloße
Arbeitsteilung. Ihre Leidenschaft sei auch nicht zur Synthese verkommen,
sondern gründe auf ihrer Verschiedenheit, sagte Laudator Hans Ulrich
Gumbrecht bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels
an das Paar am Sonntagvormittag.
Wie um das zu illustrieren, traten Aleida und Jan Assmann bei ihrer
Dankesrede abwechselnd ans Pult der Paulskirche, durch deren hohe Fenster
die Sonne strahlte. Was Gumbrecht nicht getan hatte, die intellektuelle
Arbeit der Assmanns anhand ihrer einflussreichen Theorie des kulturellen
Gedächtnis zu exemplifizieren, taten die beiden dann selbst: „Kulturelles
Gedächtnis, so unsere These, ist das Ergebnis unablässiger kultureller
Arbeit.“
Dabei blickten sie auf andere Paare zurück, die an diesem Ort ihre Gedanken
entwickelten. Hannah Arendt hat vor 60 Jahren die Laudatio auf Karl Jaspers
gehalten. 1970 wurde Alva und Gunnar Myrdal der Preis verliehen. „Jaspers
verstand Öffentlichkeit als eine Kampfzone, in der sich die Wahrheit
unablässig gegen die Unwahrheit behaupten muss. In der Unwahrheit sah er
‚das eigentlich Böse, jeden Frieden Vernichtende‘“, sagte Aleida Assmann.
## Der Begriff der „Milieuvergiftung“
Später erinnerte Aleida Assmann daran, dass von Gunnar Myrdal der Begriff
der „Milieuvergiftung“ stammt. Sie trete ein, wenn nationalistische Politik
Entsolidarisierung befördere, „indem sie Hass auf Schwächere oder Fremde
schürt“.
Es war zu erwarten gewesen, dass die Assmanns als Theoretiker des
kulturellen Gedächtnisses über die Herausforderungen durch Fake News und
„handfesten Betrug, zum Beispiel der Autoindustrie bei der Manipulation von
Abgaswerten“, sprechen würden. Entscheidend sind ihre Überlegungen zum
Zusammenhang von Gedächtnis und Gesellschaft, Erinnerung und Politik.
Jede Gesellschaft brauche ein Gedächtnis, „wie der Einzelne eins braucht:
um zu wissen, wer wir sind und was wir erwarten können, um uns zu
orientieren und zu entwickeln“. Eine Schlüsselfrage sei daher, wie exklusiv
oder inklusiv das nationale Wir sei, das durch Identität und Identifikation
entsteht?
„Sich wiedererkennbar zu halten“ ist für Jan und Aleida Assmann Aufgabe
eines kulturellen wie eines nationalen Gedächtnisses. Dabei könnten wir
aber nicht mehr an alte Fantasien vom Stolz der Nation anknüpfen. „Die
Nation ist kein heiliger Gral, der vor Befleckung und Entweihung –
Stichwort ‚Vogelschiss‘ – zu retten ist, sondern ein Verbund von Menschen,
die sich auch an beschämende Episoden ihrer Geschichte erinnern und
Verantwortung übernehmen für die ungeheuren Verbrechen, die in ihrem Namen
begangen wurden. Hier ist ein wichtiger Unterschied zu beachten: Beschämend
ist allein diese Geschichte, nicht aber die befreiende Erinnerung an sie,
die wir mit den Opfern teilen.“ Dafür gab es viel Applaus.
## Ein Rest des nicht Teilbaren
So wichtig die Erinnerung an die deutschen Verbrechen ist, so gewagt
erscheinen die Idee ihres befreienden Charakters und die Vorstellung des
Teilens. Ob „wir“ uns durch Erinnerung an die Verbrechen der Altvorderen
„befreien“ können, ist nicht ausgemacht – zumal offen bleibt, wovon. Und…
stellt sich die Frage, ob die Nachkommen der Täter mit den Nachkommen der
Opfer diese Erinnerung teilen können, ohne dass ein Rest des eben nicht
gemeinsam Teilbaren bliebe.
Am Ende verwies Aleida Assmann auf einen Konflikt, der deutlich macht, wie
umkämpft das kulturelle Gedächtnis dort ist, wo Interessen und Erzählungen
miteinander im Konflikt liegen. Die Stadt Hebron, die im von Israel
kontrollierten Westjordanland liegt, hat einen Antrag auf Anerkennung der
Altstadt als Weltkulturerbe gestellt, der von der Unesco angenommen wurde.
Der Antrag sei ein Politikum, weil er nur sehr selektiv auf die Geschichte
des Ortes Bezug nehme, sagte Aleida Assmann.
## Nicht der Wahrheitsanspruch trennt
Der Antrag Hebrons bezieht sich nur auf die muslimische Geschichte des
Orts, nicht aber auf die jüdische und christliche. Eine Lösung könnte im
Konflikt selbst liegen, meint Aleida Assmann, wenn die Schichten der
Geschichte als ein gemeinsames, „palästinensisch – Bindestrich –
israelisches Weltkulturerbe“ angenommen würden. Was hier trenne, sei „der
ausschließliche Anspruch auf Wahrheit“, und hinzuzufügen ist wohl in diesem
Kontext: der konkurrienden monotheistischen Religionen.
Was die Parteien in Hebron voneinander trennt, ist aber nicht vorrangig ein
Wahrheitsanspruch zweier Monotheismen. Die religiös-kulturellen Ansprüche
auf den Ort werden von den Hardlinern beider Seiten benutzt, um aus einem
politischen Konflikt erst einen religiösen zu machen.
Aleida und Jan Assmann kündigten an, ihr Preisgeld an drei Initiativen zu
verteilen. Auch diese Ankündigung wurde mit viel Beifall bedacht.
17 Oct 2018
## AUTOREN
Ulrich Gutmair
## TAGS
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
Hebron
Erinnerungskultur
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Ägyptologie
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
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