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# taz.de -- Die Wahrheit: Wo Wili Wonka wohnt
> Die Georgien-Woche der Wahrheit: Geheimnisvoll und verwegen flimmert das
> Film- und Fernsehschaffen des Kaukasuslandes.
Bild: Wale im Schwarzen Meer filmen die todesmutigen Georgier für ihr Leben ge…
Angestrengtes Ächzen und Stöhnen erfüllt den Strand des georgischen Kurorts
Pizunda an diesem lauen Sommerabend Ende August. Badegäste bleiben stehen,
zücken ihre tragbaren Autotelefone und Plattenkameras. Ihnen wird ein
sensationelles Schauspiel geboten. Ein gutes Dutzend Statisten schiebt
einen gigantischen Wal aus Pappmaschee ins Schwarze Meer. Eine Horde Kinder
mit wehenden Bändern im Haar kommt angelaufen und bejubelt das geglückte
Manöver.
„Cut, kopieren, auf Anfangsposition!“, ruft Regisseur Krakmakla Kwakawili
in sein batteriebetriebenes Megafon. Doch mit der Anfangsposition hapert
es. Der Wal löst sich auf und treibt in großen schwabbeligen Batzen dem
Sonnenuntergang entgegen. Dicke blaue Schlieren der sich verdünnenden Farbe
strömen aus. Wir sind am Set von „Fri Wili“, einem Ostblockbuster made in
Grusinien. Der Film, der im kommenden Jahr in die Kinos kommen soll, ist
ein gutes Beispiel für den aktuellen Film- und Fernsehboom in Georgien.
Regisseur Kwakawili, einer der aufstrebenden Sterne am hiesigen Filmhimmel,
weiß sich zu helfen. Der halb zersetzte Pappwal soll durch einen aus
Styropor ersetzt und mit wasserfester Bleifarbe lackiert werden. „Das kann
schon mal vorkommen, es gibt immer kleine Pannen. Das müssen wir in Kauf
nehmen. Schließlich wird hier ein Meisterwerk gedreht“, erklärt Kwakawili
und gibt dann zu: „Aber trotzdem, es stimmt. Wir müssen manches noch
lernen, vor allem, was die Technik angeht.“ Diese sei aber nicht das
Wichtigste, vielmehr komme es auf die originellen und nie da gewesenen
Ideen an.
In „Fri Wili“ dreht sich alles um einen altersschwachen Wal, der eigentlich
in Ruhe seinen Lebensabend in einem georgischen Freiluftaquarium verbringen
sollte. Doch seine Vergangenheit holt ihn ein. Als ehemaliger sowjetischer
Doppelagent ist er ins Visier ausländischer Geheimdienste geraten und muss
ungesehen außer Landes geschafft werden, bevor man ihn mit radioaktiven
Isotopen im Plankton vergiftet. Kwakawili mischt hier gekonnt Tierfilm mit
Spionagethriller, Familiendrama mit politischem Anspruch.
## Shooting Star aus „Kaukawood“
Doch der Film ist nicht das einzige Beispiel der großartigen Kreativität
der grusinischen Medienmacher. Er ist nur ein kleines Puzzleteil. Denn
beinahe unbemerkt von der westlichen Welt hat sich Georgien zu einem neuen
Mekka für Filmschaffende und TV-Produzenten gemausert. Der georgische Staat
pumpt enorme Summen in Film- und Fernsehförderung und lockt damit sehr
erfolgreich kreative Talente ins Land. Hinter vorgehaltener Hand spricht
man schon von einem „Kaukawood“, das dort entsteht. Für diese Bezeichnung
nutzten findige Marketingstrategen die geografische Lage des Landes, das im
Norden an den Großen Kaukasus und im Süden an den Kleinen Kaukasus grenzt.
Angefangen hatte der Boom vor einigen Jahren, als clevere Fernsehmacher ein
„Alf“-Spin-off produzieren ließen. Im Jahr zuvor war die aus dem Ausland
übernommene Sendung über den orangefarbenen Außerirdischen erstmals im Land
gezeigt worden. Die georgischen Fernsehmacher wussten sofort, das können
sie besser. So entwickelten sie eine neue Serie um den Hauptcharakter Wili
Tanner, der sagenhafte Abenteuer als Beamter beim Sozialamt von Tiflis
erlebt. Es war ein grandioser Erfolg.
Dieselben Produzenten setzten sogleich noch eins drauf und verpflichteten
den bis dahin freiberuflichen Draisinenkutscher Wili Smith als Star in der
neuen Kultserie „Der Prinz von Rustawi“. Wili Smith wurde zum Shooting Star
und trug den Fernsehboom in die bis dahin im Dornröschenschlaf liegende
Filmszene. Er spielte fortan ebenso in Klassikern wie etwa „Wilihelm
Telliwili“ sowie in fantastischen Produktionen wie „Wili Wonka und die
Badridschani-Fabrik“. Letzterer spielt in einer magischen Fabrik, in der
schmackhafte Auberginengerichte in Konserven gefüllt werden.
## Knarre unter der Schwanzflosse
Aber man darf nicht verschweigen, dass in der aufgeheizten Atmosphäre eines
solchen Booms auch Flops gedreht wurden. So war etwa die politische
Aufklärungsserie für Kinder „Wili will’s wissen“, in der der georgische
Präsident Giorgi Margwelaschwili seine Sicht der Dinge erklärt, nur mäßig
erfolgreich. Der größte Reinfall war jedoch das B-Movie „Weihnachten mit
Wili Wuff“, in dem ein sprechender Hund sozial besser gestellten Georgiern
gebührenfrei die Weihnachtsgeschenke einpackt.
Da fehlten die Dramatik und das besondere Etwas, findet auch Regisseur
Kwakawili, der sich sicher ist, dass sein neuer Film „Fri Wili“ wesentlich
besser bei Kritik und Zuschauern abschneiden wird. „Erstens kann unser Wal
nicht sprechen und zweitens hat er eine Knarre unter der Schwanzflosse“,
erklärt er sein Geheimrezept.
Dann entschuldigt sich der kreative Kopf. Ein Tieflader bringt gerade den
neuen Styroporwal. Kwakawili will höchstpersönlich sicher gehen, dass
dieser die Farbe aus alten Sowjetbeständen auch wirklich verträgt, bevor er
noch mehr von seinem wertvollen Super-8-Material vergeudet.
12 Oct 2018
## AUTOREN
Michael Gückel
## TAGS
Georgien
Hollywood
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