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# taz.de -- Portrait zum Geburtstag: Peggy Parnass wird 90
> Peggy Parnass ist Schauspielerin, Gerichtsreporterin und eine Ikone der
> linken Boheme. Nun feiert die glamouröse Mahnerin ihren 90. Geburtstag.
Bild: „Die Kämpferin gegen jedes Unrecht, das Schwache und Versehrte erlitte…
Mag sein, dass ihr Ruhm jüngeren Deutschen nicht mehr geläufig ist, aber
Peggy Parnass hat es – vielleicht auch deshalb – besonders verdient, dass
man sie würdigt, am Donnerstag, dem 11. Oktober. Dann hat sie nämlich
Geburtstag und wird 90 Jahre alt. Sie ist in Hamburg noch schwer unterwegs,
etwa neulich, als an einer Hauswand am Gänsemarkt eine besondere
Erinnerungsplakette von der Stadt angebracht wurde. Peggy Parnass war
dabei, sehr fotogen, sehr präsent, sehr mitteilsam: Sie ist noch immer
unübersehbar. Freund*innen sagen, sei sie die schönste Linke des Landes
gewesen, den Männern zugetan, auch den Frauen – eine glamouröse und
geheimnisvolle Frau.
Das gut sicht- und lesbare Schild, an dem Parnass zu stehen kam, erinnert
an die „Palette“, eine Hamburger Kaschemme, die der Schriftsteller Hubert
Fichte in den 1960er Jahren mit seinem gleichnamigen Buch prominent machte.
Und Peggy Parnass wird dort gewesen sein, in diesem längst ausgelöschten
Laden der Schmuddelkinder der Stadt, der Treber und Beatniks, der
unsittlichen Frauen und der schwulen Männer, auch der ersten Hipster. Diese
Frau hat ihr Herz immer ihnen geschenkt, nicht den Reichen und Pikierten.
In den 1970ern hat sie für die Illustrierte Konkret Gerichtsreportagen
verfasst, ergreifende und wahrhaftige, und auch in diesen Geschichten
standen nie die Großen und Bekannten im Mittelpunkt, sondern die
Entgleisten, die Mörderischen, die Wütenden und die in der Tat prekär
lebenden Menschen. Peggy Parnass nahm sie sozusagen in Obhut – auf dass das
gebildete linke Volk überhaupt mal erfährt, für wessen Befreiung es sich
verwandte.
## Fragen der Gerechtigkeit
Laut Wikipedia ist sie 1934 in Hamburg als Kind einer jüdischen Familie
geboren. Sie selbst sagt, sie sei viel älter, ihr exaktes Geburtsjahr will
sie aber nicht verraten. Also wird sie, das zu sagen nimmt sie nicht als
Beleidigung, 90. Sie überlebte den Holocaust nur, weil sie und ihr Bruder
Gady von den Eltern auf einen Kindertransport nach Schweden geschickt
worden war. Erst in den 1950ern kam sie zurück nach Deutschland, als eine,
so erklärt sie, „wütende Person, bis heute“, die „immer liebte,
leidenschaftlich, verzehrend und aufwühlend, aber auch hasste, bis zum
heutigen Tag“.
Einer Zeit-Reporterin erzählte sie neulich, sie habe sich einen
Lendenwirbel beim Sex gestaucht – eine schmerzhafte Sache, erst recht für
eine alte Frau vermutlich. Auch diese von ihr selbst in Umlauf gebrachte
Episode erzählt viel über die Parnass – die Kämpferin gegen jedes Unrecht,
das Schwache und Versehrte erlitten und erleiden. Ihre Position war
durchaus privilegiert, sie war die Ikone der linken Boheme in Hamburg,
verkehrte in den angesagten Kreisen, spielte in NDR-Filmen mit, sang auf
Kleinkunstbühnen und wurde vielfach geehrt. Und sie war schon eine
Verfechterin der deutschen Auseinandersetzung mit dem Holocaust, als das
hierzulande noch nicht so üblich war. Vor elf Jahren erhielt sie den
Verdienstorden der Bundesrepublik, 1980 den Fritz-Bauer-Preis und 1979 den
Joseph-Drexel-Preis für hervorragende Leistungen im Journalismus.
Und das alles zu Recht, muss man sagen. Peggy Parnass hat nicht nur Hamburg
ein Gesicht für Fragen der Gerechtigkeit gegeben. Nahe dem dortigen
Hauptbahnhofs lebt sie, in St. Georg – und ist immer noch eine feine
Beobachterin dieses Viertels, in das sich die guten Bürger früher nicht
hineintrauten, weil es als so rau galt.
Egal in welchem Lebensalter: Ihr ist auf jeden Fall zu gratulieren. Dafür,
dass sie das Leben immer ernst nahm und nehmen wollte – und doch tüchtig zu
feiern wusste. Masel tov, Peggy Parnass.
11 Oct 2018
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
Konkret
St. Georg
Hamburg
Jerusalem
Hamburg
Hafen
Schwerpunkt Nationalsozialismus
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