# taz.de -- Nationalelf trainiert öffentlich: 5.000 frohe Stakeholder | |
> Die deutsche Nationalmannschaft hat in Berlin öffentlich trainiert. Dabei | |
> zeigt sie, dass der Starkult bestens läuft – trotz der WM in Russland. | |
Bild: Von Fans bejubelt: Jogi Löw und seine Mannschaft zeigen sich beim Traini… | |
Berlin taz | Es war dann gar nicht so schwer. Mal auf jemandem im Publikum | |
zeigen. Jemandem zuwinken. Ab und zu hat Joachim Löw sogar gelächelt. Geht | |
doch. Die Nationalmannschaft hat am Dienstag Kontakt mit ihren Fans | |
aufgenommen. In Berlin, wo sich das Team auf die anstehenden | |
Uefa-Nations-League-Spiele gegen die Niederlande am Samstag und Frankreich | |
drei Tage darauf vorbereitet, hatte sie zum öffentlichen Training geladen. | |
Das fand im Schatten des Olympiastadions statt, in der kleinen Arena, in | |
der sonst die Reserve von Hertha BSC spielt. 5.000 Leute passen da rein. | |
Das Stadion war voll. | |
Vor allem kleine Leute waren gekommen. Über den Berliner Fußballverband | |
konnten Vereine kostenlose Tickets ordern. Viele sind mit ihren | |
Jugendmannschaften gekommen. Es war ein drolliges Gekreische, von dem die | |
Nationalspieler empfangen worden sind. Jungs und auch ein paar Mädchen, die | |
meisten von ihnen mit einem aktuellen Shirt der Nationalmannschaft | |
ausgestattet, skandierten „Deutschland, Deutschland!“ | |
Ganz viele kleine Boatengs waren da, ein Paar Reuse und Müllers natürlich | |
auch. Als sie für den Nachhauseweg die Trainingsjacken überzogen, konnte | |
man sehen, in welchen Klubs die vielleicht künftigen Werners, Neuers und | |
Hummelse spielen: beim SC Schwarz-Weiss Spandau, Rot-Weiß Groß Glienicke, | |
SC Lankwitz oder beim VfL Nauen. | |
Die Basis war gekommen. Von der redet DFB-Präsident Reinhard Grindel in den | |
letzten Monaten ja so gern. Er weiß, dass der Nationalmannschaft | |
vorgeworfen wird, vor der WM in Russland, bei der [1][der Titelverteidiger | |
so krachend gescheitert ist], die Bodenhaftung verloren zu haben. In der | |
Tat hat sich das Team in einer Luxusblase bewegt, agierte abgeschottet | |
hinter hohen Zäunen, an denen Werbesprüche angebracht waren, wie sie | |
arroganter nicht hätten sein können. | |
## Starkult funktioniert | |
Auf dem Mannschaftsbus des Teams, das sich par ordre de mufti Grindel nicht | |
mehr „Die Mannschaft“ nennen soll, steht noch „Die Mannschaft“. Der doch | |
arg anmaßende Claim „Best never rest“ ist indes weg. Fast ganz schwarz ist | |
der Bus jetzt und sieht mit den getönten Fenstern aus wie ein riesiger Sarg | |
auf Rädern. Doch die Nationalmannschaft ist alles andere als tot. | |
Der Starkult um die Kicker funktioniert auch nach der großen Pleite von | |
Russland. All diejenigen, die ins Berliner Olympiagelände gekommen sind, | |
damit ihre Kinder ihren Idolen nahekommen dürfen, die selbst einmal sehen | |
wollen, wie ein Toni Kroos so aussieht, wenn er bei einer Übung einen | |
Kurzpass nach dem anderen spielen muss, sie wirken glücklich. Auch die | |
Mädchen, die irgendwann einsehen müssen, dass Leroy Sané auf ihr | |
durchdringendes Kreischen partout nicht reagieren will, gehen am Ende mit | |
einem Lächeln auf dem Gesicht von dannen. | |
Der Laden Nationalmannschaft läuft – trotz Russland. Und er lohnt sich auch | |
für die Partner. Kein Wunder, dass Adidas seinen gewiss hoch dotierten | |
Ausrüstervertrag mit dem DFB gerade bis 2026 verlängert hat. | |
Auch Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft, ist in das kleine | |
Stadion gekommen. Er stand nach der WM besonders in der Kritik. Auch an | |
diesem Dienstag wird er gefragt, ob er denn auch eine Entfremdung des Teams | |
von den Fans festgestellt habe: „Was heißt hier Entfremdung“, antwortet | |
Bierhoff, „Wir haben 2018 mehr Trikots verkauft als 2014.“ | |
## Neue Offenheit | |
Geschäftlich gesehen war das [2][verkorkste WM-Jahr] also alles andere als | |
ein Desaster. Natürlich findet Bierhoff das öffentliche Training gut. Auch | |
dass die Spieler nun angehalten sind, auf dem Weg vom Hotelausgang zum | |
Mannschaftsbus auch mal stehenzubleiben und Autogramme zu schreiben oder | |
ihr Gesicht für ein gemeinsames Selfie mit einem Fan zu Verfügung zu | |
stellen, sei doch schön. | |
Wie es zu dem Entschluss gekommen ist, mal wieder ein öffentliches Training | |
abzuhalten, mag Bierhoff nicht so recht verraten. Auch nicht, warum es so | |
lange gedauert hat, bis man den Fans mal wieder vorführt, wie Übungen zum | |
One-Touch-Spiel aussehen. Ob die Agentur, die der DFB engagiert hat, um | |
seine Krisenkommunikation zu verbessern, für die neue Offenheit des DFB | |
mitverantwortlich ist, bleibt unklar. | |
Schon in der [3][Affäre Özil und in der Reaktion auf dessen Rücktritt] aus | |
der Nationalmannschaft [4][soll die Agentur Hering Schuppener, die sich | |
selbst als deutscher Marktführer in diesem Bereich bezeichnet, mitgewirkt | |
haben]. „Durch unsere Arbeit helfen wir unseren Kunden dabei, Krisen zu | |
bewältigen, ihre Reputation bei allen relevanten Stakeholdern zu sichern | |
beziehungsweise auszubauen“. | |
„Stakeholder“, das war das Wort das Bierhoff benutzt hat, als er zusammen | |
mit Bundestrainer Löw das Scheitern der Deutschen bei der WM zu erklären | |
versucht hat. Fans sind in dieser Diktion Stakeholder, Menschen, die ein | |
Interesse am Wohlergehen der Firma Nationalmannschaft haben. | |
Sie können recht laut und hochfrequent kreischen, solche Stakeholder. | |
10 Oct 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Kommentar-Deutsche-Elf-in-Russland/!5516750 | |
[2] /Frauen-WM-2019/!t5476467 | |
[3] /Kommentar-Ruecktritt-aus-der-Nationalelf/!5523190 | |
[4] /Krise-des-DFB/!5525765 | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
## TAGS | |
Fußball | |
Russland | |
Berlin | |
Deutsche Fußball-Nationalmannschaft | |
Jogi Löw | |
Nations League | |
Deutsche Fußball-Nationalmannschaft | |
Fußball | |
Joachim Löw | |
Mesut Özil | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Deutschland verliert in Nations League: Niederlage gegen Holland | |
Die deutsche Nationalelf geht mit einem 0:3 nach dem Spiel gegen die | |
Niederlande vom Platz. In der Nations League steckt Deutschland nun tief im | |
Abstiegskampf. | |
Kolumne Press-Schlag: Das Ende der Zuversichtprediger | |
Bundestrainer Joachim Löw wird von Toni Kroos für seine Fortschritte | |
insbesondere bei seinen Ansprachen gelobt. Das ist kein gutes Zeichen. | |
WM-Analyse des Bundestrainers: Freuet euch all! | |
Jogi Löw hat nach dem desaströsen WM-Auftritt der DFB-Elf seine Analyse | |
präsentiert. Ein neuer Spielstil muss her. Alles andere bleibt. Gut so! | |
Kolumne Press-Schlag: Viel Geflatter um nichts | |
Jogi Löw hebt an zur großen Analyse des WM-Versagens. Er hätte vieles | |
hinter sich lassen können. Hat er aber nicht – und landet als Lame Duck. | |
Der Fall Mesut Özil: Deutscher Fußball gegen die Moderne | |
Özils Rücktritt verweist auf einen größeren Kontext. Die Modernisierung des | |
deutschen Fußballs geht immer mit massiver Kritik einher. |