# taz.de -- Bremerhaven bald wieder angehängt: Ein ICE wird kommen | |
> Bremerhaven soll wieder ans DB-Fernnetz angeschlossen werden. Unser Autor | |
> ist dort aufgewachsen und erklärt, was die Aussicht auf den ICE bedeutet. | |
Bild: Gekommen, um Bremerhaven wieder anzuhängen: ICE | |
Es heißt ja, „no man is an island“. Aber wer auch immer das geschrieben | |
hat, der war noch nie in Bremerhaven. Die Menschen hier sind Eigenbrötler. | |
Gegen Bremerhaven ist selbst das sprichwörtliche gallische Dorf an die | |
Sprinter-Schnellstrecken des Weltgeistes angeschlossen. Sitzt man in | |
Bremerhaven, steckt man erst mal fest. | |
Klar, man könnte eine Butterfahrt zu den Robbenbänken buchen und ein kurzes | |
Gefühl der Freiheit erfahren. Es stellt sich halt nur so lange ein, bis man | |
merkt, dass man nach einer Stunde und zwei Bockwürsten schon wieder | |
umdreht. Wohin? Dahin, wo man gerade erst hergekommen ist. Nach | |
Bremerhaven. | |
Und wenn man sich abwendet vom Meer, hin zum endlos erscheinenden flachen | |
Land der norddeutschen Tiefebene, über die Moore und Märsche hinweg blickt, | |
ähnlich sehnsuchtsvoll wie Steve McQueen in Papillon, dann mag zwar kurz | |
ein Glimmen im Innersten der Seele erleuchten; denn dort steht ja ein | |
Bahnhof! Doch an diesem angekommen, merkt man gleich, es fährt eh kein Zug. | |
Zugegeben, es fahren welche. Doch sie fahren langsam und selten. Sie halten | |
in Loxstedt, Stubben oder Osterholz-Scharmbeck, Ortsnamen wie aus der | |
Broschüre eines mittelständischen Fertighausanbieters. Und es sind zumeist | |
Bimmelbahnen. Wenn man sich in ihnen über das flache Land quält, dann muss | |
man spätestens in Bremen oder Hannover umsteigen, um einen ICE zu | |
erwischen. Aber meist sind die Bimmelbahnen spät und dann verpasst man den | |
ICE und verflucht sich innerlich, dass man nicht einfach zu Hause geblieben | |
ist. So war es zumindest bisher. | |
Nun aber soll sich alles ändern. Die Deutsche Bahn hat es angekündigt. Alle | |
zwei Stunden soll ein ICE in Bremerhaven abfahren, hinaus in die Welt. Mit | |
Highspeed und freiem W-Lan sowie einem vernünftigen Bord-Bistro mit | |
Leckereien wie Flammkuchen-Zunge griechischer Art. Die Schaffner werden | |
Hochdeutsch sprechen, die Menschen keine Kampfhunde bei sich führen, die | |
Lektüre der Reisenden sich nicht in Romanen erschöpfen, auf deren Titelbild | |
sich ein Mann und eine Frau in einem Stall vor einem Schimmel liebkosen. Es | |
wird ein kultiviertes Reisen sein, so wie damals, erster Klasse auf dem | |
Ozeandampfer Europa bis nach New York. | |
Nach der ersten Freude darüber dann leiser Zweifel. Vielleicht bis zum Jahr | |
2020/21 sollen diese Änderungen des Fahrplans greifen. Aber wer weiß, was | |
dann ist? Hat das schmelzende Eis der Pole bis dahin nicht längst die | |
deutschen Küsten überspült, ist Bremerhaven nicht zu einem versunkenen | |
Atlantis geworden und hat Hannover endlich seine langersehnte Riviera? Weiß | |
man nicht. Zu befürchten ist aber, dass die Deutsche Bahn Bremerhaven einen | |
bösen Streich spielen will. Denn dort heißt es, die Fahrt von Cuxhaven nach | |
Berlin wird nur gut drei Stunden dauern. Von Cuxhaven! Nur wie fahren diese | |
Züge wohl? Sicher nicht über Bremerhaven. Denn weiter heißt es, der ICE, | |
der hier starten soll, der fährt nach München. Nur, was will man da? | |
Man stelle sich einmal folgendes Szenario vor: Ein Bremerhavener Jung | |
vertändelt eine Nacht in einer Disko, die „Isla Blanca“ oder so ähnlich | |
heißt, und landet völlig neben der Spur am Bahnhof. Aus versehen steigt er | |
in einen ICE ein – und schläft dort ein. Er fährt durch, bis nach München, | |
quasi bis ans Ende der Welt. Amerika, ok. Aber München? Dort, wo sie | |
komisch nuscheln, die Pelle von der Wurst abziehen und das Bier aus Eimern | |
trinken. Er wird nie wieder der Gleiche sein. So wie ihm wird es manchem | |
gehen. Dann lieber gleich zu Hause bleiben und sehnsuchtsvoll auf das Meer | |
blicken. | |
Die Bahn schreibt es ja selbst. „Der Deutschland-Takt wird nicht alle | |
Erwartungen sofort erfüllen können.“ Das ist schön gesagt. Der | |
„Deutschland-Takt“, er ist bekanntermaßen jener der Marschmusik. In Münch… | |
können sie dazu abtanzen und aufmarschieren, ein Bremerhavener könnte das | |
nicht. Er schlendert eher, sein Groove ist der mäandernde eines Shantys. Er | |
ist halt eine Insel, dieser Bremerhavener, er genügt sich selbst völlig. | |
Das könnte jemand John Donne mal sagen. Der hat den Quatsch nämlich | |
verfasst von dem „no man is an island“. | |
Andererseits: Woher soll er es auch besser wissen? Wie sollte er je in | |
Bremerhaven vorbeigekommen sein? Es fährt ja kein Zug. Es kommt ja niemand | |
weg hier – und niemand her. Zu den Robbenbänken könnte man vielleicht mal | |
rausfahren. Und weiter will der Bremerhavener eh nicht von seiner Heimat | |
fort. Außer nach Berlin. Da würde er schon mal hinfahren. Aber dazu müsste | |
er natürlich erst nach Cuxhaven. Und so nötig hat er es dann doch nicht. | |
10 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Ruben Donsbach | |
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