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# taz.de -- Folgen des Pflegekräftemangels: Kinderstation in Not
> Auf der Kinderintensivstation der Medizinischen Hochschule Hannover
> fehlen so viele Pflegekräfte, dass kranke Kinder nicht mehr behandelt
> werden können.
Bild: Muss permanent Patienten abweisen: Die Kinderintensivstation der MHH
Hamburg taz | Sie sind noch nicht einmal 18 Jahre alt, hatten schwere
Unfälle, haben Hirnblutungen oder akutes Organversagen. Es sind
schwerstkranke Kinder, doch immer öfter muss die Kinderintensivstation der
Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) sie abweisen und zur Behandlung an
andere Häuser schicken. Zuerst berichtete der NDR über das Problem. „Fakt
ist: Es gibt Kinder, die eventuell sterben könnten, wenn wir sie ablehnen“,
sagt Michael Sasse, Leitender Oberarzt der Kinderintensivstation an der
MHH. „Für uns ist diese Situation nur schwer auszuhalten.“
Sasses Station ist die größte Kinderintensivstation im deutschsprachigen
Raum. Bis zu 18 Kinder können dort künstlich beatmet werden. Eigentlich.
Denn aktuell sind vier bis sechs Betten regelhaft gesperrt, wie der Arzt
erklärt.
Bei etwa 300 schwerkranken Kindern oder Jugendlichen musste die MHH deshalb
die Behandlung ablehnen und die PatientInnen an andere Krankenhäuser
schicken. Und das kann für die Kinder und Jugendlichen dramatische Folgen
haben.
Die Kinderintensivstation ist Mitglied im Pädiatrischen Intensivnetzwerk
(PIN), einem Verbund von mehr als 40 Kinderkliniken. Durch die enge
Kooperation der MedizinerInnen und Pflegekräfte konnte die
Sterblichkeitsrate der durch das Netzwerk versorgten schwerkranken Kinder
deutlich gesenkt werden, sagt Sasse. Die MHH nimmt wegen der speziellen
Behandlungsmöglichkeiten eigentlich eine besondere Stellung im PIN ein,
kann dieser aber laut Sasse nun häufiger nicht ausreichend gerecht werden.
„Früher mussten wir etwa 100 Kinder im Jahr abweisen“, sagt er. In diesem
Jahr sei die Zahl jedoch stark angestiegen. Bis zum Jahresende würden es
etwa 400 Kinder sein.
Das Problem ist, dass der Kinderintensivstation Pflegekräfte fehlen. Die
Station hält sich beim Personalschlüssel strikt an die Empfehlungen der
Deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin.
Diese sieht vor, dass eine Pflegekraft nicht mehr als zwei PatientInnen
versorgt. Sind für die 18 möglichen PatientInnen nicht genügend
Pflegekräfte vorhanden, so sperren die Verantwortlichen die Betten und es
werden keine neuen PatientInnen mehr aufgenommen. Auf der
Kinderintensivstation ist das im Moment ein Dauerzustand.
„Der Pflegeberuf ist ein gesellschaftlich verbrannter Beruf“, sagt Sasse.
Laut Christiane Ganzer, der pflegerischen Leiterin der
Kinderintensivstation, spielt auch der Schichtdienst eine bedeutende Rolle
für den Mangel an Pflegekräften. „Viele suchen sich etwas anderes, um sich
mehr auf ihr soziales Umfeld konzentrieren zu können“, sagt sie.
Aber auch die große psychische Belastung durch die Arbeit mit
schwerstkranken Kindern sei ein Grund zu wechseln. „Es gibt Pflegekräfte,
die im Laufe der Zeit merken, dass sie das einfach nicht aushalten“, sagt
Ganzer.
Ein weiterer Punkt sei die aufwendige Einarbeitung neuer MitarbeiterInnen.
Es dauere ein halbes bis ein Jahr, bis neue Pflegekräfte in die
hochqualifizierte Arbeit der Intensivstation eingearbeitet seien, sagt
Ganzer. Wenn eine KollegIn geht, kann sie also nicht einfach durch eine
neue ersetzt werden.
Die Kinderintensivstation in Hannover ist nicht allein mit dem Problem des
Pflegekräftemangels. „Auf den Kinderintensivstationen in Deutschland gibt
es geschätzt einen stetigen Bettenleerstand von etwa 20 Prozent“, sagt
Sasse. Diese Fachkräftelücke können auch die vom
Bundesgesundheitsministerium vorgelegten Gesetzesänderungen nicht
schließen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der
Hans-Böckler-Stiftung.
Pflegeexperte Michael Simon, Professor an der Hochschule Hannover, hat die
Reformpläne der Bundesregierung analysiert und kommt zu dem Ergebnis, dass
sich die neuen Regelungen nicht am realen Pflege- und Personalbedarf
orientieren. Simon schätzt, dass den deutschen Krankenhäusern rund 100.000
Pflegekräfte fehlen. Für die Beschäftigten sei damit eine Überlastung
vorprogrammiert.
Die Kinderintensivstation der MHH bemüht sich um eine Entlastung ihrer
MitarbeiterInnen. Die Station hat unter anderem ein eigenes
Anti-Burnout-Programm und die Mitarbeitenden haben jederzeit die
Möglichkeit, psychologische Betreuung in Anspruch zu nehmen.
Darüber hinaus wurden Pflegeassistenten eingestellt, die den Pflegenden
einfache Arbeit abnehmen können. Eine Pharmazeutisch-technische Assistentin
etwa übernimmt für die Pflegekräfte das Aufziehen und Bereitstellen von
Infusionen und Medikamenten. „Wir müssen uns fragen, wie wir den Beruf
wieder attraktiver machen können“, sagt Sasse. Dabei müsse es auch um
alternative Arbeitsmodelle gehen, die es Pflegekräften ermöglichen, auch im
Beruf zu bleiben, wenn sie beispielsweise alleinerziehend sind.
9 Oct 2018
## AUTOREN
Marthe Ruddat
## TAGS
Pflegekräftemangel
Hannover
Medizin
Pflege
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