| # taz.de -- 40 Jahre taz: Fototourismus in Osteuropa: Leckerli für wilde Tiere | |
| > Fotos von Wölfen und Bären als Urlaubshit, geknipst in Ansitzhütten am | |
| > Lockfutter: Die Angebote für Hobby-Fotografen sind in Verruf geraten. | |
| Bild: Fotoreisen für Wildtier-Schnappschüsse sind an vielen Orten Teil des to… | |
| In der Urlaubsregion Bieszczady in Südostpolen wurden Ende Juni zwei Kinder | |
| (8 und 10) von einem Wolf gebissen und mussten ambulant versorgt werden; | |
| zuvor hatte wohl dasselbe Tier eine Frau leicht verletzt. Der Wolf hatte | |
| immer nur kurz „zugeschnappt“. Er wurde kurz drauf erlegt. Der erste Fall | |
| dieser Art in Polen, der entsprechend durch die Medien ging. Schon in den | |
| Wochen davor hatte er sich häufig im Touristenort Wetlina sehen lassen, wo | |
| er in Hinterhöfen nach Futter suchte. Er war offensichtlich auf Menschen | |
| und ihre Abfälle konditioniert. | |
| Die Biologin Sabina Nowak macht dafür Fotoshooting-Unternehmen | |
| verantwortlich, die Futterplätze für Wölfe, Bären und Adler unterhalten, an | |
| denen die Wildtiere an Abfallfleisch und andere Nahrungsreste von Menschen | |
| gewöhnt würden. Der bissige Wolf sei vermutlich dort konditioniert worden. | |
| [1][Fotoreisen für Wildtier-Schnappschüsse] sind in der Region längst Teil | |
| des touristischen Angebots. Die getarnten Unterstände am Lockfutter nutzen | |
| auch ausländische Anbieter, darunter die deutsche Firma „Naturblick“, die | |
| dort komfortable Ansitzhütten mit Toilette offeriert. Geworben wird mit | |
| Fotos von Wölfen, Bären und Seeadlern. Sabina Nowak fordert ein Verbot der | |
| Köderpraktiken für Fotozwecke, die ihrer Meinung nach „Problemtiere“ | |
| produzieren und gegen das Naturschutzrecht der EU verstoßen. | |
| Auch [2][für die Bären in Rumänien] werden Schlachtabfälle ausgelegt und | |
| Schokoriegel in die Bäume gehängt, damit Fototouristen zu ihren Bildern | |
| kommen. Natürlich gegen Cash. Ähnliches passiert in Nordamerika. Angesichts | |
| solcher Praktiken sträuben sich bei Hendrik Bösch die Nackenhaare. Der | |
| professionelle Naturfotograf lebt in den kanadischen Rockies, Bären und | |
| Wölfe sind seine häufigsten Motive. | |
| „Ich möchte die Natur fotografieren“, sagt Bösch, „und nicht eine | |
| künstliche Situation, in die ich ein Tier durch Anfüttern gebracht habe.“ | |
| Foto-Ansitze am Lockfutter sieht er als Angebot an die Faulheit von | |
| Touristen, die keinen Respekt vor Tieren hätten. Der Unsinn sei völlig | |
| überflüssig. „Wenn ich heute keinen Bären sehe, versuche ich es morgen, | |
| übermorgen – bis es klappt. Klappt es nicht, muss ich akzeptieren, dass die | |
| Natur sich nicht nach meinen Wünschen richtet.“ | |
| Zumal es für Hobby-Fotografen in Gattern und Zoos genügend Möglichkeiten | |
| gebe, Aufnahmen von großen Wildtieren zu machen. Da müsse man nicht die | |
| Habitate mit Störpotenzial aufmischen. Problematisch sei, dass durch dieses | |
| „bear baiting“ die Struktur der Reviere gestört würde. Lägen Futterplät… | |
| im Territorium eines dominanten Männchens, liefen angelockte Bären Gefahr, | |
| vom „Revierinhaber“ getötet zu werden. Haben Bärinnen Nachwuchs dabei, | |
| könnte das auch ihre Jungen treffen. Oder sie verwaisen und landen dann in | |
| den Wildtier-Stationen. | |
| Werden als Lockfutter Süßigkeiten und Küchenabfälle ausgelegt, gewöhnen | |
| sich die Tiere an menschliche Nahrung und suchen später Autos, Camps und | |
| Siedlungen auf, wo es nach diesen „Köstlichkeiten“ riecht. Konflikte mit | |
| Menschen sind dann unvermeidlich. Deshalb haben etliche kanadische | |
| Provinzen und US-Bundesstaaten „bear baiting“ unter Strafe gestellt. In | |
| British Columbia steht derzeit ein Tour-Veranstalter vor Gericht. Wird ihm | |
| das illegale Anfüttern nachgewiesen, drohen bis zu 100.000 Dollar Strafe. | |
| Auch in Slowenien gibt es einen kommerziellen Anbieter solcher Fotoplätze, | |
| die aber strengen Regeln unterworfen sind. Mais, Obst und Wildfleisch sind | |
| nur in kleinen Mengen erlaubt, Schlacht- und Küchenabfälle verboten. So | |
| soll das Risiko, dass Bären das Lockfutter mit Menschen verbinden, | |
| möglichst klein gehalten werden. „Zu hundert Prozent kann man nie | |
| ausschließen, dass Tiere dort konditioniert werden“, sagt Mario Theus, | |
| Naturfilmer und vordem Bärenbeauftragter der Schweiz, der an den | |
| Futterplätzen schon gedreht hat. | |
| ## Illegale Wolfshaltungen | |
| „Aber die Kirrungen sind sehr professionell und mit großer Sorgfalt | |
| angelegt.“ Die Forstverwaltung ist Teil [3][des europäischen | |
| Forschungsprojekts „LIFE DINALP BEAR“], dessen Bären-Monitoring sich auf | |
| eigene Futterstellen stützt, durch die Bestandsgröße und territoriale | |
| Verteilung im Blick gehalten werden. Die Grenzen der einzelnen | |
| Streifgebiete werden bei der Platzwahl beachtet. „Nahezu alle slowenischen | |
| Bären sind regelmäßig an unserem Lockfutter“, sagt Rok Cerne, Koordinator | |
| von DINALP BEAR bei der Forstverwaltung, „ohne dass es deshalb zu | |
| kritischen Situationen kam.“ | |
| Der bissige Wolf in Südostpolen war übrigens „echt“. Kein Mischlingswolf | |
| und auch kein verwilderter oder tollwütiger Dorfköter, wie zunächst | |
| spekuliert worden war. Das ergab die Obduktion, bei der jedoch auffiel, | |
| dass das Tier völlig abgenutzte Krallen hatte. So, wie man sie von Hunden | |
| kennt, die in Zwingern mit Betonboden leben. Wurde er früher in einem Käfig | |
| gehalten? | |
| Die Naturschutzorganisation „Wilk“ berichtet von illegalen Wolfshaltungen | |
| in Polen und seinen Nachbarländern Slowakei und Ukraine. Wolfswelpen würden | |
| aus den Wurfhöhlen im Wald geholt und dann zu „Haustieren“ umgebogen. | |
| Sollte der bissige Wolf einem Käfig entkommen sein, könnte er auch dort auf | |
| Menschen und ihre Abfälle konditioniert worden sein. Die Vermutung liegt | |
| jedenfalls nahe, dass er die drei Bissopfer als „Futterspender“ anging und | |
| ärgerlich wurde, als es keine Leckerli gab. | |
| 30 Sep 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Wolfsangriff-auf-Kinder-in-Polen/!5517952 | |
| [2] /Naturschutz-in-Rumaenien/!5030574 | |
| [3] http://dinalpbear.eu/de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Gerd Bauer | |
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