| # taz.de -- Berliner Grüne: Senator macht sich locker | |
| > Mit einem Crashkurs in Geschichte, Humor und Selbstironie feiern die | |
| > Berliner Grünen ihren 40. Geburtstag. Standing Ovations für Christian | |
| > Ströbele. | |
| Bild: In Ermangelung eines Fotos vom Strip des Justizsenators: Rote Schuhe und … | |
| Am Ende bekommt Hans-Christian Ströbele Standing Ovations vom Publikum. Der | |
| langjährige, in Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost direkt in den | |
| Bundestag gewählte Abgeordnete war gefragt worden, ob er damals, beim | |
| ersten Versuch 2002, überhaupt an einen Erfolg seiner Kandidatur geglaubt | |
| habe. Nicht so richtig, gibt der inzwischen 79-Jährige zu: Die Medien | |
| hätten ihn zwar für sein Engagement gelobt, ihm aber gleichzeitig | |
| attestiert, dass er keine Chance habe. Am Ende habe er das selbst gedacht. | |
| Es kam bekanntlich anders, und Ströbele wurde für die Berliner Partei zur | |
| wichtigsten Integrationsfigur, zum aufrechten Streiter für die urgrüne | |
| Sache. Als solcher steht er am Freitagabend auf der Bühne des Festsaals | |
| Kreuzberg, in dem die Berliner Grünen ihre Gründung vor genau 40 Jahren | |
| feiern. „Wir müssen mutig sein“, ruft Ströbele, gestützt auf seinen Stoc… | |
| ins Publikum. Und wird dafür von den rund 400 Mitgliedern und Gästen | |
| gefeiert. | |
| Am 5. Oktober 1978 trafen sich rund 3.000 Menschen in der Neuen Welt an der | |
| Hasenheide und gründeten die Alternative Liste, wie sich die Grünen – die | |
| es zu diesem Zeitpunkt auf Bundesebene noch gar nicht gab – in Berlin | |
| anfangs nannten. „Die Zeit war dafür schlicht reif“, berichtet Wolfgang | |
| Wieland, eine andere bereits legendäre Figur der Partei. Er erzählt den | |
| beiden Moderatoren des Abends – denfrüheren Parteichefs Bettina Jarasch und | |
| Daniel Wesener –, dass man sich für etwas Besseres gehalten habe. Eine | |
| Attitüde, die lange Bestand gehabt habe. | |
| Heute können sich die Grünen, wenn auch nicht als etwas Besseres, so doch | |
| zumindest gut in ihrer Rolle fühlen. Die Partei hat in Berlin mehr als | |
| 6.600 Mitglieder, Tendenz steigend; sie ist Teil der rot-rot-grünen | |
| Regierung und stellt drei SenatorInnen, ihre Umfragewerte sind seit der | |
| letzten Wahl 2016 auf 17 bis 18 Prozent gestiegen. Es läuft also, die | |
| Stimmung an diesem Abend ist bestens, das Programm eine Art Crashkurs in | |
| Sachen Berliner grüner Geschichte: Vom ersten Einzug ins Abgeordnetenhaus | |
| 1981 mit stolzen 7,2 Prozent über die erste Regierungsbeteiligung 1989 und | |
| 1990 bis zum Mauerfall mit der folgenden Fusion von West- und Ostberlin | |
| sowie der Grünen mit Bündnis 90; von der langen Opposition bis hin zum | |
| Start von Rot-Rot-Grün 2016. | |
| Elisabeth Ziemer, 1996 erste grüne Bürgermeisterin von Schöneberg, | |
| berichtet von ihren jährlichen Kämpfen mit dem CDU-Innensenator, der | |
| verhindern wollte, dass sie zum Lesbisch-schwulen Stadtfest die | |
| Regenbogenfahne hisste. Sie setzte sich durch. Michael Cramer, inzwischen | |
| Europaabgeordneter, erzählt umfassend und gerührt vom erfolgreichen Einsatz | |
| der Fraktion für den Mauerradweg, dank dessen ab 2001 die Erinnerung an die | |
| Teilung der Stadt im wahrsten Sinne des Wortes erfahrbar wurde. Und der | |
| Fraktionschor tritt auf und bescheinigt in dezenter Selbstironie, dass | |
| leider auch jetzt nicht alles super laufe, man aber dran arbeite. In Sachen | |
| BER etwa „scheitern wir jetzt gescheiter“. | |
| Wie bei anderen Parteien wurde bei den Grünen früher zum Abschluss größerer | |
| Parteitreffen auch gesungen, heißt es gegen Ende des Programms. Natürlich | |
| nicht die Nationalhymne oder die Internationale, sondern „Allein machen sie | |
| dich ein“ von Ton Steine Scherben. Ob sich der Appell an die alten | |
| Grünen-Mitglieder in den ersten Reihen richtet, ist unkar. Jedenfalls fühlt | |
| sich niemand ermutigt. | |
| Stattdessen darf Justizsenator Dirk Behrendt den von diesem Abend | |
| vielleicht bleibenden Schlussakzent setzen. Wie die beiden anderen grünen | |
| Senatorinnen Ramona Pop und Regine Günther soll er auf der Bühne | |
| pantomimisch darstellen, was für die Grünen zu geben er bereit sei. Im | |
| Unterschied zu Pop und Günther traut sich Behrendt was und steht im Nu in | |
| Unterhose da. Als er anfängt, sein Hemd aufzuknöpfen greift Moderator | |
| Wesener (er ist Behrendts Lebensgefährte) ein: „Ich glaub, wir brechen das | |
| hier besser ab.“ Das Publikum klatscht begeistert. Aber natürlich nicht | |
| ganz so euphorisch wie bei Ströbele. | |
| 7 Oct 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Bert Schulz | |
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