# taz.de -- Mängel beim Umweltschutz in Berlin: Verlorene Bäume | |
> In Steglitz-Zehlendorf fallen binnen kurzer Zeit etliche geschützte | |
> Bäume. Hat das Umweltamt versagt? Beim Baumschutz liegt viel im Argen, | |
> sagen Kritiker. | |
Bild: Erst kurz vorher wird gewarnt, dass Bäume umgeholzt werden: Baumfällung… | |
Steglitz-Zehlendorf ist reich – auch an Bäumen. Diesen Reichtum schätzen | |
die einen mehr und die anderen weniger, je nach Interessenlage. Ein | |
prächtiger Baum auf einem Privatgrundstück kann die Eigentümer erfreuen – | |
oder stören, weil er Schatten wirft oder einem Bauprojekt im Weg ist. Eine | |
Frage wird im Bezirk immer wieder gestellt: Schützt das Umweltamt diese | |
Bäume ausreichend oder drückt es öfter ein Auge zu? | |
Die Fischerhüttenstraße in Zehlendorf: Hier, unweit der Krummen Lanke, | |
standen bis vor einigen Jahren Dutzende Kiefern auf einem Grundstück. Die | |
Waldkiefer gehört laut Berlins Baumschutzverordnung zu den geschützten | |
Arten, niemand darf sie ungenehmigt fällen. Aber Fällgenehmigungen wurden | |
mehrfach in kurzen Abständen erteilt – fast die Hälfte der Bäume ist heute | |
verschwunden. | |
Anwohner haben sich mit Vorwürfen an die taz gewandt: In der Hälfte der | |
Fälle habe das Bezirksamt erlaubt, die Säge anzusetzen, weil keine | |
Standfestigkeit gegeben sei – eine solche Quote sei „auch aus Sicht von | |
Fachleuten außerordentlich unwahrscheinlich, es sei denn der Baumbestand | |
wurde zuvor extrem geschädigt“. Das, vermuten die Anwohner, könnte passiert | |
sein: Sie haben Fotos von Arbeiten auf dem Grundstück, bei denen im | |
Wurzelbereich Gräben ausgehoben werden und Schaufelbagger zwischen den | |
Kiefern rangieren. Schützende Bretterverschalungen sind nicht zu sehen, | |
dafür massive Rindenschäden. | |
„Das Muster könnte sich auf einem zweiten Teil des Grundstücks, auf dem in | |
der Folge neue Erdarbeiten durchgeführt wurden, wiederholen“, schreiben die | |
Anwohner, „zunächst Schädigung, dann Antrag auf Fällgenehmigungen“. Für… | |
Anwohner hat das Vorgehen Methode, wird aber ihrer Ansicht nach vom | |
Umweltamt unter Leitung von Stadträtin Maren Schellenberg (Grüne) | |
ignoriert. Dass trotz erheblicher Regelverstöße immer wieder | |
Fällgenehmigungen erteilt würden, sei „beispiellos schlechtes | |
Verwaltungshandeln“ und „Arroganz der (Lokal-)Macht“. | |
Schellenberg weist das auf Nachfrage von sich: „Wir verwahren uns gegen | |
diese Vorwürfe.“ Es handele sich an der Fischerhüttenstraße um einen | |
Nachbarschaftsstreit, Raum für Bürgerbeteiligung gebe es dort nicht. | |
Dennoch habe das Amt „sehr genau hingeguckt“: „Als wir von den Anwohnern | |
über die Erdarbeiten auf dem Grundstück informiert wurden, ist ein | |
Mitarbeiter sofort hingefahren, um sich ein Bild zu machen.“ Der habe keine | |
Gefährdung der Bäume feststellen können. Die Anwohner halten dagegen: Das | |
Bezirksamt habe bei der letzten Genehmigung erst nach der Fällung einen | |
Mitarbeiter geschickt, der natürlich nichts mehr finden konnte. | |
Christian Hönig, Baumschutzexperte beim Bund für Umwelt- und Naturschutz | |
(BUND), bleibt im konkreten Fall vorsichtig: „Ob die Entscheidungen | |
gerechtfertigt waren, ist aus jetziger Sicht unklar.“ Viele der Fällungen | |
seien mit der Begründung genehmigt worden, dass die Kiefern sich nicht | |
artgerecht entwickeln könnten. „Das kann auf einem Grundstück, wo die Bäume | |
sehr dicht stehen und sich gegenseitig verdunkeln, der Fall sein.“ | |
Im Allgemeinen liegt aber für Hönig beim Baumschutz vieles im Argen, gerade | |
im Fall von Bauprojekten: „Eigentlich sollten die Naturschutzbehörden | |
frühzeitig mitplanen, um Bäume erhalten zu können, aber auf Baustellen | |
kommen sie fast immer viel zu spät.“ Woran das liegt? Die Ämter müssten mit | |
dürren personellen Kapazitäten eine regelrechte Antragsflut bewältigen, so | |
Hönig. „Da wird im Ergebnis ganz viel Copy-Paste betrieben.“ Es gebe auch | |
eine gewisse Konfliktscheu, Klagen versuche man tunlichst zu vermeiden. | |
Dass seine Aktivität nicht ausreicht, bestätigt das Bezirksamt | |
Steglitz-Zehlendorf sogar selbst: Im Rahmen der Antwort von | |
Umweltstaatssekretär Stefan Tidow auf eine parlamentarische Anfrage des | |
Grünen-Abgeordneten Turgut Altuğ zum Thema Baumschutz teilte es im Juni | |
mit, man habe in den letzten 12 Monaten zwar 11 | |
Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet, weil bei privaten Bauvorhaben | |
gegen die Baumschutzverordnung verstoßen worden sei. „Die Dunkelziffer der | |
Verstöße liegt jedoch sehr viel höher“, so das Bezirksamt weiter. | |
Altuğ, naturschutzpolitischer Sprecher seiner Fraktion, bestätigt gegenüber | |
der taz das große „Durchsetzungsdefizit“ der Bezirke beim Baumschutz, das | |
auch durch die schlechte Ausstattung der Grünflächenämter entstehe. Die | |
zweistufige Berliner Verwaltung mache das Vorgehen nicht einfacher. | |
Trotzdem ist der Grüne optimistisch und lobt die Handschrift seiner Partei | |
bei der verbesserten Finanzierung von Naturschutzaufgaben: Insgesamt 8 | |
Millionen Euro zusätzlich habe man für den neuen Posten „nachhaltige | |
Stärkung des Berliner Baumbestandes“ in den Doppelhaushalt 2018/19 | |
eingestellt. „In den letzten 20 Jahren haben die vorigen Landesregierungen | |
doch kaum etwas für die Erhöhung des Baumbestandes unternommen“, so Altuğ, | |
„jetzt sind wir da dran.“ | |
Manchmal ist es aber auch böser Wille: Dass Bäume, die einem Eigentümer im | |
Weg stehen, gezielt beschädigt werden, „erleben wir ganz oft“, sagt | |
BUND-Mann Hönig. Das könne bis hin zur sogenannten Ringelung gehen: Wenn | |
Bäumen rund um den Stamm ein Abschnitt der Rinde entfernt wird, können sie | |
keine Nährstoffe mehr transportieren und sterben ab. | |
Anderes sei weniger offensichtlich: „Da setzt der Baggerfahrer eben mal ein | |
bisschen zu forsch zurück, das fällt in privaten Gärten praktisch keinem | |
auf.“ Bei der Schädigung von Bäumen handele sich um Ordnungswidrigkeiten – | |
die müsse das Bezirksamt nicht verfolgen und tue das wegen der | |
Arbeitsüberlastung auch oft nicht. | |
„Wir sind dabei, Berichte zu bündeln und Vergehen zu dokumentieren“, so | |
Hönig zur taz. Eine Präzisierung der Baumschutzverordnung hält er aber | |
jetzt schon für angebracht: Die gewährt Ausnahmen vom Fällverbot bei | |
kranken Bäumen sowie Bäumen, die ihre „ökologische Funktion weitgehend | |
verloren“ haben. „Was genau heißt krank und wann ist eine ökologische | |
Funktion nicht mehr gegeben?“, fragt der Experte. „Selbst ein Baumstumpf | |
hat als Totholz noch eine ökologische Funktion.“ | |
## Baum versus Profit | |
Ein anderer Fall in Steglitz-Zehlendorf schwelt seit Anfang des Jahres – | |
dort geht es um einen 100 Jahre alten und kerngesunden Baum: Die große | |
Blutbuche steht auf einem Grundstück an der Kurfürstenstraße in | |
Lichterfelde-Ost, wo ein Investor Wohnungen bauen will. Auch hier schlugen | |
Anwohner Alarm (die taz berichtete): Sie wollten nicht hinnehmen, dass in | |
dem für einen Außenbezirk recht dicht bebauten Block der für das Mikroklima | |
wichtige Baum Profitinteressen zum Opfer fallen sollte. | |
Wie Nachbar Martin Harder der taz nun mitteilte, steht der rotblättrige | |
Riese noch – das Umweltamt hatte dem Bauherrn nach den massiven Protesten | |
aus dem Umfeld empfohlen, so umzuplanen, dass die Fällung vermieden werden | |
kann. Seitdem habe man aber nichts mehr vom Amt gehört, kritisiert Harder: | |
„Die üblichen Abläufe führen dazu, dass wir außen vor gehalten werden –… | |
es vielleicht zu spät ist. Und wenn wir beim Stadtentwicklungsamt | |
nachfragen, heißt es: ‚Nerven macht die Sache nicht besser!‘“ | |
Erfahren hat er allerdings von einem Baumgutachten, dass der Investor | |
selbst anfertigen und dem Umweltamt zukommen ließ. Den Antrag der Anwohner | |
auf Einsicht lehnte das Amt ab: aus Gründen des Urheberrechts. | |
Umweltstadträtin Schellenberg bestätigt, dass sie das Gutachten des | |
Investors nicht ohne dessen Einverständnis weiterreichen könne. Das spiele | |
aber auch gar keine Rolle, denn das Dokument habe an der Haltung ihrer | |
Behörde nichts geändert. | |
Ohnehin liege der Ball jetzt beim Stadtentwicklungsamt, so Schellenberg, | |
das die von ihr angemeldeten Bedenken einer Baugenehmigung zugrundelege | |
oder eben nicht. „Wir werden sicher noch einmal gefragt“, sagt die | |
Politikerin, gibt aber zu verstehen, dass ihre KollegInnen am längeren | |
Hebel sitzen. Das sieht Harder anders: Der Investor habe umfangreiche | |
Befreiungen von Baunormen, etwa bei der Geschossflächenzahl, beantragt – | |
damit besitze das Umweltamt genug Verhandlungsmasse. | |
Das Warten macht ihn nervös: „Wir überlegen, mit einem anwaltlichen | |
Schreiben vorbeugenden Rechtsschutz zu erwirken, sonst ist der Baum jetzt | |
ganz schnell weg.“ Anfang Oktober endet das jährliche Fällverbot. | |
4 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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