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# taz.de -- Schriftstellerin Terézia Mora über Fiktion: „Ergibt viel mehr S…
> Ende Oktober wird Terézia Mora der Georg-Büchner-Preis verliehen. Im
> Stichwortinterview spricht sie über ihre ungarische Heimat, die Liebe und
> das Glück.
Bild: Drei Tage ohne Schreiben, dann fühlt sich Terézia Mora dem Tode nahe
## Erste Erinnerung
Der Stein, auf den ich gestürzt bin als Kleinkind und von dem ich bis heute
die Narbe zwischen den Augen habe.
## Aufwachsen in Petöháza
Der Geruch der Zuckerfabrik, der Geruch des Thermalbads.
## Kindheit
Ich war etwa fünf, als ich begriff, dass ich ein Kind war – ab da konnte
ich es kaum mehr erwarten, keins mehr zu sein.
## Scheidungskind
Galt als Makel. Ich habe auch gelitten. Aber nicht darunter, dass irgendwer
meinte, das sei ein Makel. Ist es nicht.
## Mutter-Tochter-Beziehung
Seitdem ich selbst Mutter bin: die beste.
## Ungarns deutschsprachige Minderheit
Erst jetzt, da die Kinder von damals, die bleiben durften, alt sind,
begreife ich, dass es irgendwann womöglich gar keine deutschsprachige
Minderheit in Ungarn mehr geben wird. Die jüngste Generation ist entweder
ungarischsprachige Mehrheit oder deutschsprachige, woanders lebende
Mehrheit, wie meine Tochter.
## Leben im Sozialismus
Leben in Absurdistan. Das Traurige ist, dass das Leben im heutigen Ungarn
auch ein Leben in Absurdistan ist. Auch wenn es ein leicht anderes Absurd
ist. Sollte das etwa wirklich unser Ding sein?
## Hungarologie und Theaterwissenschaft
Ich kann alles, was ich dort gelernt habe, benutzen. Nicht ein einziger Tag
meines Studiums war vergeudet. Das ist wunderbar.
## Berlin Anfang der 90er Jahre
Der Große Umbau. Als noch alles möglich schien. Weil wir jung waren und die
Staaten für einen Moment auch so aussahen, als wären sie wieder jung. So
etwas kann natürlich nicht ewig anhalten.
## Drehbuchschreiben
Es könnte alles so schön sein. Leider habe ich mein Studium als sehr
formalistisch in Erinnerung. „Ihr müsst das so machen, weil Hollywood und
RTL es so machen.“ Und was, wenn nicht? Weil man dieses „und was, wenn
nicht?“ in der Prosa mit weniger Nerverei haben kann, schreibe ich Prosa.
## Schönste Filmszene
Ich würde mich nicht festlegen wollen.
## Schreiben
Wie Mimosen, wenn sie nicht gegossen werden. So reagiere ich auf die
Abwesenheit von Literatur. Schon nach drei Tagen sehe ich aus und fühle ich
mich, als wäre ich dem Tode nahe.
## Ohropax
Lärmempfindlich zu sein ist wirklich kein Spaß.
## Migrationsliteratur
Ich würde lieber mit einem Chiquita-Aufkleber auf der Stirn herumlaufen.
## Literarisches Vorbild
Zu viele. Nehmen wir Esterházy.
## Schönster Satz
„…als alles zu Ende ging, damit neue Allesse anfangen konnten …“
(Esterházy)
## Realität
Sehr, sehr seltsam, findet ihr nicht?
## Fiktion
Ergibt viel mehr Sinn als die Realität. Natürlich. Was denn sonst.
## Übersetzen
Lieblingsspiel.
## Die Redewendung „Ein Dorf hinter Gottes Rücken“
Es ist nicht schön von Gott, dass es solche gibt. Allerdings wollen wir
auch die Verantwortung der Dörfler nicht unterschlagen: man muss schon
schauen, wo man hinsiedelt.
## Péter Esterházy
Wir waren vollkommen unterschiedlich. Was uns verband war die Liebe zur
Arbeit und zur Sprache, die allerdings so groß war, dass wir uns wieder
ähnlicher wurden.
## Identität
Eigentlich eine ziemlich intime Frage, nicht? Aber wenn wir sie schon
stellen: warum nicht jemandem, der, sagen wir, 88 ist, und noch nie den Ort
verlassen hat, an dem er geboren wurde.
## Heimat
Der Baum in Ungarn, unter dem ich immer lese, und Berlin.
## Viktor Orbán
Der tragische Fall (der nicht das erste Mal in der Geschichte vorkommt),
wenn der talentierteste Politiker eines Landes diesem nicht gut tut.
## Angela Merkel
Ist wirklich nicht zu beneiden. Was würde eigentlich wirklich passieren,
wenn sich CDU und CSU trennen würden? Blieben immer noch die
internationalen Narzissten. Wirklich nicht zu beneiden.
## Europa
Ich möchte nie wieder so isoliert leben wie als Kind. Wenn das irgendwie
möglich wäre, wenn wir das hinkriegen könnten, würde ich das sehr begrüße…
## Ungarn 2018
Jeder Ungar, der sich 1989 genau dieses oder auch nur ein ähnliches 2018
gewünscht hat: Hände hoch. (Zusatzaufgabe: Erinnere dich, was du dir
gewünscht hast. Verwirkliche es.)
## Prenzlauer Berg 2018
Anderswo nerven die Anderen auch.
## Frauen
Ich fange erst an zu ahnen, was eine Frau ist, seitdem ich eine Tochter
habe. Faszinierend.
## Männer
Alle Menschen sind gleich und Männer sind Menschen.
## Feminismus
Jeder und jede, der oder die kein Feminist, keine Feministin ist, ist ein
Ausbeuter und eine Verräterin.
## #MeToo
Wichtig. Es geht ja nicht ums Flirten, sondern um Machtmissbrauch. Sich
respektvoll einer anderen Person nähern, das müsste doch zu schaffen sein?
## Liebe
Ich habe Glück. Ich liebe seit geraumer Zeit dieselben Leute, die mich auch
lieben. Ich bin ganz verwirrt, wieso das bei anderen so kompliziert ist.
Aber ich sollte nicht überheblich sein. Möglicherweise habe ich einfach
Glück.
## Erotik
Das ist eine sehr individuelle und, was mich anbelangt, eine private Sache.
Ich verstehe, warum man sich öffentlich damit auseinandersetzen muss. Aber
ich muss es nicht.
## Ehe
Es ist mir unbegreiflich, wie jemand mehr als einmal heiraten kann.
## Seitensprünge
Langweilig.
## Muttersein
Du zahlst einen sehr viel höheren Preis, als du es dir je vorstellen
könntest. Er ist so hoch, dass du dir die Frage, ob es sich gelohnt hat,
gar nicht mehr stellen kannst. Aber so ist es eben mit der Schöpfung.
## Schlafen
Ich frage mich, ob ich jemals wieder mehr als sechs Stunden am Stück
schlafen werde. Ich schätze, solange ich mich nicht jeden Morgen fragen
muss, ob ich jemals wieder mehr als vier Stunden am Stück schlafen werde,
ist die Situation noch ganz gut.
## Träumen
Früher träumte ich mehr.
## Ängste
Der Mensch ist so, dass er sich nicht gerne in engen Räumen, in fliegenden
Flugzeugen, in großen Menschenmengen usw. aufhält. Er mag es außerdem
nicht, wenn ihm jemand in den Nacken hechelt. Andererseits bekommt er auch
Angst, wenn er sich völlig allein fühlt. Es ist schwierig.
## Feinde
Meine Feinde existieren alle nicht mehr.
## Glück
Während des Marsches zur Zwangsarbeit ergötzte sich Ernő Szép an der
Schönheit der Natur.
## Schönheit
Pflanzen sind schön. Meistens reicht das aus. Siehe: Glück.
## Geld
Ich würde das, was ich tue, auch umsonst tun. Aber ich tu’s für Geld.
## Luxus
Eine Badewanne. (Mit warmem Wasser natürlich.)
## Schlechte Angewohnheiten
Ich beschimpfte Idioten auf der Straße als Idioten. Meine Familie findet
das peinlich. „Aber, meine Süßen, jemand muss es ihnen sagen. Wie sollen
sie sonst dahinterkommen?“
## Hoffnungen
Ich habe gelernt, dass ich, was die Gesundheit angeht, beträchtlich mehr
hoffen muss, als dass ich von etwas ausgehen oder etwas beeinflussen kann.
Ansonsten hoffe ich, ein so würdevolles Leben wie möglich leben zu können.
## Älterwerden
Dass meine Augen schlechter werden, betrachte ich als eine persönliche
Beleidigung.
## Grabsteinspruch
Besser nicht gereimt.
## Gott
Deus semper maior, „Gott ist immer größer“, ist ein gut brauchbarer Satz
auch für Atheisten.
1 Oct 2018
## AUTOREN
Alem Grabovac
## TAGS
Terézia Mora
Schreiben
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Horst Seehofer
Literatur
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Sie mag dem Sprechen nicht recht trauen, der literarischen Sprache aber
traut sie unbedingt: Terézia Mora erhält den diesjährigen
Georg-Büchner-Preis.
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