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# taz.de -- Umbenennung Mazedoniens: Es gibt keinen Plan B
> Am Sonntag stimmen die Bürger Mazedoniens ab, ob der Staatsname geändert
> werden soll. Es gibt dagegen viel Protest.
Bild: Wie diese Frau sind auch einige Bürger für ein europäisches Mazedonien
Thessaloniki/Skopje taz | Wenige Tage vor der großen Entscheidung holt
Gjorge Ivanov noch einmal zum Schlag aus. „Mazedonien darf keinen
historischen Selbstmord begehen“, sagt der Staatspräsident des Landes, als
er hinter dem Rednerpult steht und zur UN-Vollversammlung in New York
spricht.
Es ist eine Ansage an alle Bürger seiner Heimat, ein Boykottaufruf gegen
das, was am Sonntag die Geschicke Mazedoniens in neue Bahnen lenken könnte:
Nach fast drei Jahrzehnten Streit sollen die Mazedonen am Sonntag über eine
Namensänderung abstimmen, die den Weg in die EU und die Nato ebnen kann.
Und Ivanov? Wird nicht hingehen, verkündet er. Diese „weise Entscheidung“
würden sicher auch seine Mitbürger treffen.
Damit stellt er sich gegen den Namenskompromiss, den der Regierungschef
Mazedoniens, Zoran Zaev, mit Alexis Tsipras, dem Ministerpräsidenten
Griechenlands, [1][im Juni ausgehandelt hatte]. „Republik Nord-Mazedonien“
soll das Land demnach künftig heißen, das bisher international als „Frühere
jugoslawische Republik Mazedonien“, englisch abgekürzt FYROM, bezeichnet
wird.
Für den Staat steht viel auf dem Spiel: Als Gegenleistung für die
Namensänderung will Griechenland nicht länger den Beitritt des
Nachbarstaates in die Nato und die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen
blockieren. Athen hatte sich dagegen stets gewehrt. Im Norden Griechenlands
liegt die gleichnamige Provinz – noch immer wurden Gebietsansprüche der
Nachbarrepublik befürchtet.
## Widerstand gegen das Abkommen
Doch [2][in beiden Ländern gibt es Widerstand] gegen das Abkommen. Wenn das
Referendum in Mazedonien gelingen sollte, werden die Regierungschefs Alexis
Tsipras und Zoran Zaev um eine Ratifizierung in ihren Parlamenten ringen
müssen. In Mazedonien ruft die im Vorjahr abgewählte, in Korruptions- und
Abhöraffären verwickelte nationalistische Partei VMRO DPMNE zum Boykott des
Referendums auf.
Dabei läuft die „Ja“-Kampagne in Mazedonien auf Hochtouren.
Regierungsvertreter lassen auch das kleinste Dorf nicht aus, wenden sich im
Fernsehen und im Radio an das Volk, versuchen die Bürger von der
Notwendigkeit der Namensänderung zu überzeugen. Die Europäische Union
verspricht ein besseres Leben, die Nato bedeutet Sicherheit. Eine Änderung
des Staatsnamens sollte für die meisten Bürger kein zu hoher Preis sein,
meinen die Befürworter.
„Es wird Stimmung gemacht, dass das Referendum einfach gelingen muss. Der
ganze Westen steht dafür gerade“, sagt der bekannte mazedonische Kolumnist
Goran Mihajlovski. Er mischt mit, setzt sich für die Änderung des
Staatsnamens ein, denn: „Was haben wir schon zu verlieren?“
Dies sei doch die „Krönung des Jahrhunderte langen Kampfes“ der Mazedonier,
um endlich als selbstständiges Volk mit einer eigenen, mazedonischen
Sprache in einem souveränen Staat anerkannt zu werden, erklärt Mihajlovski.
Und genau das stehe im Abkommen mit Athen und es „sollte wirklich nicht am
Staatsnamen Republik Nord-Mazedonien scheitern“.
## Ein abgewandeltes Referendum
Für viele Mazedonier ist der Staatsname eine Frage des nationalen Stolzes
und der nationalen Identität. Deshalb wurde das Referendum über die
Änderung des Staatsnamens in ein Referendum über den Nato-Beitritt und
EU-Mitgliedschaft umgewandelt. „Sind Sie für die Mitgliedschaft in der EU
und der Nato unter der Berücksichtigung des Abkommens zwischen der Republik
Mazedonien und der Republik Griechenland?“, lautet die Referendumsfrage.
Die unpopulären Begriffe „Nord-Mazedonien“ und „Namensänderung“ wurden
ausgelassen.
„Irreführung“, wettern deshalb die Gegner der Namensänderung, die sie als
„Kapitulation“ bezeichnen. Für die Regierung gilt: Augen zu und durch mit
dem Referendum. Einen Plan B gibt es nicht.
Dafür hat Skopje die volle Unterstützung der EU und der Nato, die der
Aussicht eines Beitritts „Nord-Mazedoniens“ Glaubwürdigkeit verschaffen
wollen. EU-Erweiterungskomissar Johannes Hahn, Nato-Generalsekretär Jens
Stoltenberg, Bundeskanzlerin Angela Merkel und die britische
Premierministerin Theresa May ließen sich in den vergangenen Wochen in
Skopje blicken und sprachen sich für die Namensänderung aus. Frankreichs
Präsident Emmanuel Macron wandte sich über eine Videobotschaft an die
Mazedonier.
An einen neuen Namen müssen sich die Griechen nicht gewöhnen. Und trotzdem:
Auch die linksgeführte griechische Regierungskoalition ist in dieser Frage
gespalten. Der rechtspopulistische Koalitionspartner, die Partei Anel,
drohte sogar, die Regierung wegen des Namensstreits platzen zu lassen. Seit
Monaten finden in Griechenland Proteste statt.
## Auf die Straße
Immer wieder gingen die Gegner etwa in der nordgriechischen Hafenstadt
Thessaloniki auf die Straße, der Hauptstadt der Region Zentralmazedonien.
Es sei ein sehr emotionales Thema, sagt auch die Anwältin und
Anel-Vertreterin Stella Valanie-Dolopoulou in ihrem Büro im Zentrum
Thessalonikis, das neben Familienfotos zahlreiche Ikonen schmücken. „Mich
interessiert nicht, was es da für eine Übereinkunft zwischen den Politikern
beider Ländern gab“, sagt sie. „Es ist, als würde man uns einen Teil
unserer Heimat nehmen.“
Natürlich sei sie auch zu den Protestveranstaltungen gegen den Namen
Nord-Mazedonien gegangen. Das sei ihre Pflicht. „Denn unsere Urgroßeltern
haben für das Land und den Namen gekämpft.“ Das müsse man wertschätzen.
Mit den Faschisten will sie aber ausdrücklich nichts zu tun haben. Die
hatten die Proteste gegen den Namenskompromiss mehrfach zu gewalttätigen
Ausschreitungen genutzt. Anfang des Monats etwa warfen in Thessaloniki 200
Vermummte bei einer Demonstration mit Steinen nach der Polizei.
„Außerdem ist der Name auch ein Label für viele griechische Produkte“, sa…
Valani-Dolopoulou. Das Wörtchen Nord vor dem wichtigen Wort Mazedonien
würde viele verwirren, befürchtet sie. „Das schadet dem Handel und damit
der griechischen Wirtschaft.“
## Vereinbarung nicht verstanden
Im Zentrum Thessalonikis arbeitet auch Vasilis Bouloukos, Mitglied der
linken Regierungspartei Syriza. In seiner Arztpraxis sitzt er in einem
schwarzen Ledersessel hinter seinem Schreibtisch und bemüht sich, die
Bedenken zu zerstreuen. Die meisten, die sich gegen das Abkommen wehrten,
hätten die Vereinbarung nicht verstanden.
„Ich komme hier durch meine Arbeit täglich mit zahlreichen Menschen in
Kontakt und natürlich sprechen wir da auch über aktuelle Ereignisse“, sagt
Bouloukos. Viele denken etwa, dass die mazedonische Sprache nur noch den
Mazedoniern zugeschrieben wird. „Wenn ich sie dann aufkläre, sind sie der
Übereinkunft nicht mehr so abgeneigt“, sagt er.
Auch historisch sei es unrealistisch, das Wort Mazedonien im Namen des
Landes auszuschließen, so wie es die griechischen Gegner des Kompromisses
haben wollen. „Durch die Balkankriege wurde die Region Mazedonien auf die
Länder Jugoslawien, Bulgarien und Griechenland aufgeteilt“, erklärt
Bouloukos.
Der neue Name mache also sowohl geografisch als auch historisch Sinn. „Als
Linker bin ich in erster Linie Internationalist“, so Bouloukos. Durch diese
historische Vereinbarung würde in der Region endlich Stabilität hergestellt
und damit Frieden gesichert. Und das sei das Wichtigste für alle.
## Das Ja liegt in der Luft
Alle Umfragen deuten darauf hin, dass die Teilnehmer des Referendums am
Sonntag überwiegend mit Ja stimmen. Was aber, wenn viele dem Beispiel des
mazedonischen Staatspräsidenten Ivanov folgen und einfach nicht hingehen?
Das Gesetz verlangt eigentlich die Beteiligung von über der Hälfte der
Stimmberechtigten – aber aufgrund einer veralteten Volkszählung aus dem
Jahr 2002 sollen laut Medienberichten in Wahllisten rund 300.000 Wähler
mehr eingetragen sein, als es der Wirklichkeit entspricht.
Eine „verpflichtende“ Mehrheit von über fünfzig Prozent der offiziell 1,8
Millionen Wahlberechtigten für die Namensänderung gilt daher als
unerreichbar. Doch die Regierung hat einen Vorteil: Das Referendum ist
nicht bindend, sondern nur „konsultativ“. Angepeilt wird eine
„überzeugende“ Mehrheit.
Dann muss Premier Zaev aber noch die notwendige Zweidrittel-Mehrheit im
Parlament zusammenbekommen, um das Abkommen mit Athen zu ratifizieren.
Dafür wird er die Unterstützung von mindestens acht Abgeordneten der
Oppositionspartei VMRO DPMNE brauchen – die den Namenskompromiss ja
ablehnen.
## Viel wäre zu ändern
„Der Name Nord-Mazedonien stellt uns in einen völlig anderen
kulturhistorischen Kontext“, sagt etwa Rechtsprofessor Jove Kekenovski, der
Mitglied der VMRO DPMNE ist. Man müsste den Status der Kulturdenkmäler
ändern, Überschriften auf der Währung, auf Urkunden, Autokennzeichen, alle
amtlichen Dokumente.
Er bezeichnet das Abkommen als „unwürdig“, weil es in das politische und
verfassungsrechtliche System Mazedoniens eingreife. Es gehe um die
Identität des Volkes, sagt er, da will er nicht mitmachen. Kekenovski hält
es also wie der Staatspräsident: Er wird das Referendum boykottieren.
29 Sep 2018
## LINKS
[1] /Namensstreit-mit-Mazedonien/!5513071
[2] /Kommentar-Namensstreit-um-Mazedonien/!5479594
## AUTOREN
Theodora Mavropoulos
Andrej Ivanji
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