# taz.de -- Deutscher Spielfilm „Alles ist gut“: Eine erstickende Stille | |
> Eva Trobischs Film spielt mit Geschlechter- und Klassenfragen. Dabei wird | |
> eine Entfremdung vom Körper und vom Leben skizziert. | |
Bild: Aenne Schwarz als Janne in einer Szene des Films „Alles ist gut“ | |
Janne sieht im Baumarkt ein Video über Sportschuhe: „Extrem abrieb- und | |
kratzfest!“ Eigenschaften, die Eva Trobisch mit ihrem Film „Alles ist gut“ | |
vom Publikum einfordert. Um individuelle und strukturelle Gewalt zu | |
verhandeln, geht sie einfühlsam und intelligent, mitunter brutal bis an die | |
Grenze zum Nihilismus. | |
Die Vergewaltigung von Janne, um die sich der Film entspinnt, ist dabei nur | |
ein Ausgangspunkt. Bald wird das Erzwungene und Übergriffige auch über den | |
Körper hinaus zur sinnlichen Grundsituation einer Erzählung, die sich so | |
lange weiterschraubt, bis alle Lebensräume der Figuren von Gewalt | |
durchsetzt sind. Und dann steht alles wortwörtlich still. Der Film geht auf | |
Grundeis und legt ausgerechnet mitten in Bayern eine philosophische Kälte | |
frei, die schwer zu verdauen ist. | |
Alle Last trägt Aenne Schwarz. In der Rolle von Janne agiert sie einen | |
ganzen Katalog von Situationen durch, die von ihrer körperlichen und | |
emotionalen Verletzung überschattet werden oder diese noch verstärken. | |
Trobisch will eine permanente Auseinandersetzung, sucht das Unausweichliche | |
im Unterschwelligen. Sie lässt Janne nicht innehalten, die Begegnung mit | |
dem Täter Martin (Hans Löw) immer wieder durchleben. | |
Unbeirrt nimmt sie einen Job bei dessen Schwiegervater Robert (Tilo Nest) | |
an. Weil sie Robert mag und Martin keinen Raum geben will. Weil sie sich | |
weigert, dem Geschehenen seine Drastik zuzugestehen. Martin wiederum ist | |
ein unscheinbarer Waschlappen, der sich mehrmals mit schlechtem Gewissen zu | |
ihr stellt und fragt, was er tun kann. Ihre Antworten sind vernichtend und | |
von Schwarz scharf ausgesprochen, klären nichts und spenden keinen Trost. | |
Neben Jannes Fähigkeit, Martin mit Worten zu zerstören, erscheint ihre | |
Stille allen anderen Menschen gegenüber umso erstickender. | |
## Kunstraum wird zum entrückten Schauplatz | |
Nicht einmal ihrem Freund Piet (Andreas Döhler) sagt sie etwas. Gerade ihm | |
nicht. Als sie nach der traumatischen Nacht nach Hause kommt, verschweigt | |
sie, warum sie eine Schramme an der Backe hat. „Jetzt denken alle, ich hab | |
dir eine reingehauen“, meint Piet. Und bald wird klar, dass der Verdacht | |
nicht haltlos ist. Von dem sympathischen Berliner, der Janne so nah ist und | |
für sie nach München zog, geht die größte Aggression im Film aus. | |
Trobisch spielt neben Geschlechter- und Klassenfragen mit innerdeutschen | |
Mentalitäten und verkompliziert die Menschen vielfach, Männer wie Frauen. | |
Besonders gut funktioniert Robert, der mit Janne befreundet und doch der | |
Onkel des Vergewaltigers ist. Der Großkapitalist und Verleger will sie mit | |
privilegiertem Herumgejammer überzeugen, sein Jobangebot als Lektorin | |
anzunehmen: „Ich brauch wenigstens eine Frau in meinem Leben, die zu mir | |
hält.“ | |
Die Geschichte verdichtet sich in einem Theatersaal, wo Janne mit Robert | |
und Martin ein unwichtiges Stück sieht, das nichts zur Sache tut. Der | |
Kunstraum wird zum entrückten Schauplatz des Wegsehens, in dem nur die | |
Naiven noch an Ästhetik denken. | |
Eva Trobisch skizziert eine fundamentale Entfremdung vom Körper, vom Leben. | |
Die Verhältnisse tun dazu perfide und wie nebenbei ihren Teil, ebenso wie | |
die unappetitliche Konstruiertheit, die den Film durchzieht. In einem | |
bitteren Moment, wenn es um Abtreibung geht, wird beinahe ein Kind | |
überfahren. Ausgerechnet. Die souveräne Janne bewegt sich nicht mehr | |
zielsicher und trifft letztlich auf das Schlimmste, was ihr in Deutschland | |
begegnen kann: Banalität, bar jeder Regung. | |
27 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Dennis Vetter | |
## TAGS | |
taz.gazete | |
Filmrezension | |
Sexualisierte Gewalt | |
Spielfilm | |
Deutscher Film | |
Filmkritik | |
Perspektive Deutsches Kino | |
Dystopie | |
Spielfilm | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt #metoo | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neuer Spielfilm von Ulrich Köhler: Willkommene Einsamkeit | |
„In My Room“ zeigt eine Realitätsflucht per Zeitreise. Die Menschenleere | |
bietet dem teilnahmslosen Protagonisten einen Neuanfang. | |
Australischer Western „Sweet Country“: Lektionen in Demut | |
Soziale Verschiebungen im Blick: Warwick Thorntons australischer Western | |
„Sweet Country“ erzählt detailreich von einen Aborigine-Farmhelfer. | |
Justizdrama „Naomis Reise“: Abgründiger Sog | |
„Naomis Reise“ erzählt vom Prozess um den Mord an einer Migrantin in | |
Deutschland. Er zeigt, wie die Justiz Machtverhältnisse | |
institutionalisiert. | |
ARD-Themenabend über Sexismus: Die Frau lügt, der Mann ist das Opfer | |
Die ARD beschäftigt sich am Mittwochabend mit sexueller Nötigung. Doch der | |
Beitrag „Meine fremde Freundin“ ist falsch platziert. |