# taz.de -- Chemnitzer FC in der Regionalliga: Bräunlich himmelblau | |
> Der Chemnitzer FC wird von einem Insolvenzverwalter geführt, der den Klub | |
> zum Bollwerk gegen rechts machen will. Viele Freunde hat er dort nicht. | |
Bild: Und dann auch noch Pyro-Nebel: Spieler des Chemnitzer FC beim Regionallig… | |
Bis vor Kurzem war die Farbenlehre des Chemnitzer FC recht eintönig. Seit | |
über 50 Jahren schon ist die Trikotfarbe der Spieler zugleich der | |
Markenname des Vereins. „Die Himmelblauen“ werden die Fußballer genannt und | |
geschrieben steht dies selbstverständlich auch auf dem Mannschaftsbus. Seit | |
einigen Tagen ziert das Gefährt jedoch ein weiterer Schriftzug: „Chemnitz | |
ist weder grau noch braun!“ | |
Eine Selbstbeschreibung ex negativo. Die Stadt ist nach den Attacken auf | |
Ausländer am Rande einer Demonstration, die eigentlich ein Trauermarsch für | |
den getöteten Deutschen Daniel H. sein sollte, [1][in Verruf gekommen]. Und | |
weil es Verbindungen aus der Fanszene des Chemnitzer FC zu den | |
rechtsextremen Ausschreitungen gibt, drängt es nun auch den Verein zu | |
bunten Bekenntnissen. | |
Besonders forsch formuliert Klaus Siemon: „Wir wollen den Chemnitzer FC zu | |
einem Bollwerk gegen den Rechtsradikalismus machen.“ Doch wer ist „wir“, | |
und wer ist eigentlich der Verein? Siemon ist Insolvenzverwalter. Seit | |
April hat er das Sagen bei den finanziell abgestürzten Himmelblauen. | |
„Niemand sonst im Verein ist berechtigt, sich öffentlich zu äußern“, ste… | |
er klar. Siemon telefoniert von Düsseldorf aus, dem Hauptsitz seiner | |
Kanzlei, in Chemnitz hat er eine Dependance. | |
Siemon ist ein Machertyp. In Deutschland zähle er zu den fünf am meisten | |
bestellten Insolvenzverwaltern, wie er erzählt. Möglicherweise liegt das an | |
seiner Kompromisslosigkeit. Vereinspräsident Andreas Georgi und | |
Aufsichtsratschef Uwe Bauch hat Siemon gleich im Juli Hausverbot für die | |
Geschäftsstelle und Teile des Stadions erteilt. Und weil Totalkrisen eh | |
sein Fachgebiet sind, will er das wieder zu Tage getretene Problem mit den | |
rechtsextremen Fans gleich mit beheben. | |
Mit dem Slogan auf dem Bus, den sich eine Initiative aus Unternehmern und | |
Wissenschaftlern ausgedacht hat, reist [2][der Regionalligist] jetzt durch | |
den Osten Deutschlands. Ein erster Schritt. Aber der Stadt und dem Verein | |
begegnen derzeit große Vorbehalte. | |
## Kaotic Chemnitz ärgert sich | |
Das spürt man beim Chemnitzer FC vor dem ersten Heimspiel seit den | |
rassistischen Ausschreitungen intensiv. Zu Gast ist am Samstag um 15 Uhr im | |
Stadion an der Gellertstraße der Berliner Athletik-Klub, ein | |
Migrantenverein mit zahlreichen türkischstämmigen Spielern. Dessen | |
Präsident Ali Han hat aus Sicherheitsbedenken zuerst eine Absage ins | |
Gespräch gebracht, zuletzt kündigte er an, das Team werde bei | |
ausländerfeindlichen Äußerungen im Stadion sofort den Rasen verlassen. | |
Untergebracht ist sein Team 40 Kilometer entfernt von Chemnitz. Kürzlich | |
bei einem Gastspiel in Sachsen hat man gar in Tschechien übernachtet. Für | |
die Fahrt am Samstag zum Stadion hat Han Polizeischutz angefordert. | |
Solche Maßnahmen würden diametral dem Bild entgegenstehen, das der | |
Chemnitzer FC unter der Regie seines Insolvenzverwalters an diesem Tag | |
vermitteln möchte. Für das Heimspiel verkauft der Verein bereits seit Tagen | |
ein T-Shirt mit der Aufschrift „Toleranz – Weltoffenheit – Fairness“. D… | |
Fans hat man dazu aufgerufen, sich damit gegen den BAK zu zeigen. | |
Man will ein Zeichen setzen, nachdem Kaotic Chemnitz, eine seit 2012 mit | |
Erscheinungsverbot im Stadion belegte rechtsextreme Fangruppierung via | |
Facebook für den Protest, der gewaltsam endete, mobil gemacht hatte: | |
„Unsere Stadt – unsere Regeln (…) Lasst uns zusammen zeigen, wer in der | |
Stadt das Sagen hat! Ehre, Treue, Leidenschaft für Verein und Heimatstadt.“ | |
Gut 800 Menschen kamen zusammen. | |
Nach Einschätzung von Robert Claus, Experte für Hooliganismus und | |
Rechtsextremismus, war nicht allein der Aufruf von Kaotic Chemnitz, denen | |
er etwa 20 Mitglieder zurechnet, dafür maßgeblich. „Die Kommunikation der | |
Chemnitzer Rechtsextremen läuft in den sozialen Netzwerken nicht selten | |
über die Kanäle diverser Fußballgruppen.“ Sie hätten die | |
kameradschaftlichen Strukturen von früher abgelöst. | |
## Hausverbot für den Präsidenten Andreas Georgi | |
Es gebe in Chemnitz seit fast 30 Jahren einen agilen subkulturellen | |
Rechtsextremismus, für den der Fußball und Rechtsrock zentral seien. Es | |
fing an mit der Gruppierung Hoonara (Hooligans, Nazis, Rassisten), die | |
offiziell zwar aufgelöst wurde, aber mit der sich heute immer noch einige | |
in der Chemnitzer Kampfsportszene identifizieren, wie Robert Claus | |
berichtet. | |
Nach wie vor aktiv sind die NS-Boys. Zwar wurde die 2004 gegründete | |
Ultragruppierung bereits 2006 mit Stadionverbot belegt, ihre etwa 20 | |
Mitglieder besuchen dennoch regelmäßig die Spiele des Chemnitzer FC. Die | |
einzelnen Gruppen seien weniger von Bedeutung als vielmehr das ganze | |
Geflecht, sagt Claus. Es gebe Beziehungen bis in die neonazistischen | |
Parteikader, beispielsweise zu der in Dortmund ansässigen Partei „Die | |
Rechte“. | |
Insolvenzverwalter Klaus Siemon vertraut für den Samstag und das | |
wegweisende Spiel gegen den BAK auf die Dominanz der Demokraten: „Ich kann | |
mir nicht vorstellen, dass sich im Stadion jemand als Gegner von Freiheit, | |
Demokratie und Rechtsstaat outet.“ | |
Siemon selbst wiederum hat in Chemnitz jede Menge Gegner, die er vor allem | |
durch das Hausverbot für den Präsidenten Andreas Georgi gegen sich | |
aufgebracht hat. Georgi hatte dieses Amt erst im Februar kurz vor der | |
Insolvenzanmeldung übernommen. Er stammt aus der Fanszene. Seit vielen | |
Jahren schon steht er auf der Südtribüne, wo die Stimmung gemacht wird, und | |
hat als Anwalt einige Anhänger des Vereins vor Gericht „wegen | |
Ordnungswidrigkeiten“, wie er sagt, vertreten. Außerdem ist er seit 2014 im | |
Vorstand des „Fanszene e. V. Chemnitz“, einer Fanklubvereinigung. | |
## „Nicht sanierungsfähig“ | |
Siemon sagt: „Ich halte die derzeitige Führungsstruktur beim Chemnitzer FC | |
nicht für sanierungsfähig, weil es personelle Überschneidungen mit dem | |
Interessenverband Fanszene e. V. gibt, aber auch aufgrund der Erfahrungen, | |
die ich seit Beginn meiner Arbeit hier gesammelt habe.“ Solche Sätze sind | |
mit ein Grund dafür, weshalb die Ultras auf der Südtribüne mit | |
Spruchbändern ihren Unmut gegen Siemon bekunden. Der von ihnen erträumte | |
Fanverein ist in weite Ferne gerückt. Es wird gemutmaßt, Siemon strebe eine | |
Ausgliederung der Profiabteilung an. Am 26. September muss er erst einmal | |
bei der Gläubigerversammlung bestehen. | |
Die Chemnitzer Morgenpost bekundet ebenfalls regelmäßig ihren Unmut gegen | |
Siemon. Mit Ronny Licht, dem Gründungsmitglied der „Ultras Chemnitz 99“, | |
verfügt die Zeitung über einen Mitarbeiter, der auch im Vorstand von | |
„Fanszene e. V. Chemnitz“ sitzt. Er hält sich zwar aus der direkten | |
Berichterstattung heraus, wird sich aber wohl als Informant kaum | |
verweigern, sofern es dem Fanszene e. V. von Nutzen ist. Siemon vermisst | |
auch die Unterstützung der Stadt: „Die Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig | |
hat sich bei mir trotz der Bedeutung des Vereins auch für die Stadt bislang | |
nicht gemeldet.“ | |
Der verbannte Präsident Georgi wirft Siemon indes vor, stillos gehandelt zu | |
haben. „Ich habe den Fanszene e. V. mitgegründet, um etwas zu bewegen. Umso | |
verwunderter bin ich, dass man mir das jetzt zum Vorwurf macht.“ Bis heute | |
habe Siemon kein Konzept vorgelegt, wo es mit dem Verein denn hingehen | |
solle. Der Verein habe 2.500 Mitglieder, Siemon könne nicht alles im | |
Alleingang entscheiden. | |
Und im neu ausgerufenen Kampf gegen den Rechtsradikalismus wirft Georgi | |
dem Insolvenzverwalter Zögerlichkeit vor. Erst nachdem der Aufsichtsrat | |
eine Stellungnahme zum Tod von Daniel H. und den gewalttätigen | |
Demonstranten auf der Webseite platzieren wollte, habe dieser einen Tag | |
später einen eigenen Text verfasst. | |
## Deutlich buntere Fangemeinde | |
In der Sache, sagt Georgi, sei man sich einig. Eine klare Distanzierung von | |
den Rechtsextremen sei notwendig. Er selbst habe auf der Demonstration | |
„Herz statt Hetze“ gesprochen. Aber die Schwierigkeiten mit rechtsextremen | |
Anhängern sei kein typisches Chemnitzer Problem. Auch dank der guten Arbeit | |
des Fanprojekts habe sich vieles im Stadion zum Guten entwickelt. Die | |
Fangemeinde auf der Südtribüne sei deutlich bunter geworden. Diese Aussage | |
bestätigen auch andere Beobachter. | |
Rechtsextremismusexperte Claus glaubt, dass die rechtsextreme Szene damit | |
gut leben könne, solange die bunte Anhängerschaft sich nicht explizit | |
politisch positioniert. Er sagt: „Anders als etwa in Cottbus gibt es in | |
Chemnitz keine organisierte, offen antidiskriminierende Fangruppe.“ | |
Das Stadionverbot für die Gruppe Kaotic Chemnitz, auf das Georgi gern | |
verweist, scheint indes wenig wirksam zu sein. Im Fanforum des Chemnitzer | |
FC war dieser Tage zu lesen: „Auf Bildern der letzten Heimspiele, inklusive | |
der letzten Saison, ist die Kaotic-Fahne immer deutlich am Zaun zu | |
erkennen. Zusätzlich laufen die Jungs mit Kaotic-Shirts und -Caps | |
regelmäßig durchs Stadion.“ Claus sagt, es sei unheimlich schwierig, | |
politisch integre Ordnungsdienste zu finden. | |
Beim Chemnitzer FC gibt es jede Menge Baustellen, aber nach wie vor ist | |
nicht erkennbar, wer, wo, wie anpacken will und was am Ende dabei | |
herauskommen soll. | |
14 Sep 2018 | |
## LINKS | |
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[2] http://www.kicker.de/news/fussball/regionalliga/rlno/regionalliga-nordost-2… | |
## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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