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# taz.de -- #WhyIDidntReport und Brett Kavanaugh: Hashtag der Solidarität
> Trump unterstellt Blasey Ford, ihr Missbrauch sei nicht schlimm gewesen.
> Sie hätte ja keine Anzeige erstattet. Mit dieser Meinung ist er nicht
> allein – leider.
Bild: Viele Demokrat*innen stellen sich hinter Christine Blaisey Ford
Über zwanzig Jahre wartete ich, bis ich meinen sexuellen Missbraucher
anzeigte. Weil ich 14 Jahre alt war. Weil er mein Held war. Weil er mein
Priester war. Weil ich dachte, ausgeschlossen zu werden. Weil ich Angst
hatte, dass mir niemand glauben würde. Weil ich dachte, Suizid wäre
einfacher als nur einer Person davon zu erzählen.“ Diesen Tweet
veröffentlichte der preisgekrönte Fernsehjournalist Thomas Roberts am
Freitag, versehen mit dem Hashtag #WhyIDidntReport. Innerhalb von drei
Tagen wurde der Tweet knapp 55.000 Mal geteilt.
Knapp ein Jahr ist es her, dass Menschen unter #MeToo von sexualisiertem
Missbrauch oder Gewalt erzählen, die sie erlebt haben. Seit vergangenem
Freitag berichten Tausende unter #WhyIDidntReport, wieso sie diese
vergangenen Taten nicht zur Anzeige gebracht haben. Die Gründe dafür sind
vielfältig und beinhalten Schamgefühl, Angst vor der Rache des Täters oder
die Sorgen, niemand würde ihnen glauben.
Auslöser für den Hashtag war ein Tweet des US-Präsidenten Donald Trump, der
auf die Vorwürfe der Professorin Christine Blasey Ford einging, [1][Brett
Kavanaugh habe versucht, sie zu vergewaltigen]. Blasey Ford hatte Kavanaugh
vor anderthalb Wochen beschuldigt, er habe sie Anfang der 1980er sexuell
missbraucht: Nach einer Schülerparty 1982 habe Kavanaugh sie auf ein Bett
geworfen, versucht sie auszuziehen und am Schreien gehindert. Damals war
sie 15.
Am Freitag twitterte Trump: „Ich habe keinen Zweifel, dass Dr. Ford oder
ihre liebenden Eltern sofort Anzeige erstattet hätten, wenn die Attacke
wirklich so schlimm war, wie sie sagt.“
Daraufhin entstand #WhyIDidntReport als Solidaritätsaktion zu Blasey Ford
und um klarzustellen, dass ein Schweigen nach sexualisierter Gewalt die Tat
nicht ungeschehen oder weniger schlimm macht. #MeToo-Initiatorin Alyssa
Milano reagierte, ebenso Pattis Davis, die Tochter von Ronald Reagan.
## Der Fall Anita Hill
Emotional geführt wird die Debatte auch, weil die Geschichte von Blasey
Ford an einen Fall von vor fast 30 Jahren erinnert: Die
[2][Rechtsprofessorin Anita Hill] hatte ihrem früheren Vorgesetzten
Clarence Thomas 1991 vorgeworfen, sie sexuell belästigt zu haben. In den
1980ern hatten sie gemeinsam im Bildungsministerium gearbeitet, wo er ihr
gegenüber am Arbeitsplatz immer wieder anzügliche bis pornografische
Bemerkungen gemacht haben soll. Als der damalige US-Präsident George Bush
Thomas als Richter für den Supreme Court vorgeschlagen hatte, gelangte eine
Aufzeichnung zwischen Hill und dem FBI an die Öffentlichkeit. Die
Republikaner versuchten Hills Glaubwürdigkeit anzuzweifeln. Sie wurde der
Falschaussage bezichtigt und öffentlich vernommen. Konkrete Beweise für die
Vorwürfe gab es nicht, es stand Aussage gegen Aussage. Am Ende wurde Thomas
als Richter bestätigt und Hill wurde 1996 von der University of Oklahoma
entlassen.
Doch Hill musste nicht nur die Anfeindungen während der achtstündigen
Vernehmung ertragen. Es gab eine Schlammschlacht gegen die Juristin, die
wenige Jahre später in der Veröffentlichung des Buches „The Real Anita
Hill“ gipfelte: Autor David Brock bezeichnete sie darin als „ein wenig irre
und ein wenig nuttig“.
Auch Kavanaugh und Blasey Ford werden vor dem Justizausschuss des Senats
aussagen. Bisher hat Kavanaugh die Vorwürfe vehement bestritten – und
genießt weiter Rückendeckung vom Weißen Haus. Und das, obwohl sich mit
[3][Deborah Ramirez nun schon eine zweite Frau zu Wort meldet], die
Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs erhebt.
## Klassisches Victim-Blaming
Trumps Tweet zu Blasey Fords Vorwürfen offenbart ein klassisches
Victim-Blaiming. Er versteht nicht, warum es vielfältige Gründe für die
Opfer gibt, die Vergewaltigungen und Belästigungen nicht anzuzeigen. Und
damit steht Trump nicht alleine da. Es spiegelt eine häufig vertretene
Meinung unserer patriarchal strukturierten Gesellschaft wieder: Wer
belästigt wurde, muss sofort Anzeige erstatten. Wer das nicht tut, hat für
immer zu schweigen.
Auch in Deutschland tauchte in der #MeToo-Debatte immer wieder diese Frage
auf: Warum hast du ihn nicht angezeigt? In Talkshows, auf Twitter, in den
Meinungsartikeln verschiedener überregionaler Zeitungen. So schrieb
[4][Thomas Fischer für Zeit Online] auf, dass viele #MeToo-Erzählungen für
ihn „etwas schräg und gelegentlich auch rührend“ seien. Alle anderen mit
veritablen Straftaten hätten angezeigt werden müssen, anstatt sie jetzt zu
veröffentlichen. Als mit den Vorwürfen gegen den Regisseur Dieter Wedel
#MeToo seinen ersten prominenten Fall aus Deutschland hatte, wurden diese
Stimmen noch lauter. So forderte die Gerichtsreporterin Gisela Friedrichen
in einem Gastartikel in der Welt: „Wenn es ein Opfer nicht schafft, binnen
immerhin 20 Jahren solche Vorwürfe amtlich geltend zu machen, muss und darf
irgendwann Schluss sein.“
Für Menschen dieser Meinung scheint die Lösung ganz einfach zu sein. Kaum
eine*r würde widersprechen, dass eine Anzeige theoretisch der beste Weg ist
im Umgang mit sexualisierter Gewalt. Durch eine Verurteilung bekommen die
Täter*innen Konsequenzen für ihr Handeln zu spüren, Unschuldige müssten
sich heute nicht mit schwerwiegenden Vorwürfen auseinandersetzen. Viele
prominente Fälle, in denen Frauen (und Männer) im Zuge von #MeToo von ihren
Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt erzählen, sind heute verjährt. Dazu
zählen auch ein Großteil der Vorwürfe gegen den [5][Produzenten Harvey
Weinstein], dessen Geschichte die #MeToo-Debatte auslöste, oder auch Dieter
Wedel.
So weit die Theorie. Doch die hat leider wenig mit der Realität und den
Gefühlen der Opfer zu tun. Denn diesen steht im Fall einer Anzeige eine
stark belastende Prozedur mit geringen Erfolgschancen bevor: Es folgen
Vernehmungen von der Polizei, medizinische Untersuchungen und eine Aussage,
womöglich sogar eine Konfrontation mit der Täter*in vor Gericht. Das alles
ist nötig, damit Richter*innen ihre Urteile fällen können – doch es ist f�…
die Traumatisierten häufig ein extrem belastendes Verfahren.
Die Chancen, dass ein Täter verurteilt wird, sind zudem gering. Konkrete
Zahlen, wie viele Anzeigen sexualisierter Gewalt nicht zu einer
Verurteilung führten, sind schwer zu finden. Doch sowohl in Deutschland als
auch in den USA werden Vorfälle der sexualisierten Gewalt immer häufiger
angezeigt und vor Gericht gebracht – aber die Angeklagten seltener
verurteilt. So bekommen viele Betroffene das Gefühl, eine Anzeige sei
nervenaufreibend, und endete für sie meist erfolglos.
#WhyIDidntReport ist keine neue Bewegung, sondern ein Teil von #MeToo, der
längst überfällig war. Denn er stellt die Schwierigkeiten, Ängste, Wut und
Scham heraus, die häufig mit sexueller Belästigung und Missbrauch
einhergehen. Es ist richtig, dass auch bei Vorwürfen der sexualisierten
Gewalt die Unschuldsvermutung zutrifft, also: In Zweifel für den
Angeklagten. Doch es darf nie der richtige Weg sein, Opfer an den Pranger
zu stellen. Durch #WhyIDidntReport kann die Gesellschaft lernen, wie sie
mit Betroffenen umgehen sollte und ihr neu erlerntes Wissen gleich bei
Blasey Ford und Ramirez anwenden. Denn es sollte nicht noch eine Anita Hill
geben müssen.
24 Sep 2018
## LINKS
[1] /Vergewaltigungsvorwurf-gegen-US-Jurist/!5533406
[2] /Essay-zur-Debatte-um-sexuelle-Belaestigung/!5482693
[3] /Vorwurf-gegen-US-Richterkandidat/!5537548
[4] https://www.zeit.de/gesellschaft/2017-10/metoo-sexismus-opfer-soziale-medie…
[5] /Filmproduzent-Harvey-Weinstein/!5508236
## AUTOREN
Carolina Schwarz
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