# taz.de -- Debatte #Aufstehen: Kennt man von der AfD | |
> Wenn das Geschreibsel des Soziologen Streeck für „Aufstehen“ steht, dann | |
> möchte man lieber liegenbleiben. Es ist ebenso peinlich wie faktenfern. | |
Bild: Preisfrage: Was gab es schon vor der „Flüchtlingskrise“ von 2015? Ri… | |
Zwischen Rechtsrückern und Sorglingen fallen die Hemmungen, und alles darf | |
sich äußern, was Rang und eine Meinung hat. Anders kann man kaum erklären, | |
warum [1][die ZEIT dem Soziologen Wolfgang Streeck eine ganze Seite | |
verfügt], um – ja, was eigentlich? Laut Überschrift soll es um eine linke | |
Bewegung gehen: Streeck ist einer der parteilosen Vordenker von #Aufstehen. | |
Aber statt vorzudenken, gar ein Ideengebäude zu zimmern, schlägt er um sich | |
alles in Trümmer: Gerichte und Medien, Unternehmen und Parteien, | |
Einwanderung. Wenn das #Aufstehen ist, dann bleibt man besser liegen. | |
„Ist Fremdenfeind, wer Einwanderer als Konkurrenten um Arbeits-, Kita- und | |
Wohnplätze erlebt und deshalb Einwanderung begrenzt sehen will?“, wirbt | |
Streeck zu Anfang um Verständnis. Mit links hat das nichts zu tun. | |
Migranten und Flüchtlinge sind nicht schuld an der Knappheit bei Kitas und | |
Wohnraum. Die war schon lange da. Nicht-fremdenfeindlich wäre: Wir brauchen | |
mehr Sozialwohnungen, mehr Kitabetreuung, mehr Lehrpersonal. | |
Nicht-fremdenfeindlich wäre, davon abzusehen, Menschen, die zu uns kommen, | |
als Sündenbock für altbekannte heimatliche Probleme auf Zeitungsseiten zu | |
zerren. | |
Aber das reicht noch nicht. Streeck fährt fort, wegen der Einwanderung | |
lohne es sich weniger, in berufliche Bildung zu investieren: Qualifizierte | |
Kräfte würden durch gering Qualifizierte ersetzt. Da möchte man ihn, den | |
emeritierten Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, | |
dringend an die Fachliteratur seines Fachs erinnern. Sie legt klar dar, | |
dass neu Zugewanderte sich auf das Lohnniveau der Mitte wenig bis gar nicht | |
auswirken. Sie konkurrieren langfristig vor allem mit bereits im Land | |
lebenden Zugewanderten. | |
Wäre gerade das nicht eine linke Baustelle? Initiativen unterstützen, sich | |
für Sprachkurse stark machen und dafür, dass jedes Kind maximal gefördert | |
wird, egal aus welcher Familie es kommt? Millionen deutscher Haushalte | |
würden profitieren, gemeinsam mit den Zugewanderten. Stattdessen schreibt | |
sich Streeck in Zeiten von Fachkräftemangel und Digitalisierung eine Mär | |
zurecht, in der Fachkräfte großflächig durch Minderqualifizierte abgelöst | |
würden. Es ist ja bekannt: All die Pflegestätten und Kitas, | |
MINT-Unternehmen und Handwerksbetriebe, Schulen, Staatsanwaltschaften und | |
Gerichte in Deutschland warten seit Jahren auf geringqualifizierten Zulauf, | |
halten tausende Stellen unbesetzt, nur um endlich die Löhne zu drücken. | |
## Streeck weiß genau, was mit der AfD los ist | |
Aber die Zugewanderten sind nicht die einzigen Schelme, nein: Die | |
Gesellschaft mischt mit! „Jedes“ von der AfD aufgegriffene Thema würde | |
sofort zum Tabu. Oder, auf Streeckisch: „für beschweigungspflichtig“ | |
erklärt. Na bitte: Endlich wissen wir, warum nicht-stattfindender sozialer | |
Wohnungsbau und Ghettobildung, stetig steigende Kinderarmut, eine halbe | |
Million Obdachlose, hunderttausende Menschen ohne Krankenversicherung und | |
der Umstand, dass sozialer Aufstieg hier durchschnittlich 180 Jahre dauern | |
kann, in der öffentlichen Debatte untergehen. Na klar, das sind typische | |
AfD-Themen: Die werden tabuisiert! Und ersatzweise darf man wöchentlich | |
wählen zwischen unzähligen Talkshows über Asyl und Fluchtursachen. | |
Überhaupt, Streeck weiß genau, was mit der AfD los ist – und wer sie groß | |
gemacht hat. | |
Dass die AfD im Zuge des drohenden Grexits entstanden und herangewachsen | |
ist: Egal. Merkel und die SPD, so Streeck, hätten mit ihrer Ansage, „dass | |
man heutzutage nationale Grenzen eben nicht kontrollieren […] dürfe“ uns | |
die AfD als „festen Bestandteil des deutschen Parteiensystems beschert“. | |
Dass der Europäische Gerichtshof urteilte, systematische Grenzkontrollen im | |
Inneren würden gegen europäisches Recht verstoßen: Egal. Dass die | |
AfD-Aussteigerin Franziska Schreiber erklärte, Merkel habe die Grenzen | |
nicht geöffnet, „wir als Funktionäre in der AfD-Jugendorganisation haben | |
uns das ausgedacht“: Egal! Merkel und die SPD sind schuld. Man muss es nur | |
oft genug sagen, dann glaubt man’s. | |
Nach selbigem Prinzip geht es gegen die Europäische Union (EU). Erst | |
grantelt Streeck, man dürfe den Nationalstaat nicht „um seiner | |
Internationalisierung willen abschalten“, und müsse aufhören, von Europa | |
Lösungen zu verlangen. Dann jammert er, warum die EU denn nichts | |
unternommen habe gegen den „Absturz der britischen politischen Ökonomie | |
seit Thatcher“. Was denn nun? Hat man die Hilferufe der Briten, sich in | |
nationale Angelegenheiten einzumischen, kollektiv ignoriert? Seit Thatchers | |
Antritt 1979, als es die EU in ihrer heutigen Form noch gar nicht gab? | |
Streeck hätte Raum gehabt für Wissenschaft, Raum für Für und Wieder, Raum | |
für offene Fragen und gemeinsame Ziele. Stattdessen schleudert er | |
Feindbilder, von „Marktkräften“ über „gutmenschliche Bessertuer“ bis … | |
„Gerichtshöfen“. | |
## Ja, der Text ist peinlich für Streeck | |
Um seine Abschottungsliebe zu begründen, zitiert Streeck die | |
Harvard-Wissenschaftler Dani Rodrik und Lawrence Summers – und zwar | |
entgegen ihrer Theorien. Beide fragten „heute“, so Streeck, ob „die | |
Globalisierung zu weit gegangen sei“ (Rodrik) und forderten einen | |
„verantwortungsvollen Nationalismus“ (Summers). Dazu sagt er nicht, dass | |
Rodriks Buch, „Ist die Globalisierung zu weit gegangen?“ 1997 erschien | |
(wenn das heute ist, was wär dann morgen?) und vor allem davon handelt, wie | |
Unternehmen die Arbeiterschaften verschiedener Länder gegeneinander | |
ausspielten. | |
Nicht dazu sagt er auch, dass Summers – einst Chefökonom der Weltbank – | |
generell wider dem Nationalismus argumentiert. Summers ruft dazu auf, die | |
Errungenschaften der Globalisierung zu schützen und schreibt Sätze wie: | |
„Zäune, Mauern und Barrieren sind kein effektiver Ansatz, um sich gegen | |
ungewollte Ströme von Menschen zu wehren.“ Dass einer wie Streeck, der | |
dauernd über die fatale „No-Border-Linke“ mimosert, jemanden wie Summers | |
als Nationalisten tituliert – wen wundert es bei dieser Kenntnistiefe, die | |
dazu führt, dass er Merkel Machiavellistin bezeichnet? | |
Ja, der Text ist peinlich für Streeck. Peinlich ist er auch für das | |
Max-Planck-Institut, mit dessen Namen Streeck sich schmücken darf. Und | |
peinlich ist er für die ZEIT. Ist Faktencheck verstorben, hat man ihn | |
betrauert, gab es Nelken? Wie kann es sein, dass die große Wochenzeitung | |
der Mitte einen Text druckt, an dessen Ende es heißt, „das deutsche | |
Parteiensystem und seine öffentlich-rechtlichen wie privaten medialen | |
Metastasen“ (wobei die ZEIT nicht ausgeschlossen wird) könnten „die | |
entscheidenden Fragen der Politik nicht einmal ernsthaft zur Diskussion | |
stellen“? Nur eine neue Kraft, so Streeck, könne das ändern. Welche meint | |
er? #Aufstehen kann es nicht sein, denn was Streeck von sich gibt, und wie | |
viel davon stimmt – das ist nicht neu. Man kennt es von der AfD. | |
5 Sep 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.zeit.de/2018/36/sammelbewegung-aufstehen-die-linke-unterstuetzu… | |
## AUTOREN | |
Anett Selle | |
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