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# taz.de -- Debatte Brexit: Eine Chance für die Linke
> Gegen einen herrschenden Elitekonsens, für Demokratie und Partizipation:
> Es gibt viele gute Gründe dafür, einen harten Brexit zu unterstützen.
Bild: Schon jetzt eine Klasse für sich: Mitglieder der Leibgarde der Queen, in…
Im Juni habe ich gemeinsam mit einigen Wissenschaftlern und Personen des
öffentlichen Lebens geholfen, ein neues Kampagnennetzwerk zu lancieren:
„The Full Brexit“. Wir haben diese Gruppe aufgebaut, um für den Brexit aus
einer linken Perspektive einzutreten. Wie der Name bereits andeutet, halten
die Gründer des Netzwerks den Brexit nicht für etwas Fürchtens- oder
Beklagenswertes, auch nicht für etwas, das untergraben oder verwässert
werden sollte. Man sollte vielmehr den Brexit maximal ausschöpfen und sich
zunutze machen.
The Full Brexit gehört zu einer ganzen Reihe von Pro-Brexit-Gruppen, die
seit dem Votum im Juni 2016 entstanden sind. Sie sind in ihren Ursprüngen
und Ansichten unterschiedlich – manche versammeln Künstler, andere
Akademiker, andere sind ausdrücklich politisch – aber sie haben alle die
gleiche Motivation. Im vergangenen Jahr haben wir mit angesehen, wie eine
verwirrte Regierung unter einer Premierministerin Theresa May, die selbst
für den Verbleib in der EU gestimmt hatte, die Austrittsverhandlungen mit
der EU führt.
Die britische Regierung und die breite politische Elite haben sich
wiederholt als unfähig erwiesen, das vom Brexit-Votum verkörperte
demokratische Mandat auszuüben. Die verschiedenen Pro-Gruppen der
Zivilgesellschaft sind entstanden, um das Versagen der Regierung
bloßzustellen und einer von Angst und Feindseligkeit beherrschten
öffentlichen Debatte im Nachgang des Referendums etwas entgegenzusetzen.
Was The Full Brexit von anderen unterscheidet ist, dass wir eine explizit
linke Gruppe sind. Unsere Unterstützer kommen aus unterschiedlichen
politischen Milieus – „Old Labour“, „Blue Labour“, die Linke – aber…
vereint uns die Überzeugung, dass der Brexit grundsätzlich eine immense
Chance für die Linke bedeutet.
## Selbstgerechte Empörung und Wut
Im Widerspruch dazu wurde die Idee eines EU-Austritts schon vor dem
Referendum von vielen auf der Linken gegeißelt: als eine fremdenfeindliche,
konservative Wahl, rückwärtsgewandt, nationalistisch, kleinkariert und
provinziell. Nach dem Referendum brach sich ein beispielloser Schwall an
selbstgerechter Empörung und Wut Bahn. Die Brexiteers wurden als
reaktionäre Rentner dargestellt, die dem Tode so nahe stünden dass ihr
Anteil an der Zukunft bedeutungslos sei, oder als Wähler, die zu arm,
beschränkt und ungebildet seien, um die Vorteile der EU zu verstehen, oder
auch als zu rassistisch und hasserfüllt, um eines ernsthaften Zuspruchs
würdig zu sein.
All dies kam von einer mächtigen Pro-EU-Elite in Verwaltung, Politik und
Finanzwelt, und von den liberalen Berufsständen mit Macht über die
akademische Welt und die Medien. Die Welle des Hasses, die die sozialen
Medien und die Meinungsseiten der Qualitätspresse überflutete, legte eine
Mittelschicht bloß, die zwar gesellschaftlich liberal und kosmopolitisch
daherkommt, aber große Angst vor politischem Wandel hat. Die
Pro-EU-Mittelschicht erweist sich als äußerst argwöhnisch gegenüber der
demokratischen Mehrheitsfindung.
Wir von „The Full Brexit“ halten den Brexit für eine zumindest potentielle
Verkörperung traditionell linker Ideale, nicht zuletzt die Souveränität des
Volkes gegen eine ferne, sich der Rechenschaft entziehende bürokratische
Macht. Viele von uns sehen das Brexit-Votum als Volksaufstand gegen einen
parteiübergreifenden Elitekonsens und als Geltendmachung von Demokratie
gegen die von der EU verkörperte Technokratie und transnationale
Regierungsführung.
Während die rechte Unterstützung des Brexit durch traditionelle Tories und
marktfreundliche Liberale der Öffentlichkeit vertraut ist, sind linke
Stimmen für den Brexit viel seltener zu hören. Eine Reihe Linker wie Owen
Jones, Paul Mason und Aaron Bastani sind sogar von der Unterstützung für
einen möglichen linken Brexit hin zur Unterstützung des Verbleibs in der EU
geschwenkt. Derweil dämpfen Jeremy Corbyn und John McDonnell, Führer und
Schattenfinanzminister der Labour-Opposition, ihre Brexit-Lust, um den
Parteifrieden nicht zu gefährden.
## Der Brexit als Chance für linke Ideale
Dass die britische Linke dem Brexit so feindselig gegenüber steht,
entspricht einem tiefen britischen Provinzialismus – eine Weigerung, zur
Kenntnis zu nehmen, was in der EU passiert. Nur selten wird in der
britischen Debatte wahrgenommen, dass die EU eine desaströse neoliberale
Politik verfolgt, die ihre südlichen Mitgliedsstaaten in die Armut gedrängt
hat. Oder dass sie zunehmend aus Regierungen mit autoritären Tendenzen und
rechtsradikalen Mitgliedern besteht – in Österreich, Ungarn, Italien und
Polen.
Nie wird diskutiert, dass in Deutschland und Frankreich die AfD und die
Nationale Sammlung (Ex-Front National) die größten Oppositionskräfte
darstellen, während in Großbritannien das Brexit-Votum die eigenen
rechtsradikalen Populisten der Ukip aus der politischen Landschaft getilgt
hat.
Mehr noch: Linke Feindschaft gegenüber dem Brexit gibt traditionelle Säulen
linker Politik auf: den Glauben an Demokratie auf nationaler Ebene als
Fortschritt, an Souveränität des Volkes als Grundlage politischer
Legitimität, an die Fähigkeit normaler Menschen zur Führung des Staates, an
das Potential politischer Machtausübung zur vorteilhaften Gestaltung
ökonomischer Verhältnisse. Die EU steht für die Antithese all dieser
Ideale. Sie ist dazu da, politische Wahlmöglichkeiten auf nationaler Ebene
einzuschränken und damit den Einfluss der Menschen auf politische
Entscheidungen zu drosseln.
Für uns ist der Brexit eine Chance, die linken Ideale zurückzugewinnen. Es
geht ums Ganze. Das Wachstum des Rechtspopulismus in ganz Europa zeigt uns,
was geschehen würde, wenn britische Politiker das Versprechen des Brexits
nicht erfüllen und mit einer EU verbunden bleiben, die danach strebt, den
Volkswillen und die Demokratie zu begrenzen. Je länger die Linke die vom
Brexit verkörperten Ideale und Chancen verleugnet, desto höher wird
langfristig der Preis.
Aus dem Englischen: Dominic Johnson
19 Sep 2018
## AUTOREN
Philip Cunliffe
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Schwerpunkt Brexit
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Theresa May
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