# taz.de -- WDR und #MeToo: Nur die Spitze des Eisbergs | |
> Sexuelle Belästigung ist nur ein Aspekt des Machtmissbrauchs beim WDR. | |
> Autoritäre Führungskräfte und ein brutaler Tonfall prägen den Alltag. | |
Bild: Nicht nur die Belästigungsfälle sind beim WDR ein Problem | |
Im WDR brodelt es. Ausgelöst durch Fälle von sexueller Belästigung, wird im | |
größten ARD-Sender die Unternehmenskultur generell auf den Prüfstand | |
gestellt. | |
Für David Jacobs beispielsweise, Vorstand von Verdi im WDR, ist die | |
#MeToo-Debatte nur ein Aspekt von Machtmissbrauch, der jetzt verstärkt | |
innerbetrieblich in den Mittelpunkt rückt: „Das Thema Machtmissbrauch muss | |
ernst genommen werden, denn der Druck führt zu Demotivation. Selbst als ich | |
noch beim Bundeswehr Radio tätig war, habe ich nicht solch einen Tonfall | |
erlebt wie den von Führungskräften beim WDR. Von Kollegialität ist da nicht | |
mehr viel zu spüren.“ | |
Auch Vertreter der Filmbranche NRW sehen die Vorwürfe sexueller | |
Belästigung, etwa gegen [1][den mittlerweile entlassenen | |
WDR-Fernsehspielchef Gebhard Henke], nur als „Symptom eines Systemfehlers“ | |
im Rundfunk. „Jenseits der Frage möglicher Schuld zeigt sich an diesem | |
Beispiel deutlich, dass die Monopolisierung von Entscheidungsmacht | |
erhebliche Auswirkungen auf eine kreative Branche hat“, formulierten AG DOK | |
West, Dokomotive Filmkollektiv, Filmbüro NW e. V. und LaDOC Filmnetzwerk in | |
einer gemeinsamen Erklärung. | |
Bei Henke, der zudem als ARD-„Tatort“-Koordinator, Gremienmitglied der | |
Filmförderung und als Hochschullehrer tätig war, sei es „zu einer | |
derartigen Konzentration von Macht“ gekommen, mit der er als Einzelner die | |
Entwicklung von Berufsbiografien so nachhaltig habe beeinflussen können, | |
dass sein Geschmack „zum Mainstream“ geworden sei. „Es finden sich in den | |
Sendern genügend Beispiele für dieses Phänomen“, beklagen die Verfasser, | |
„diese normale Praxis macht nicht nur anfällig für Formen von | |
Machtmissbrauch, sondern reduziert auch systematisch Pluralität innerhalb | |
der Branche.“ | |
Die NRW-Branchenverbände forderten in einer Entschließung mehr autonome | |
Ansprechpartner in den Redaktionen, um eine größere Bandbreite an | |
Entscheidungswegen innerhalb der öffentlich-rechtlichen Sender zu schaffen. | |
Wer über Sendeplätze verfügt, solle nicht gleichzeitig über die | |
Finanzierung von Filmen durch die Filmförderung entscheiden dürfen. | |
Einer, der den WDR schon lange kennt, ist der Produzent und Gründer der | |
Deutschen Akademie für Fernsehen, Gerhard Schmidt. Er sieht die Entwicklung | |
ebenfalls kritisch: „Die Macht in der Hierarchie hat sich verlagert: Aus | |
Vielfalt wurde Einfalt. Warum beschäftigt man denn so viele Redakteure, | |
wenn die WDR-Führung letztlich über alles entscheidet? Der WDR war früher | |
ein Sender der Redakteure mit Fokus auf Inhalt und Qualität, heute ist er | |
ein Sender der Direktoren mit Fokus auf Quote und Kosteneinsparung.“ Vor | |
allem der Sparkurs hat einiges in Bewegung gebracht: Ab 2014 begann für die | |
rund 4.700 Festangestellten ein Stellenabbau, der bis 2020 abgeschlossen | |
sein soll: Dann werden 500 Arbeitsplätze nicht mehr existieren. | |
„Der Spardruck sorgte für einen härteren Führungsstil, weil auch bestimmte | |
Charaktere dafür eingesetzt werden beziehungsweise Führungskräfte in | |
Seminaren auf Kurs gebracht werden“, analysiert Jacobs die Situation. | |
Insgesamt sei ein Klima entstanden, in dem Herabsetzung, Beleidigung oder | |
mangelnde Wertschätzung verbreitet seien. Das mache die Leute krank. | |
„Sexuelle Belästigung ist nur eine Komponente dieser Machtgeschichte“, | |
kritisiert der Verdi-Mann. Als die Intendanz kurzfristig Zusammenkünfte | |
einberufen hatte, kam es dann zu Eruptionen, weil Mitarbeiter genau diese | |
Missstände zur Sprache brachten. Im Juli erfolgte die Entlassung eines | |
hochrangigen WDR-Mitarbeiters unterhalb der Direktorenebene wegen | |
„Machtmissbrauchs“. Mehr gab die Senderspitze zu diesem Fall nicht bekannt. | |
Nicht nur für Jacobs ist das lediglich die Spitze eines Eisbergs: „Jetzt | |
geht es erst mal um die krassesten Fälle, aber das Problem liegt tiefer und | |
wird auch morgen nicht beendet sein.“ Mindestens fünf bis zehn Jahre, so | |
seine Schätzung, wird dieser Aufarbeitungsprozess dauern. | |
Dass sich der Umgang miteinander im Sender schleunigst ändern muss, das | |
scheint der Spitze inzwischen klar zu sein. So werden jetzt zum ersten Mal | |
Workshops mit Verwaltungsdirektoren und Personalräten stattfinden, um neue | |
Wege zu finden. | |
12 Sep 2018 | |
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[1] /Belaestigungsvorwuerfe-beim-Fernsehen/!5509341 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Urbe | |
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