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# taz.de -- Gastkommentar zu FDP & Antifaschismus: Widerlich und geschichtsverg…
> Statt zur Vernunft zu kommen wiederholt der FDP-Fraktionschef seine
> kruden Thesen. Die Wahrheit ist zu komplex für Sebastian Czaja, meint der
> Grüne Werner Graf.
Bild: Überall sieht Herr Czaja Faschisten: auch bei Demonstranten mit Herz in …
Zehntausende Menschen gehen in diesen Tagen [1][in Chemnitz und in vielen
anderen Städten] auf die Straße gegen Rassismus, gegen Antihumanismus,
gegen Gewalt und für Demokratie. Sie demonstrieren gegen neue und alte
Faschisten, die sich immer mehr aus ihrer Deckung trauen und mit Hitlergruß
und Naziparolen auflaufen. Damit sind sie im besten Sinne des Wortes
Antifaschisten.
Ausgerechnet in dieser Situation verteidigt Sebastian Czaja, Fraktionschef
der Berliner FDP, in einem [2][Gastbeitrag] am Montag in der Berliner
Morgenpost seinen Tweet aus der vergangenen Woche, wonach Antifaschisten
auch Faschisten seien. Überschrift: „Feuer löscht man am besten mit Wasser,
nicht mit Feuer.“ Das ist widerlich und geschichtsvergessen zugleich!
Es ist geschichtsvergessen, da Czaja Menschen, die unter Einsatz ihres
Lebens gegen Mussolini oder Hitler gekämpft haben, auf eine Stufe mit
diesen Menschenfeinden, mit diesen Mördern und Schlächtern stellt. Der
Ursprung des Worts Antifaschismus liegt in den 1920er Jahren und
bezeichnete die Personen, die gegen faschistische diktatorische Regime
kämpften. Für Herrn Czaja sind Sophie Scholl und Willy Brandt Faschisten.
Anders kann ich seinen Satz nicht lesen.
Umso absurder ist es, dass er nun selbst Staatssekretärin Sawsan Chebli
angreift, weil sie schrieb: „Wir sind zu wenig radikal.“ Er macht daraus
einen Aufruf zu Gewalt und nutzt die Gelegenheit, sich zu empören. Er
könnte es besser wissen. Er könnte Frau Chebli längst als manchmal
streitbare, aber immer engagierte Streiterin für ein demokratisches
Gemeinwesen kennen. Er könnte es besser wissen? Nein, er weiß es besser.
## Die Empörung ist reines Kalkül
Die Empörung des Sebastian Czaja ist Kalkül. Er will die Demokraten
spalten, um für die FDP am rechten Rand zu fischen. Er differenziert nicht,
sondern erklärt, alle Antifaschisten wollten „den demokratischen
Rechtsstaat überwinden“. Er verallgemeinert und vereinfacht, bis er sich
über alle, die nicht seiner Meinung sind, erheben kann. Antifaschisten
seien nur noch Gewalttäter, die etwa in der Rigaer Straße wohnten, gegen
die der Staat machtlos sei.
Doch die Wahrheit ist komplizierter. Wer in Zeiten des Populismus die
Demokratie verteidigen will, muss die Kraft haben, komplizierte
Sachverhalte auszuhalten und zu erklären. Wer aber hetzt, statt zu
erklären, der hat sich vom ursprünglichen Liberalismus der eigenen Partei
unendlich weit entfernt und steht der Rhetorik der Populisten in nichts
mehr nach.
Denn zur Wahrheit gehört, dass nicht die ganze [3][Rigaer Straße] besetzt
ist, auch nicht ein ganzes Haus, sondern ein paar Wohnungen. Zur Wahrheit
gehört, dass selbst der ehemalige CDU-Innensenator dort nicht räumen
durfte, da nicht bekannt ist, wem das Haus gehört. Nur der Eigentümer darf
in unserem Rechtsstaat ein Räumungsgesuch stellen. Schon dieses geringe Maß
an Komplexität passt nicht in das Weltbild eines Sebastian Czaja. Sonst
müsste er eingestehen, dass nicht die Besetzer, sondern die neoliberale
Gesetzgebung im Bereich des Immobilienbesitzes das Problem ist.
Mafiosi aus Russland, Italien und vielen anderen Ländern waschen ihr Geld
nicht mehr auf den Cayman-Inseln, sondern auf dem deutschen
Immobilienmarkt, da es hier einfacher ist. Geld aus Menschen- oder
Waffenhandel verschärft also die Berliner Wohnungskrise. Diese Geldwäsche
ließe sich gut bekämpfen. Aber eben nicht „entschieden liberal“, wie Herr
Czaja behauptet, sondern nur, indem wir etwa mit einem verpflichtenden
Eigentümerverzeichnis das Wissen schaffen, wem die Häuser gehören und woher
das Geld stammt.
Noch mal: Wir müssen den Mut haben, komplizierte Sachverhalte in all ihren
Facetten darzustellen. Wir dürfen Menschen nicht von vornherein für dumm
verkaufen. Wer, wie von Sebastian Czaja gefordert, Feuer immer mit Wasser
löscht, der macht aus etwas brennendem Öl in der Pfanne ein Inferno in der
ganzen Küche. Wer auf der Jagd nach Wählerstimmen die Rhetorik der
Populisten aufgreift, zündelt am gesellschaftlichen Zusammenhalt. Im Kampf
gegen diejenigen, die nicht nur in Chemnitz mehr und mehr offen auf die
Straße gehen, geht es aber darum, mit aller Klarheit diesen Faschisten zu
sagen: Keinen Fußbreit werden wir euch weichen! Und unter allen Demokraten
Solidarität üben – als Antifaschisten.
3 Sep 2018
## LINKS
[1] /Kolumne-Minority-Report/!5529749
[2] http://www.morgenpost.de/berlin/article215238861/Feuer-loescht-man-am-beste…
[3] /Konflikt-um-Rigaer-Strasse-94/!5502524
## AUTOREN
Werner Graf
## TAGS
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FDP Berlin
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