# taz.de -- HIV Checkpoint Neukölln: „Die Krankheit beenden“ | |
> Im Oktober eröffnet am Hermannplatz ein HIV-Checkpoint. Das sei eine | |
> Verbesserung für das queere Neukölln, sagt der medizinische Leiter | |
> Christoph Weber. | |
Bild: Multikulti und queer: Am Neuköllner Hermannplatz soll der HIV-Checkpoint… | |
taz: Herr Weber, an diesem Samstag stellen sie den neuen Neuköllner | |
HIV-Checkpoint beim Kongress „HIV im Fokus“ im Roten Rathaus vor. Können | |
Sie uns das Konzept schon mal vorab erklären? | |
Christoph Weber: Das ganz Besondere ist, dass wir die medizinische und die | |
psychosoziale Beratung erstmals an einem Ort zusammenbringen. Es wird ganz | |
klassisch die Beratung und die Tests auf HIV und andere sexuell | |
übertragbare Erkrankungen geben. Gleichzeitig werden aber auch immer Ärzte | |
vor Ort sein, die direkt behandeln können. | |
Warum ist das wichtig? | |
Im Moment verlieren wir viele Leute, die sich nach einer Diagnose nicht | |
trauen, zum Arzt zu gehen. Dabei ist das extrem wichtig, gerade bei HIV. | |
Mit den richtigen Medikamenten können wir die HIV-assoziierten Erkrankungen | |
verhindern, die das Virus ja erst so gefährlich machen. Zudem können wir | |
mit einer Therapie die Viruslast im Blut so weit senken, dass es zu keiner | |
Übertragung mehr kommen kann. Das ist eine Sensation, die sich immer noch | |
nicht zu jedem rumgesprochen hat. | |
An wen richtet sich das Angebot? | |
Prinzipiell an alle, die für sich ein Ansteckungsrisiko sehen. Natürlich | |
wollen wir vor allem Männer erreichen, die Sex mit Männern haben. Das ist | |
nach wie vor die Gruppe, die am stärksten von der Epidemie betroffen ist. | |
Auch um Transpersonen geht es besonders. | |
Warum dann Neukölln? Erreicht man diese Gruppe nicht eher in Schöneberg? | |
Es ist ja gerade wichtig, dass wir mal an einem komplett anderen Ort sind. | |
In Schöneberg gibt es schon viele sehr gute Angebote. Die erreichen aber | |
nicht alle. Denn die queere Szene verändert sich. Der Hermannplatz ist | |
hervorragend angebunden, hier treffen alle möglichen sozialen Gruppen | |
aufeinander. Gerade auch junge, queere Leute, die sich in den Schöneberger | |
Strukturen nicht so zu Hause fühlen. | |
Ist Sicherheit für Sie in Neukölln ein Thema? | |
Nein, das halte ich für Unsinn. Sollte es zu Auseinandersetzungen kommen, | |
werden wir uns zu wehren wissen. Aber die können überall passieren. | |
In letzter Zeit schien es gerade vermehrt Meldungen aus Neukölln über | |
Angriffe auf queere Menschen zu geben. | |
Das Schwuz ist in Neukölln. Da sind mittlerweile viele schwule Kneipen. Es | |
gibt wie überall auch dort Leute, die das nicht so gerne sehen. Das kann | |
aber kein Grund für uns sein, irgendetwas dort nicht zu machen. Im | |
Gegenteil. Wir glauben, dass wir eine Strukturerweiterung sind für das | |
queere Neukölln. Hauptziel des Checkpoints ist, Menschen dabei zu helfen, | |
sich vor HIV zu schützen. Wir sehen da keine Gefährdung drin. | |
Im Checkpoint soll bis zu 500 Menschen ein kostenfreier Zugang zur | |
Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) ermöglicht werden, also zu Medikamenten, | |
die vor HIV schützen. Die Behandlung ist auch in der Szene nicht | |
unumstritten. Warum ist sie für den Checkpoint so wichtig? | |
Die PrEP ist mittlerweile eine essentielle Säule der Prävention, und wir | |
können es uns nicht leisten, im Kampf gegen diese Krankheit auf irgendeine | |
Säule zu verzichten. Im Moment kosten die Mittel 50 bis 70 Euro im Monat, | |
das kann sich nicht jeder leisten. Und wir wissen, dass es einen großen | |
Bedarf gibt. Die Leute warten darauf. Deswegen bin ich sehr dankbar, dass | |
uns der Senat endlich die finanziellen Mittel zur Verfügung stellt. | |
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat sich vor Kurzem für die PrEP als | |
Kassenleistung ausgesprochen. Damit wäre das kostenfreie Angebot im | |
Checkpoint doch überflüssig. | |
Das wird kommen und ich finde das super. Aber es wird mindestens noch ein | |
Jahr dauern. Bis dahin gibt es eine Riesenlücke und die muss man schließen, | |
deswegen kommen wir genau zum richtigen Zeitpunkt. | |
Kritiker weisen immer wieder auf die Nebenwirkungen hin. | |
Eine PrEP hat Nebenwirkungen, wie jedes Medikament. Darüber muss man sich | |
im Klaren sein. Es gibt zwei Langzeitrisiken. Eine eventuelle | |
Nierenschädigung und Probleme mit den Knochen, die aber scheinbar meist | |
reversibel sind. Beides ist selten, aber wichtig ist, dass es ständig | |
kontrolliert wird. Auch das werden wir im Checkpoint gewährleisten. Dann | |
gibt es die kurzfristigen Nebenwirkungen: Übelkeit, Durchfall, Schwindel. | |
Bei über 90 Prozent verschwindet das, die meisten merken gar nichts. Aber | |
natürlich muss jede und jeder prüfen, ob das Mittel für sie oder für ihn | |
geeignet ist. | |
Ist es nicht besser, Leute zu Kondomen zu ermutigen anstatt gesunde | |
Menschen Medikamente nehmen zu lassen? | |
Wir wollen die Leute ja gar nicht unbedingt auf PrEP bringen. Uns geht es | |
darum, den Menschen eine Stütze zu geben, wie sie ihre Sexualität leben und | |
sich dabei vor Krankheiten schützen können. Und ob sie dabei das Kondom | |
benutzen oder die PrEP, das ist mir eigentlich nicht so wichtig. Die | |
Beratung ist dafür da, herauszufinden, was für die Leute das Richtige ist. | |
Aber verliert das Kondom bei dem Hype um die PrEP nicht seine Bedeutung? | |
Das Kondom ist weiter ein ganz wichtiger Pfeiler der Prävention, so wie | |
jetzt eben auch PrEP und auch die Behandlung einer bestehenden | |
HIV-Infektion. Nochmal: Wir werden uns auf gar keinen Fall den Luxus | |
erlauben, auf irgendeine Möglichkeit des Schutzes zu verzichten. Wir wollen | |
diese Krankheit beenden. Dafür müssen wir alles nutzen, was zur Verfügung | |
steht. | |
Die Wirksamkeit von PrEP gegenüber HIV ist belegt, aber was ist mit anderen | |
sexuell übertragbaren Krankheiten wie Syphilis oder Tripper? Da steigen die | |
Infektionsraten seit Jahren an. | |
Ja, aber nicht erst seit es die PrEP gibt, das geht schon seit 2008 so. Die | |
Prep wird es nicht leichter machen, aber vielleicht wird sie sogar ein Teil | |
der Lösung. Im Augenblick ist unsere Erfahrung, dass sich die Leute, die | |
eine PrEP nehmen, regelmäßig auf die anderen Krankheiten testen lassen | |
wollen. Und das ist ja gut, denn dann lassen sie sich auch behandeln und | |
versuchen aktiv zu verhindern, andere anzustecken. Wie bei HIV auch liegt | |
die besondere Gefahr ja darin, dass viele nicht wissen, dass sie krank | |
sind. Deswegen ist es so wichtig, ihnen einen Test so leicht wie möglich zu | |
machen. | |
31 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Daniel Sander | |
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Schwerpunkt HIV und Aids | |
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