# taz.de -- Verkehrsprojekt in Jerusalem: Abriss im Niemandsland | |
> Israels Sperranlage schneidet ein Jerusalemer Viertel vom Rest der Stadt | |
> ab. Hinter der Mauer soll eine neue Straße entstehen. Das sorgt für | |
> Ärger. | |
Bild: Hier soll eine Umgehungsstraße gebaut werden. Doch die Häuser stehen im… | |
JERUSALEM taz | Auf den letzten drei Kilometern vor dem militärischen | |
Kontrollpunkt Kalandia ist fast immer Stau. Wie ein Trichter verengt sich | |
die Hauptstraße, die von Ramallah durch das [1][Ostjerusalemer Viertel Kufr | |
Aqab] führt bis hin zur Trennmauer zwischen Israel und den | |
Palästinensergebieten. Wer in die Stadt will, muss für das kurze Stück | |
Straße eine gute Stunde einplanen. | |
Nun will die Stadtverwaltung von Jerusalem, die für Kufr Aqab zuständig | |
ist, eine Umgehungsstraße bauen. 900 Meter lang soll sie direkt an der | |
Mauer verlaufen, dann abzweigen und weiter nördlich auf die Ramallah-Straße | |
treffen. Bis zu 40 Minuten würden Autofahrer durch die neue Straße sparen, | |
verspricht das Rathaus. | |
Trotzdem sind viele Palästinenser unglücklich über den Plan. Vier | |
mehrstöckigen Wohnhäusern, die zu dicht an der Mauer stehen, droht der | |
Abriss. Das Straßenverkehrsamt schreibt mindestens sieben Meter Abstand | |
zwischen Trennmauer und Hauswand vor. Um den Abriss zu verhindern, sind die | |
betroffenen Wohnungseigentümer vor Israels Obersten Gerichtshof gezogen. | |
Vom Zentrum Jerusalems kommend liegt die umstrittene Straße gleich hinter | |
dem Checkpoint. Bislang ist nur ein Weg zu sehen, ungeteert und | |
streckenweise stark vermüllt. Der junge Jassir Arafat, legendärer | |
Palästinenserpräsident, unverkennbar mit seiner Kafijah, dem auf dem Kopf | |
gebundenen Palästinensertuch, ist an die Sperrmauer gemalt. Neben ihm | |
prangt Marwan Barghuthi an der Wand, der 1987 die „Intifada der Steine“ | |
gegen die Besatzung anführte. Die Porträts verblassen unter schwarzem Ruß. | |
Immer wieder brennen am Kalandia-Kontrollpunkt Autoreifen, fliegen Steine | |
und Rauchbomben. | |
Die neue Straße sei „auf Wunsch der Anwohner von Kufr Aqab und zu ihrem | |
Wohl“ geplant worden, heißt es in einer Mitteilung der Stadtverwaltung. Nur | |
öffentliche Verkehrsmittel sollen hier fahren dürfen. Busse, Taxis und | |
Ambulanzen machen rund zwanzig Prozent des Verkehrs in Jerusalem aus. Um | |
den Plan umzusetzen, müssten die vier Gebäude jedoch abgerissen werden, die | |
„ohne jede Genehmigung auf der Route der geplanten Straße errichtet | |
wurden“. | |
Auf dem Papier gehört Kufr Aqab zum Einzugsgebiet der Stadt Jerusalem. Die | |
Mauer schneidet das Viertel aber von Jerusalem und dem Rest Israels ab. Für | |
die hier lebenden rund 65.000 Palästinenser hat das Vorteile. Sie behalten | |
ihren Status als Bürger Jerusalems und dürfen nach Israel einreisen, was | |
anderen Palästinensern nur mit Sondergenehmigung möglich ist. Zudem dürfen | |
sie in Israel arbeiten, sind sozialversichert und können theoretisch sogar | |
die israelische Staatsbürgerschaft beantragen. Gleichzeitig bleiben die | |
Menschen, die hinter der Trennmauer leben, von der strengen Bauaufsicht, | |
wie sie in Israel üblich ist, verschont. In Kufr Aqab wird heftig gebaut, | |
ohne zeit- und kostenaufwändige Genehmigung. | |
## Bauboom in Kufr Aqab | |
Immobilien in Kufr Aqab sind preiswert. Bauunternehmer Samer Shehade | |
verkauft eine 160 Quadratmeter große Wohnung für 100.000 US-Dollar. Sein | |
kleines Büro direkt über dem Lebensmittelgeschäft, in dem sein Sohn an der | |
Kasse steht, ist unterkühlt. Der Mittvierziger hat einen Bürstenhaarschnitt | |
und tiefe Ränder unter den Augen. In letzter Zeit schlafe er nicht gut. | |
Shehade ist Teileigentümer von 88 der insgesamt 138 vom Abriss bedrohten | |
Wohnungen. Zwar sind fast alle seiner Wohnungen schon verkauft, abbezahlt | |
sind sie aber noch längst nicht. „Die Käufer zahlen 10.000 Dollar an und | |
den Rest zinslos in Raten verteilt auf sechs Jahre“, erklärt er. | |
Als die Nachricht vom drohenden Abriss kam, ließ Shehade die Arbeit an | |
einem Neubau umgehend einstellen. Unten ist das Haus nun bewohnt, darüber | |
steht nur der Rohbau. Direkt vor dem halbfertigen Gebäude schiebt ein | |
Schaufelbagger schon riesige Sandberge vor sich her. „Das sind mindestens | |
zehn Meter Zwischenraum“, sagt Shehade mit Nachdruck und übertreibt dabei | |
gewaltig. Sein Haus steht deutlich zu dicht an der Mauer. | |
„Wir wollen dem Gericht erklären, dass hier keiner eine Baugenehmigung | |
hat.“ Shehade ist wütend. Hunderte Häuser seien seit dem Bau der Trennmauer | |
vor fast 15 Jahren ohne Genehmigung in Kufr Aqab errichtet worden. Sogar | |
eine Schule sei darunter und eine ambulante Krankenstation. „Wie kann die | |
Stadt sagen, meine Häuser seien illegal?“, schimpft er, „hier ist alles | |
illegal.“ | |
## Gericht hat den Straßenbau vorerst gestoppt | |
Sollten die Gegner des Projekts vor Gericht keinen Erfolg haben, würden als | |
nächstes die Nachbarn protestieren, sagt Shehade. „Wenn sie meine Häuser | |
sprengen, ist das wie ein Erdbeben.“ Niemand könne garantieren, dass die | |
Nachbarhäuser dabei nicht beschädigt werden. | |
Vorläufig liegt der Abriss nach richterlicher Anordnung derzeit auf Eis. | |
Ginge es nach Monir Zughayar, dem Vorsitzenden des Nachbarschaftskomitees | |
von Kufr Aqab, würden die Behörden die Trennmauer an der fraglichen Stelle | |
einfach um ein paar Meter verlegen. Für die palästinensischen Familien | |
bedeuteten die Eigentumswohnungen die „Erfüllung eines Traums, für den sie | |
jahrelang mühsam gespart haben“. Alternativ sei auch eine „einspurige | |
Straße“ möglich, sagt er. Die neue Straße würde das Verkehrsproblem vor d… | |
Checkpoint ohnehin nicht lösen. | |
Auch die Menschenrechtsorganisation B’tselem plädiert für den Bau einer | |
Umgehungsstraße weiter im Norden. Sprecher Amit Gilutz vermutet, die | |
Verkehrsbehörden hätten gegen den nördlichen Verlauf entschieden, weil die | |
Umgehungsstraße dort „sehr dicht an den Siedlungen Psagot und Kochav | |
Ja’akov“ vorbei geführt hätte. Dies hätte die Sicherheit der Siedler | |
gefährden können. | |
1 Sep 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Israel-und-Palaestina/!5409775 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
## TAGS | |
Israel | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Palästina | |
Ost-Jerusalem | |
Jerusalem | |
Palästinenser | |
Israel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Trump streicht Gelder für Flüchtlinge: Kein Dollar mehr für UN-Hilfswerk | |
US-Präsident Donald Trump dreht dem UN-Hilfswerk für palästinensische | |
Flüchtlinge den Geldhahn zu. Die USA waren bisher der wichtigste Finanzier. | |
Israel und Palästina: Zehn Kilometer Niemandsland | |
Tausende palästinensische Jerusalemer leben hinter Israels Trennanlagen. | |
Polizei gibt es dort nicht, illegale Bauten sprießen aus dem Boden. |