| # taz.de -- Kolumne Nullen und Einsen: Das böse E | |
| > Wie ein Kuchen, den man nur krümelweise essen darf, wie tindern, aber nur | |
| > nach rechts: Es gibt wenig Quälenderes als langsames Internet. | |
| Bild: Willst du ne Sprachi verschicken? Musst du erst auf nen Berg steigen | |
| Würde man eine Liste der besten Buchstaben des lateinischen Alphabets | |
| machen, wäre auf dem letzten Platz, mit Abstand: das E. | |
| Denn das E ist das Böse. Es steht für Elend, es steht für eklig, es steht | |
| für Essstörung, Eva Braun, Eiterpickel, Ellenbogengesellschaft, | |
| Eifelkrimis. Und es steht für Edge. Allein der Laut schon: Äddsch. „Von der | |
| Etsch bis an den Belt“ heißt es in der ersten Strophe des | |
| Deutschlandliedes. „The Edge“ nennt sich der Gitarrist der nervigsten Band | |
| der Welt. Und „edgy“ ist die Trottel-YOLO-Vokabel für alle, die 2018 | |
| gelernt haben, dass man „verschärft“ nicht mehr sagt. | |
| Seine schlimmste Manifestation hat Edge und damit auch das E aber im | |
| Smartphone. Edge ist hier die Abkürzung für „Enhanced Data Rates for GSM | |
| Evolution“ und war ungefähr vor 500 Jahren mal der neueste Standard für | |
| mobile Datenübertragung. Inzwischen ist das kleine E oben auf dem | |
| Smartphone-Display der Marker dafür, dass es | |
| jetzt ganz | |
| laaaangsam | |
| wir | |
| d. | |
| Hier wird Edge zu Ätsch!, denn es gibt auf der Welt nur wenig Schlimmeres | |
| als langsames mobiles Internet. Selbst gar kein mobiles Internet ist | |
| besser. Das nervt vielleicht kurz, aber dann nimmt man es hin, so wie halt | |
| nachts die Sonne nicht scheint, es im Winter kalt wird und Menschen keine | |
| Flügel haben. Kein mobiles Internet bietet Klarheit, Sicherheit, Struktur. | |
| Es ist wie die fünfte Phase des Trauermodells von Elisabeth Kübler-Ross: | |
| Akzeptanz. | |
| Schlechtes mobiles Internet ist wie die anderen vier Phasen auf einmal: | |
| Nicht-wahrhaben-Wollen. Zorn. Verhandeln. Depression und Leid. Es ist | |
| Sisyphos-Internet. Godot-Internet. Bewachter-Milchtopf-Internet. Es ist, | |
| als würde man einen unfassbar lecker riechenden Burger serviert bekommen, | |
| aber man darf ihn nur atomweise essen. Wie dieses bescheuerte Spiel auf | |
| Kindergeburtstagen, wo man mit Handschuhen eine Tafel Schokolade mit Messer | |
| und Gabel schneiden soll, aber wenn man so weit ist, würfelt jemand anders | |
| eine 6. | |
| Es ist wie tindern, aber man darf nur nach links wischen. Wie bei 35 Grad | |
| an einen Badesee radeln und man darf nur mit dem großen Zeh rein. Wie durch | |
| einen Spielzeugladen laufen, aber man darf nichts anfassen. Oder wie durch | |
| einen Mausefallenladen laufen und man muss alles anfassen. Es ist, als | |
| würde man auf einem Scheiterhaufen aus Streichhölzern langsam verbrannt, | |
| statt entspannt guillotiniert. | |
| Edge-Internet ist auch Schrödinger-Internet: Nie weiß man, ob die kleine | |
| Katze, die im Inneren des Smartphones die Daten verteilt (ja, das ist so!), | |
| vor Erschöpfung gestorben ist. Denn Edge-Internet läuft nicht nur | |
| langsamer, es läuft oft auch einfach gar nicht – aber doch so oft, dass man | |
| immer hofft, dass vielleicht, eventuell, nach dem 15. Druck auf den | |
| Reload-Button, wenn man raus auf den Balkon in den Regen geht und das Handy | |
| mit ausgestrecktem Arm nach oben hält, endlich was passiert. | |
| Das böse E lauert im ÖPNV, in Erdgeschosswohnungen, in völlig erratisch | |
| auftretenden „Funkschatten“ und in Deutschland natürlich überall auf dem | |
| Land. Passen Sie gut auf sich auf. | |
| 30 Aug 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Brake | |
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