# taz.de -- Schloss-Musik mit Kirill Petrenko: Das kann so weitergehen | |
> Mit einem Benefizkonzert unter Kirill Petrenko spielten die Berliner | |
> Philharmoniker fast eine halbe Million Euro für das Humboldt Forum ein – | |
> direkt vor Ort. | |
Bild: Freut sich schon auf seine Chefdirigenten-Tätigkeit ab August 2019: Kiri… | |
Wilhelm von Boddien ist einer, der kann den Leuten illusionär Großes | |
versprechen, und dann wird er verlacht, aber nur kurz, weil das | |
Versprochene früher oder später ja doch eintritt. | |
So war es, als er in den Nullerjahren davon träumte, das Stadtschloss | |
wiederaufbauen zu wollen – und jetzt steht es da, fast fertig. Und so war | |
es auch am Samstag, als er im Schlüterhof des Schlosses stand und alle die | |
begrüßte, die gekommen waren, um den Berliner Philharmonikern mit ihrem | |
designierten Chefdirigenten Kirill Petrenko zuzuhören, auf dem Programm die | |
Tondichtungen „Don Juan“ und „Tod und Verklärung“ von Richard Strauss … | |
Beethovens Siebte, wie schon am Abend zuvor in der Philharmonie, dem | |
Saisonauftakt. | |
1.400 Menschen saßen da im Regen, der so plötzlich und gemein kurz vorher | |
eingesetzt hatte – nach all den trockenen Wochen! Und der Schlossherr | |
sprach, verteidigte dabei behänd sein Redemanuskript gegen den | |
auffrischenden Wind, dankte vor allem dem Orchester, das den | |
Schlossfreunden dieses Konzert und mit ihm bei 1.400 verkauften Karten rund | |
430.000 Euro an Spenden für den Wiederaufbau geschenkt hatte. | |
Kein kleiner Beitrag für die 20 Millionen Euro, die an den zugesagten 105 | |
Millionen noch fehlen, die Boddiens Schlossfreunde bis Ende 2019 besorgen | |
wollen. Und dann sagte er: „Genießen Sie es, der Regen ist vorbei, die | |
Sonne kommt.“ Da wurde gelacht, weil es ja noch voll platterte auf die | |
Leute, die in ihren kostbaren Gewändern unter einheitlich sackartigen | |
Regenumhängen saßen. | |
## Plötzlich milder Sonnenschein | |
Aber ungefähr an der Stelle, an der Strauss seinen „Don Juan“ als Sieger | |
strahlen lässt, ließ der Regen nach, und als „Tod und Verklärung“ sich v… | |
entfaltete, da beschien den Schlüterhof ein milder Nachmittagssonnenschein. | |
Dieser Boddien! Mit genau dieser Beschwörungskraft muss er auch die | |
Intendantin der Philharmoniker, Andrea Zietschmann, anlässlich eines | |
Baustellenrundgangs von diesem Konzert überzeugt haben. Und also schob das | |
Orchester diesen Nachmittagsschwung noch ein, bevor es aufbrach zur | |
spätsommerlichen Festivaltour nach Salzburg, Luzern und London. | |
Es hatte in den vergangenen Jahren schon Saisoneröffnungen der | |
Philharmoniker unter freiem Himmel gegeben, die deutlich volksnäher und | |
bezahlbarer waren. Tausende strömten da zum Kulturforum und sahen oder | |
hörten das Orchester; hier nun waren es die, die es sich leisten wollten | |
und auch konnten. | |
Die Ticketpreise lagen bei 295 Euro, festgesetzt von den Schlossfreunden. | |
Etwas nonchalant hieß es zunächst auch, das Orchester knüpfe mit dem | |
Konzert an eine Tradition an, denn schon in den 1930er Jahren habe es im | |
Schlüterhof gespielt. Das waren damals die „Schlossmusiken“ im Rahmen der | |
Berliner Kunstwochen, die Philharmoniker sollten als „Reichsorchester“ dazu | |
beitragen, Berlin als Musikstadt zu profilieren. 1936, während der | |
Olympischen Spiele Hitlers, waren die Konzerte etwa Teil des olympischen | |
Kulturprogramms. Fotos zeigen die Musiker auf dem Podium, umkränzt von | |
uniformierten Laternenträgern. | |
Die Entscheidung, an diesen Ort zurückzugehen, fiel, so sagt es Intendantin | |
Zietschmann, um das künftige Humboldt Forum als Ort des Austauschs und der | |
Weltoffenheit mit zu definieren, die Vorzeichen heute also ganz andere als | |
damals. Und elitär abschotten wolle sich das Orchester keinesfalls – | |
weshalb es auf einer kostenfreien Leinwandvorführung des Konzerts gegenüber | |
im Berliner Dom bestanden hatte. Es sollte halt Geld in die Kassen Boddiens | |
gespielt werden, dazu wollten die Musiker beitragen, um diesen Ort gleich | |
mal mit Geist zu füllen. | |
## Wenn Schirme stören | |
Nun sind Open-Air-Konzerte mit solch komplexen Werken des gehobenen | |
Klassikgenres immer ein zweifelhaftes Vergnügen. Da rascheln Regenumhänge | |
in die Pianopassagen, es stören Schirme, Zivilisationsgeräusche dringen | |
hinein, Winde verwehen Klänge und Notenblätter, womit im vierten | |
Beethoven-Satz vor allem Konzertmeister Daishin Kashimoto zu kämpfen hatte. | |
So rustikal wie im Schlüterhof geht es sonst nur alljährlich zum Ausklang | |
der Saison in der Waldbühne zu, aber da herrscht Picknickatmosphäre, hier | |
staksten kunstaffine Senioren über Kabeltunnel, rätselten, wie aus einer | |
blauen Plastikkugel ein Regencape werden soll, jemand rutschte, andere | |
schnieften, weil sie dann doch zu sommerlich gekleidet waren. Einige ließen | |
sich von dienstfertigen Ordnern die Sitzflächen trockenwischen, andere | |
wischten selbst, Dritte nahmen einfach Gesäßnässe in Kauf: „Ach komm, macht | |
jetz ooch nüscht mehr.“ Unklar, ob sie das wegen des Wetters sagten oder | |
angesichts der vom Neo-Schloss-Architekten Franco Stella designten | |
Westfassade des Schlüterhofs, die in ihrer kühlen Langeweile an die | |
Rückseite einer x-beliebigen Shoppingmall erinnert und viele geradezu | |
erschütterte („Dafür habe ich nicht gespendet!“). | |
Glücklich, wer am Abend zuvor in der Philharmonie, die ja genau zu diesem | |
Zwecke einst errichtet wurde, genau das gleiche Programm erleben durfte. | |
„Don Juan“ ein wenig schüchtern, „Tod und Verklärung“ nuancenreich, d… | |
Beethoven entfesselt, präzise, kompakt, ein | |
Frisch-aus-der-Sommerpause-Beethoven. | |
Staunende Gesichter im Orchester wie nach einem Ereignis, das niemand | |
vergessen wird, Petrenko still lächelnd, dankbar. Tosender Applaus zum | |
Abschluss, der ein Neubeginn war. Kann so weitergehen. | |
26 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Felix Zimmermann | |
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