# taz.de -- Chefredakteur über Wandel und Vielfalt: „Das Lokale hat Zukunft�… | |
> Das Redaktionsnetzwerk Deutschland beliefert Regionalzeitungen. | |
> Chefredakteur Wolfgang Büchner über Vielfalt und Wandel im Journalismus. | |
Bild: Blick in den provisorischen RND-Newsroom in Hannover im Jahr 2014 | |
Donnerstag vergangener Woche. Am Tag zuvor sind in Genua beim Einsturz | |
einer Brücke gut 40 Menschen umgekommen. Der türkische Präsident Erdoğan | |
will Elektronik aus den USA boykottieren, und deutsche Politiker | |
diskutieren darüber, ob es richtig ist, Erdoğan im September in Deutschland | |
zu empfangen. In den beiden Tageszeitungen von Hannover, wo Deutschlands | |
größter Regionalzeitungsverlag Madsack sitzt, erscheinen exakt dieselben | |
Texte zu diesen Themen, geschrieben von denselben Autoren. Die Neue Presse | |
und die Hannoversche Allgemeine Zeitung sind Teil des Redaktionsnetzwerks | |
Deutschlands (RND), der zentralen Redaktion von Madsack. Das RND beliefert | |
gut 40 Regionalzeitungen mit Texten und teilweise fertig produzierten | |
Zeitungsseiten und hat damit eine Gesamtauflage von 1,4 Millionen | |
Exemplaren täglich. Die Regionalzeitungen sparen sich so ihre Redaktion für | |
die Mantelseiten, also den überregionalen Teil. Madsack verdient Geld als | |
Dienstleister. Chefredakteur des RND ist Wolfgang Büchner. Er empfängt in | |
seinem Büro im 8. Stock mit Blick ins Grüne. | |
taz am wochenende: Herr Büchner, welche Zeitung soll ich mir heute in | |
Hannover kaufen? Es scheint ja in beiden dasselbe zu stehen. | |
Wolfgang Büchner: Das stimmt nicht. Vor allem im Lokal- und auch im | |
Sportteil unterscheiden sich die Zeitungen. Für welche Sie sich | |
entscheiden, hängt von Ihrem Geschmack ab: Mögen Sie eher eine plakative | |
Darstellung von Land und Leuten, eine Nahaufnahme der lokalen Prominenz und | |
eine ausführliche Sportberichterstattung, dann kaufen Sie die Neue Presse. | |
Bevorzugen Sie eine tiefere Berichterstattung über Lokalpolitik und die | |
regionale Wirtschaft sowie ein umfassenderes überregionales Angebot, dann | |
kaufen Sie die Hannoversche Allgemeine Zeitung. | |
Was ist der Vorteil einer zentralen Mantelredaktion? | |
Das RND ist keine klassische Zentralredaktion, sondern besteht aus | |
Partnerschaften mit anderen Redaktionen. Wir sind ein Netzwerk. Sie können | |
mit deutlich mehr Kollegen eine sehr viel bessere überregionale | |
Berichterstattung liefern, als das ein einzelner Titel allein jemals | |
könnte. Nehmen wir die nationale Politik: Früher hatten viele | |
Regionalzeitungen jeweils einen einzigen Korrespondenten in Berlin. Der hat | |
ausschließlich für seine Zeitung recherchiert, geschrieben und kommentiert. | |
Zusätzlich haben die Zeitungen die Texte der dpa gedruckt. Das Berliner | |
Büro des RND hat demnächst 18 Redakteure. Da hat jeder sein Spezialgebiet, | |
seine Expertise und seine eigenen Quellen. Das beschert jeder einzelnen | |
Regionalzeitung mehr Qualität und exklusive Inhalte, als sie allein stemmen | |
könnte. | |
Aber wenn viele dasselbe drucken, geht publizistische Vielfalt verloren. | |
Ich finde es wertvoller, die Vielfalt von Regionalzeitungen überhaupt zu | |
erhalten, als zuzuschauen, wie Zeitungen im Stolz sterben, weil sie | |
versuchen, ihre Mantelredaktion aufrechtzuerhalten, was sich wirtschaftlich | |
nicht rentiert. Dann ist es doch besser, wenn sich Lokalzeitungen auf das | |
konzentrieren, was sie am besten können, nämlich die Berichterstattung über | |
das Lokale und Regionale. | |
Die regionale Verwurzelung ist nicht nur in der Lokalberichterstattung | |
wichtig. Beispiel Dieselaffäre: Die wird hier bei Ihnen in Niedersachsen | |
anders bewertet als beispielsweise bei der Ostsee-Zeitung. | |
Das stimmt. Aber der Chefredakteur der Ostsee-Zeitung ist ja frei, | |
jederzeit eigene Komponenten und regionale Aspekte in die Seiten | |
einzubringen. Und er kann jederzeit selbst einen Leitartikel zum Thema | |
schreiben, auch wenn er den Nachrichtentext aus unserem RND-Newsroom in | |
Hannover übernommen hat. Die Frage ist doch: Was erwarten Leser von ihrer | |
Lokalzeitung? Die meisten erwarten, dass die Redaktion die Vorgänge im | |
Lokalen im Blick hat und klug kommentiert. Ist es wirklich ein Mehrwert, | |
wenn sich der Chefredakteur einer Lokalzeitung Gedanken über die Vorgänge | |
in China macht? Er kann das gern tun, aber ich glaube, der Leitartikel ist | |
kundiger und kreativer, wenn jemand einen Vorgang in China kommentiert, der | |
sich überwiegend mit solchen Themen beschäftigt. | |
… und die Verlage sparen Geld durch die Zentralredaktionen. | |
Wenn es statt 20 kleiner Mantelredaktionen eine große Redaktion für ein | |
Netzwerk von Zeitungen gibt, kann es schon sein, dass in dieser weniger | |
Leute arbeiten, als zusammengenommen in den früheren Mantelredaktionen. | |
Trotzdem bleibt für mich richtig: Zentralredaktionen sind kein Spar-, | |
sondern ein Investitionsmodell – eine Investition in journalistische | |
Qualität. | |
Sehen das die Redakteure, die wegen der Zentralisierung ihren Job verloren | |
haben – zuletzt mehrere Onlineredakteure in Lübeck, Kiel und Rostock – | |
genauso? | |
Zunächst einmal schaffen wir im Rahmen unserer Digitaloffensive 70 neue | |
Jobs. Und wir organisieren die Produktion unserer regionalen Websites neu. | |
Wir haben allen Kolleginnen und Kollegen in den regionalen | |
Onlineredaktionen angeboten, an den neuen RND Digital Hub nach Hannover zu | |
wechseln. Auch beim Aufbau des RND Digital Hub leitet uns der | |
Netzwerkgedanke: Wir hatten bisher an zwölf Standorten kleine Onlineteams, | |
mal mit fünf Leuten, mal mit zwei oder einem. Wie sollen denn so kleine | |
Teams die Website einer Lokalzeitung rund um die Uhr an sieben Tagen in der | |
Woche bespielen, Social Media bedienen, Kommentare beantworten und so | |
weiter? Aus unserer Sicht ergibt es mehr Sinn, wenn wir hier ein starkes | |
Team mit digitalen Blattmachern für alle Madsack-Titel gemeinsam aufbauen. | |
Die ersten Erfahrungen mit dem neuen Modell sind sehr positiv: Im Juli | |
haben wir auf den Websites all unserer Tageszeitungstitel Rekordzugriffe | |
verzeichnet. | |
Das Kartellamt hat gerade zugestimmt, dass Madsack mit der Verlagsgruppe | |
DuMont ein gemeinsames Hauptstadtbüro aufbaut. Wie weit sind Sie damit? | |
Wir sind gerade dabei, die RND Berlin GmbH zu gründen, und haben die | |
Korrespondentenstellen ausgeschrieben. Im Oktober soll das Büro die Arbeit | |
aufnehmen. | |
Alle acht Redakteure des bisherigen Berliner RND-Büros werden übernommen. | |
Das DuMont-Büro wird dafür geschlossen, den 17 Kollegen wurde gekündigt. | |
Sie können sich bei Ihnen neu bewerben, aber nicht für alle gibt es eine | |
Stelle. Ist das fair? | |
Wir schreiben in Berlin 10 Stellen aus und geben den Leuten die Chance, in | |
ein tolles Team zu kommen. In dem Berliner DuMont-Büro gibt es | |
hervorragende Kollegen, und wir freuen uns, wenn sie sich bewerben. | |
Sie werden DuMont nicht nur mit Texten, sondern zum Teil mit komplett | |
produzierten Zeitungsseiten beliefern – Bilder, Überschriften, Layout | |
inklusive. Ist das der Anfang einer schleichenden Übernahme dieser | |
Zeitungen? | |
Wir beliefern den Kölner Stadtanzeiger mit produzierten Politik- und | |
Wirtschaftsseiten. Die Boulevardblätter Express, Hamburger Morgenpost und | |
Berliner Kurier mit Politikseiten, die Berliner Zeitung mit | |
Wirtschaftsseiten. Darüber hinaus erhält die Berliner Zeitung Inhalte, um | |
ihre Politikseiten selbst zu bauen, die Mitteldeutsche Zeitung erhält | |
Inhalte für ihre Politik- und Wirtschaftsseiten. Wenn die Kollegen | |
irgendwann mehr wollen, sind wir in der Lage, das zu liefern. Das ist im | |
Übrigen nicht außergewöhnlich: Jeder Partner im RND-Netzwerk bekommt ein | |
auf seine Bedürfnisse zugeschnittenes Paket – von einzelnen Inhalten bis | |
zu kompletten Seiten. | |
Mit den Zeitungen von DuMont kommen erstmals Boulevardblätter in Ihr | |
Netzwerk. Wie verändert das Ihre Arbeit? | |
Wir werden ein bis zwei Boulevardprofis einstellen, die die | |
Hauptstadtthemen für die entsprechenden Blätter aufbereiten. Die | |
Vergrößerung des Berliner Büros bedeutet für alle Veränderung: Die Kollegen | |
müssen ihre Themengebiete neu aufteilen und ihre Arbeitsweise umstellen. | |
Wir arbeiten in der ganzen Redaktion, auch hier in Hannover und an allen | |
anderen Standorten der Madsack-Mediengruppe, gerade an einer | |
Web-to-Print-Arbeitsweise. Das heißt, Themen sollen so aufbereitet werden, | |
dass sie zuerst für die digitalen Angebote produziert werden, bevor wir uns | |
mit der gedruckten Zeitung beschäftigen. | |
Mit dieser Arbeitsweise bereiten Sie die Redaktion auch auf das | |
Onlinenachrichtenportal RND.de vor, das sie demnächst starten wollen? | |
Wir sind mitten in der Entwicklung. Wir wollen uns als starke, seriöse | |
Nachrichtenmarke im Netz etablieren und hoffen, dass wir das Portal Anfang | |
des Jahres starten können. | |
Wird das eine Art Spiegel Online (SpOn)? | |
Die großen Nachrichtenseiten SpOn, bild.de oder focus.de sind hinsichtlich | |
ihrer Reichweiten so weit weg, dass es lachhaft wäre, wenn wir sagen | |
würden, wir wollen sie „angreifen“. Doch derzeit machen wir digital einfach | |
nicht genug aus dem erstklassigen journalistischen Angebot des RND. Zwar | |
präsentieren wir exklusive Interviews auf den Portalen unserer | |
Tageszeitungen, doch den Reichweitenerfolg haben dann andere, die diese | |
Interviews bei uns abschreiben. Da ist es doch naheliegend, unsere eigenen | |
überregionalen Inhalte auf einer eigenen Seite zu bündeln. Klar wollen wir | |
auch unsere Reichweite ausbauen. Auf der Liste der meistgeklickten | |
Nachrichtenseiten sind alle Portale des RND gemeinsam derzeit auf Platz 15. | |
Wäre das eine Fußballtabelle, würde ich sagen: Wir wollen in das obere | |
Tabellendrittel, Richtung Europapokal. | |
Ist es eigentlich Zufall, dass mit Florian Harms von t-online.de und Ihnen | |
zwei geschasste Ex-Chefs von SpOn gerade daran arbeiten, SpOn ein bisschen | |
Wasser abzugraben? | |
Ja. | |
Wirklich? | |
Ich schätze Florian Harms als einen hervorragenden Kollegen und wünsche ihm | |
für t-online.de alles Gute. Mich treibt nicht, eine Konkurrenz zu SpOn | |
aufzubauen. Wir wollen jeden Tag erstklassige journalistische Arbeit | |
abliefern und damit wirtschaftlich erfolgreich sein – auch in einer | |
digitalen Medienwelt. | |
In dieser Woche wurde Klaus Brinkbäumer als Spiegel-Chefredakteur entlassen | |
– [1][die neue Chefredaktion soll Print und Online zusammenführen]. | |
Gleichzeitig sind Spiegel und SpOn gesellschaftsrechtlich zusammengerückt. | |
Beides war auch Ihr Anliegen als Spiegel-Chefredakteur. Dann mussten Sie | |
gehen. Erfüllt es Sie mit Genugtuung, zu sehen, was gerade in Hamburg | |
passiert? | |
Ich beschäftige mich nicht mit dem Spiegel, sondern damit, wie Madsack noch | |
erfolgreicher werden kann. | |
Als Sie den Spiegel verließen, hieß es, Sie seien dort vor allem „Change | |
Manager“ gewesen. Auch in der dpa beschreibt man Sie als Manager – | |
allerdings ist das an dieser Stelle anerkennend gemeint. Bei Madsack tragen | |
Sie den Titel „Chief Content Officer“. Sind Sie mehr Manager als | |
Journalist? | |
Beides. Ich führe hier jeden Morgen die Redaktionskonferenz und nehme die | |
fertigen Seiten ab. Bei großen Nachrichtenlagen, wie beim Brückeneinsturz | |
in Genua, sitze ich natürlich mit am Newsdesk. Zugleich verfolgen wir hier | |
gerade viele große Projekte, und manchmal wünscht man sich da mehr Zeit für | |
die journalistische Arbeit. Aber ich glaube, das geht den meisten | |
Chefredakteuren heute so. | |
Der Aufbau der Zentralredaktion lief unter dem Namen „Madsack2018“. Stellen | |
wir uns vor, es existiere eine Vision „Madsack 2022“ – gibt es in vier | |
Jahren überhaupt noch Lokalzeitungen? | |
Sicher. Ich glaube sowohl, dass das Lokale, als auch, dass das Gedruckte | |
Zukunft hat. Weil Lokalzeitungen näher an den Menschen sind als alle | |
anderen journalistischen Angebote. Und weil viele Menschen ein großes | |
Bedürfnis danach haben, auch künftig eine gedruckte Zeitung in die Hand zu | |
nehmen. | |
In einer früheren Version des Textes war nicht ganz korrekt dargestellt, | |
welche Zeitung welche Inhalte aus der Mantelredaktion erhält. Das haben wir | |
präzisiert. | |
26 Aug 2018 | |
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[1] /Der-Spiegel-wechselt-Chefredaktion-aus/!5527525 | |
## AUTOREN | |
Anne Fromm | |
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