# taz.de -- Scheitern eines deutsch-syrischen Paares: Nicht kompatibel | |
> Ein junger geflüchteter Mann reflektiert, warum eine deutsch-syrische | |
> Liebesgeschichte scheiterte – obwohl sie so vielversprechend begann. | |
Bild: „Ich liebe dich“, sagte ich zu ihr. Von da an ging es bergab | |
Jeden Tag gehen Menschen Beziehungen ein, und jeden Tag geben Menschen | |
Beziehungen auf. Es gibt viele Gründe dafür. Aber was, wenn beide | |
zusammenpassen, sich mögen, und ihre Beziehung trotzdem nicht hält? Ich und | |
die Frau, die ich geliebt habe, können unsere Probleme auf zwei Wörter | |
herunterbrechen: unterschiedliche Kulturen. | |
Wir haben uns im Januar 2017 kennengelernt. Ich war bereits seit zwei | |
Jahren in Deutschland, nachdem ich Syrien verlassen hatte, und habe in der | |
Zeit Deutsch gelernt, als Journalist gearbeitet und mich um einen | |
Masterstudienplatz bemüht. Ich hatte Pläne und Hoffnungen. | |
Zwei Wochen also nach Neujahr, ich schlief gerade, kreuzte Franzi mein | |
Onlinedatingprofil. „Na, du sagst ja nicht sehr viel über dich selber …“, | |
lautete ihre erste Nachricht. Sie war hübsch und wirkte interessant. Das | |
reichte mir, um darauf einzusteigen. | |
Das erste Date dauerte von zwei Uhr nachmittags bis zum nächsten Morgen. | |
Ja, es war so gut. Wir sprachen über Politik – über Erdoğan, Assad und | |
Hitler. Franzi war Soziologin, sie hatte geforscht und wissenschaftliche | |
Artikel geschrieben. Sie gab mir das Gefühl, wieder lebendig zu sein. | |
## Ich liebte dieses Leben | |
Ein paar Monate später nahm unsere Geschichte Formen an. Wir zogen nicht | |
zusammen, aber sie verbrachte den größten Teil der Woche bei mir zu Hause. | |
Wir wachten auf, tranken Kaffee, rauchten eine Zigarette, plauderten ein | |
wenig und gingen arbeiten. Abends kochten und aßen wir zusammen, bevor wir | |
ins Bett gingen. Ich liebte dieses Leben. Ich hatte gerade meine Familie in | |
meinem Heimatland zurückgelassen – es fühlte sich an, als sei Franzi das, | |
was ich vermisst hatte, bevor wir uns trafen. | |
Franzi und ihr Freundeskreis – jung und progressiv – waren an | |
interkulturelle Beziehungen gewöhnt. Ihre Mutter allerdings war anders. Sie | |
sah es kritisch, dass ihre Tochter mit einem Syrer, Araber, Muslim zusammen | |
war, und fragte sie immer wieder: „Wie behandelt er dich? Sag es mir, lüg | |
mich nicht an. Zwingt er dich, mit ihm zusammen zu sein oder irgendwelche | |
Sachen mit ihm zu machen?“ Es gab keine Gelegenheit, bei der ich wirklich | |
mit ihrer Mutter hätte sprechen können, aber ich vermute, dass es ihr | |
unangenehm war, dass Franzi mit einem Nichteuropäer zusammen war. Es war | |
das erste Mal, dass so etwas in ihrer Familie vorkam. | |
Bei mir war es noch komplizierter. Ich komme aus einer konservativen | |
Familie, allerdings mit hohem Bildungsgrad, und Ehrlichkeit spielte eine | |
zentrale Rolle in meiner Erziehung, also habe ich Franzi nicht vor meiner | |
Familie versteckt. Ich erzählte allen von ihr, aber offiziell war sie nur | |
„eine Freundin“ – eine, die zufällig sehr oft bei mir war. | |
Ich diskutierte mit meiner Mutter über interkulturelle Ehen auf | |
intellektueller Ebene, wobei wir beide, ohne es laut auszusprechen, | |
wussten, dass wir über Franzi sprachen. Ich war überrascht, wie offen und | |
verständnisvoll meine Mutter war, doch am Ende jeder Diskussion pflegte sie | |
zu sagen: „So wie du über deine ,Freundin' Franzi sprichst, muss sie | |
wirklich eine tolle Person sein, denn ich vertraue deinem Urteil, Adham. | |
Aber was willst du wirklich für deine Zukunft?“ | |
## Glück oder Familie? | |
„Glück“, erwiderte ich dann. „Und wärst du froh darüber, deine Kinder … | |
einem anderen Glauben zu erziehen? Es gibt im Islam die Pflicht, seine | |
Kinder zu guten und gläubigen Menschen machen. Kannst du damit umgehen, | |
nicht sicher zu sein, in welcher Kultur sie sich zu Hause fühlen werden? | |
Glück im Leben ist wichtig, aber lass nicht zu, dass es dich von dem | |
anderen ablenkt – von dem Glück, nach dem wir für unser zweites Leben | |
streben, indem wir unsere Pflichten erfüllen und der Welt etwas Gutes | |
hinterlassen. Liebe ist wunderschön, aber sie ist nur ein Teil der | |
Geschichte.“ | |
Und vielleicht hatte meine Mutter recht. So berauschend und himmlisch | |
unsere Beziehung auch war, an einigen Punkten unserer Verbindung zeigte | |
sich das, was ComputerspezialistInnen „Inkompatibilitätsprobleme“ nennen | |
würden. Obwohl wir wahnsinnig verknallt ineinander waren, hatten wir | |
unterschiedliche Vorstellungen davon, wie man Zuneigung zeigt und wie viel | |
man dabei von sich preisgibt. | |
Ich konnte sie mit leidenschaftlichen Komplimenten überhäufen – während ich | |
erwartete, dass sie antworten würde: „Oh, Adham, du hast ein Feuer in | |
meinem Herzen entzündet“, sagte sie schlichtweg: „Oh, danke, das ist nett.… | |
Manchmal fragte ich mich, ob sie mich einfach nicht so sehr mochte, aber | |
sie sagte, dass dies ihre Art sei, sich auszudrücken. | |
In Beziehungen fängt es immer so an: Dir fällt die erste Sache auf, der | |
Rest kommt bald danach. | |
## Diskussionen über kulturelle Unterschiede | |
Wir hatten intensive Auseinandersetzungen über bestimmte Themen. Wir | |
stellten fest, dass wir unsere hypothetischen Kinder unterschiedlich | |
erziehen würden – wir sprachen zum Beispiel über die Offenheit und Freiheit | |
in der deutschen Kindererziehung, verglichen mit den starken Familienbanden | |
und den wachsameren Augen in der arabischen Welt. Zahlreiche Fragen kamen | |
auf: In welchem Alter sollen sie einen Freund oder eine Freundin haben | |
dürfen? | |
Ich war und bin noch immer unsicher, wie ich die Frage beantworten soll. | |
Die Vorstellung, dass meine Kinder schon in jungem Alter die Schmerzen und | |
Probleme einer Beziehung erleben, gefällt mir nicht. Aber für Franzi waren | |
die Dinge einfacher. Die Kinder haben nicht weniger Rechte als wir, | |
deshalb haben sie auch das Recht, zu erleben, wie Beziehungen im wahren | |
Leben funktionieren und wie sie sich anfühlen. | |
Die Diskussionen über kulturelle Unterschiede brachten uns eines Tages zu | |
einer der ganz großen Fragen: Was ist Liebe überhaupt? Im | |
klassisch-arabischen Ideal ist Liebe mit poetischer, idealistischer | |
Romantik verbunden; sie ist eine ewig währende Zuneigung, die theoretisch | |
zu einer Verpflichtung in Form des heiligen Bundes der Ehe führt. In dieser | |
Vorstellung wird das „Ich“ nach und nach zu einem „Wir“. Bis zu einem | |
gewissen Grad bedeutet dies auch, dass die Familie als Einheit eine höhere | |
Priorität hat als die Interessen der einzelnen Familienmitglieder. | |
Dem steht, wie Franzi es beschrieb, der moderne deutsche Standpunkt | |
entgegen: Das Individuum ist heilig. Davon ausgehend wird von den | |
Individuen erwartet, selbst zu entscheiden, was in einem bestimmen Moment | |
gut für sie ist. Liebe könnte ewig halten – aber sie könnte es genauso gut | |
auch nicht. Die Bedeutung von Liebe und Loyalität ist in den zwei Kulturen | |
unterschiedlich. Familie und Kinder sind natürlich wichtig in Deutschland, | |
aber auf andere Weise als in der typisch arabischen Vorstellung. Wir kamen | |
zu dem Schluss, dass unsere Perspektiven etwas voneinander entfernt waren. | |
Mir waren die Diskussionen über unsere Kulturen deswegen so wichtig, weil | |
ich eine klare Vorstellung von Franzis Meinungen haben wollte. Sie waren | |
entscheidend für eine reale und wichtige Frage: Würden wir zusammen | |
glücklich sein? | |
## Familie als Ersatz für ein verlorenes Leben | |
Der Wunsch, die Kinder möglichst nah an meinen Normen zu erziehen, war kein | |
Versuch, die Partnerschaft zu dominieren, es war ein Versuch, von meiner | |
Geschichte so viel zu bewahren wie möglich – von einem vorherigen Leben, | |
das vergangen war, seit ich meine Familie und mein Zuhause verlassen hatte. | |
Die Familie hier wäre ein Ersatz dafür gewesen. | |
Ich hatte vorher eine Beziehung in Syrien gehabt. Es hat sich anders | |
angefühlt als das, was Franzi und ich hatten. In Syrien sind viele Frauen | |
von dem Mann emotional abhängig und erwarten immer Aufmerksamkeit – | |
manchmal zu viel. Aber sie geben dem Mann auch das Gefühl, gebraucht zu | |
werden, und einige Männer mögen es, ihre Wichtigkeit zu spüren. | |
Habe ich von Franzi erwartet, dass sie sich so verhält, oder es mir | |
gewünscht? Sicher nicht. Aber ich hoffte, sie würde mit mir herumalbern, | |
ein bisschen mädchenhaft sein, ich hätte mir gewünscht, sie würde ein | |
bisschen mehr mit mir verschmelzen, mir von ihren intimsten Wünschen und | |
Ängsten erzählen, ohne sich dabei Sorgen darüber zu machen, ob sie sich | |
verletzlich macht. | |
Doch unabhängig davon bewunderte ich, wie stark sie war, ich war aufrichtig | |
stolz auf sie, auf ihre Leistungen und wie hart sie dafür gearbeitet hat, | |
ihre Ziele zu erreichen. Einmal in der Woche gehe ich zur Moschee, und ich | |
glaube an den Islam, aber woran sie glaubt, ist ihre Sache. Es würde mir | |
nicht in den Sinn kommen, sie zu bitten, ein Kopftuch zu tragen oder zu | |
Hause zu bleiben und für mich zu kochen – oder was auch immer. Im | |
Gegenteil, ich liebte die Leidenschaft, mit der sie in ihrem Job arbeitete | |
und mit der sie studierte. | |
## Keine falschen Hoffnungen wecken | |
Der Sommer kam, und wir hatten schon viele Ausflüge geplant, bis eines | |
Tages alles durcheinandergeriet. „Ich liebe dich“, sagte ich zu ihr. Schon | |
seit einem Monat hatte ich ihr diesen Satz sagen wollen, doch von da an | |
ging es bergab. Franzi sagte Dinge wie: „Du bist sehr mit deiner Kultur | |
verbunden, Adham. Ich glaube, du solltest eine Freundin aus deinem | |
Kulturkreis haben. Du brauchst jemanden, mit dem du die gleichen Sorgen | |
teilst, eine Person mit dem gleichen Hintergrund, eine, die denkt wie du. | |
Ich kann das nur bedingt. Ich will keine falschen Hoffnungen wecken, ich | |
will ein Kind, und vielleicht können wir kein Kind zusammen haben.“ | |
Solche Sätze von einer Soziologin mit Doktorgrad müssen wohl durchdacht | |
sein, vermutete ich. Sie ließ es nicht zu, dass ihre Wünsche in Bezug auf | |
unsere Partnerschaft ihre Sicht vernebelten. Ihre Ehrlichkeit und | |
Ernsthaftigkeit dabei beeindruckten mich. | |
Was also tun? Niemand wollte aus dem Zug aussteigen, doch wir hatten den | |
Hauptbahnhof erreicht. Man kann noch ein paar Minuten sitzen bleiben, aber | |
das könnte bedeuten, den nächsten Zug zu verpassen. Wer hatte den Mut, sich | |
das einzugestehen? Franzi. | |
Die Trennung war das Schmerzhafteste, was ich erlebt habe, seit ich Syrien | |
verlassen habe. Und doch habe ich viel gelernt. Nicht jeder Syrer, Araber | |
oder Muslim ist Adham, und nicht jede Deutsche, Europäerin oder westliche | |
Person ist Franzi. Es hat mit uns nicht funktioniert, aber es könnte bei | |
anderen funktionieren. Und es hätte vielleicht sogar mit uns klappen | |
können, wenn wir uns in einer anderen Phase unseres Lebens getroffen | |
hätten. | |
Ein letzter Satz? Franzi, erinnerst du dich daran, wie ich sagte: „Du | |
machst mich vollständig“? Du hast geantwortet: „Das ist wahrscheinlich das | |
Schönste, das ich je gehört habe.“ Ich habe es ernst gemeint. | |
30 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Adham Hakimi | |
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