# taz.de -- Ausstellung in Bayern: Den Apparat zerlegen | |
> Retrospektive in Regensburg: Die Ostdeutsche Galerie ehrt ihren | |
> Lovis-Corinth-Preisträger, den slowakischen Künstler Roman Ondak. | |
Bild: Enerviertheit eines Lebens in der postsozialistischen Gesellschaft: „Pe… | |
Hoch lebe die kindliche Fantasie, die im Namen einer Schreibmaschine des | |
Großvaters, einer Remington, die Ähnlichkeit mit dem Vornamen „Roman“ | |
entdeckt. Dies ist nur eines von vielen aberwitzigen Anekdötchen aus dem | |
Bereich des Häuslichen, die Roman Ondaks Werk begleiten. Dem kindlichen | |
Wunsch, den Apparat zu zerlegen, folgte er erst zwanzig Jahre nach seiner | |
Ausbildung zum Maler und Grafiker an der Akademie in Bratislava. | |
Er hat die herrlichen Einzelteile nicht so präsentiert, wie Raffael | |
Rheinsberg es gemacht hätte (komplett, nach Größen, am Boden), nein, | |
sondern stattdessen Tasten, Hebel, Schienen und Rahmen jeweils einzeln auf | |
Bretter und alte Möbel montiert, das Ganze also im Kontext der | |
Vorkriegszeit versenkt. [1][Ondaks Kunst ist scharf gedacht], aber | |
aufgeladen mit Patina. | |
Der geniale Maler Lovis Corinth gehörte nicht zum Inventar meiner eigenen | |
Kinderstube – ich habe den Namen 1985 zum ersten Mal von Rainer Fetting in | |
New York gehört. Damals jedenfalls war die Ostdeutsche Galerie in | |
Regensburg noch Outpost einer deutschen Kulturpolitik, die früheren | |
deutschen Ostgebieten melancholisch gedachte, und auch [2][der nach Corinth | |
benannte Preis] ging bis vor Kurzem an Künstler, die in Ostpreußen oder | |
Schlesien geboren worden waren. | |
Dieses Jahr also wurde der Preis Roman Ondak verliehen, der weder deutsche | |
Wurzeln hat noch, zum Beispiel, in Düsseldorf studierte – das waren, in den | |
letzten fünfzig Jahren, die geläufigen Querverweise. | |
Eingeladen in Regensburg, präsentiert nun Ondak [3][eine kleine | |
Retrospektive], die das ganze Untergeschoss des Kunstforums Ostdeutsche | |
Galerie (KOG) einnimmt, eine ehemalige Turnhalle in Gestalt eines Palais, | |
dessen vier Portikussäulen Magdalena Jetelová mit rotem Kunststoffteppich | |
konstruktivistisch ummäntelte. Ulrike Lorenz, die von 2004 bis 2008 die | |
Umorientierung des Museums angestoßen hatte, lässt nun als Leiterin der | |
Kunsthalle aus Mannheim von sich hören. | |
## 78 schwarze Rahmen | |
Ondak, ein zum Scherzen aufgelegter Konzeptualist, hat mit 52 Jahren | |
bereits eine internationale Karriere. Das liegt in der List seiner Ideen. | |
Für „New Observations“ hat er eine akademische Studie von 1956 | |
ausgeschlachtet, „Nonverbal Communication“ des Psychiaters Juergen Ruesch. | |
Diesem erstaunlichen Buch wurden nur die Alltagsfotos entnommen, die auf | |
den kalifornischen Universalkünstler Weldon Kees zurückgehen, inklusive der | |
Bildunterschriften des Autors. | |
In 78 schwarzen Rahmen wird so ein ganzer Saal zu einem Lehrpfad über eine | |
Methode der Alltagdeutung, die man als höchstmenschliche Wissenschaft | |
bezeichnen könnte – oder als altklugen Populismus. Wie man es eben sieht. | |
Der slowakische Künstler appropriiert genau auf Kante. | |
Das beliebteste Werk beim staunenden Publikum ist der 16-mm-Film „Lucky | |
Day“, der am Wallfahrtsort Santiago de Compostela spielt, ein Loop von | |
nur vier Minuten: Ein Mann bewegt sich aus seinem Haus durch die engen | |
Gassen – chiaroscuro – zu einem Brunnen. Dort kommt der Karton zum Einsatz, | |
den er unter dem Arm trägt. Er kippt mehrere tausend Münzen dort hinein, | |
der abergläubische Ritus des Wunschs verwandelt in eine Orgie. | |
## Notwendigkeit der Einmischung | |
Roman Ondak stammt aus der Industriestadt Žilina, und wer in seiner Kunst | |
eine arbeitsintensive Variante der Abwicklung von Arbeit erblickt, liegt | |
sicher nicht ganz falsch. Kuriose schwarz-weiße Fotos von Nichträumen | |
legen nahe, er wäre fast ein Gregor Schneider geworden, ein Hexenmeister | |
des Interieurs. Tatsächlich hatte er sich an Zimmern seines Elternhauses | |
versucht. | |
Aber die Liebe zum Objekt hat sich durchgesetzt. Marode Bleigauben seines | |
Hauses in Bratislava finden sich als grüne Klumpen auf dem Steinboden eines | |
Ausstellungssaals wieder, an Monets Seerosen erinnernd. In einer Nische | |
wurde ein Feuermelder versteckt, das Glas zerschlagen, die rote Verblendung | |
angekokelt. Seine kosmischen Beobachtungen hat er auf dunklen Holztafeln | |
illustriert, wobei versenkte Blechkellen als Gestirne dienen, angehalten in | |
ihrem Lauf. | |
Zwischen gehobener Augenbraue und ausgewachsener Allegorie ist die | |
Ideenwelt Roman Ondaks theoretisch unendlich; seine Grenze bleibt der | |
Zugriff auf gefundenes Material. Die Rohre einer untauglichen | |
Zentralheizung wurden – gekappt zu kleinen Einheiten – als uniforme Armee | |
aufgestellt. Die Verbindungsstücke dagegen sind frei ausgelegt; aber | |
aneinandergekettet. | |
Diese Installation, „Perfect Society“, seine jüngste Arbeit, ist vielleicht | |
etwas zu symbolhaft geraten. Sie verrät eine gewisse Enerviertheit eines | |
Lebens in der postsozialistischen Gesellschaft – mit ihrem konformen | |
Patriotismus, impliziter Drohung, demokratischer Erosion. Seit der | |
Ermordung des Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten im Februar | |
dieses Jahres sieht Ondak die Notwendigkeit der Einmischung – bei den | |
Freitagsdemonstrationen in Bratislava ist er dabei. | |
## Ein entlegenes Schaufenster | |
Die Verleihung des Corinth-Preises an Ondak ist abbildbar auf dem Stamm der | |
Preisträger, die fast alle internationale Größen waren. Auch der Slowake | |
hat im MoMA, in der Tate, in der Pinakothek der Moderne und auf der | |
Documenta ausgestellt. Relativ neu ist nur die Öffnung der Regensburger | |
Institution, die aus dem Bundeskulturetat nach Paragraf 96 des | |
Bundesvertriebenengesetzes gefördert wird – man mag es ihr gönnen. | |
Dennoch bleibt sie ein entlegenes Schaufenster auf einen noch entlegeneren | |
Schauplatz. Es sei daran erinnert, dass es in Polen, Ungarn und der | |
Tschechoslowakei keine SED-Kulturpolitik gab. Die Verbindungen zur | |
abstrakten, aber auch zur dekorativen Kunst blieben offen. Man staunte im | |
Winter in Berlin über das Werk von Wenzel Hablik, sein im Detail | |
dokumentiertes Leben auf dem Weg zum Gesamtkunstwerk. Aber noch ist der | |
Eiserne Vorhang nicht ganz geschleift oder die Vorstellung davon, dass es | |
ihn wirklich gegeben hat. | |
31 Aug 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.ardmediathek.de/tv/Capriccio/Der-slowakische-Konzeptk%C3%BCnstl… | |
[2] http://www.kunstforum.net/corinth_preis.php | |
[3] http://www.kunstforum.net/ausstellungen.php | |
## AUTOREN | |
Ulf Erdmann Ziegler | |
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