| # taz.de -- Nigerianischer Debütroman über Familie: Ein Paar stürzt in den A… | |
| > Die Tragödie des unerfüllten Kinderwunsches – Ayòbámi Adébáyò legt m… | |
| > „Bleib bei mir“ das Porträt eines modernen nigerianischen Ehepaars vor. | |
| Bild: Die junge urbane Mittelschicht Nigerias lebt in Megacities wie Lagos | |
| Eigentlich hat Yejide Glück: Sie war privilegiert genug, um zu studieren, | |
| ist dank ihres eigenen Friseursalons finanziell unabhängig und hat mit Akin | |
| einen Mann geheiratet, der sie liebt und mit dem sie seit Jahren eine | |
| harmonische Ehe führt. Eigentlich. | |
| Denn nichts wünscht sich Yejide mehr als ein Kind. Doch seit Jahren bleibt | |
| ihr eine Schwangerschaft verwehrt. Als sich Akins Mutter dazu entschließt, | |
| der Kinderlosigkeit Abhilfe zu schaffen (ihr Erstgeborener soll endlich | |
| Vater werden!), und Akin zu überreden versucht, sich nigerianischem Brauch | |
| entsprechend eine weitere Frau zu nehmen, wendet sich das Blatt. | |
| So aufgeklärt Akin auch wirken mag, lässt er sich doch auf diese archaische | |
| Tradition ein. Für Yejide gilt es jetzt umso mehr, doch noch zu erreichen, | |
| worauf sie seit Jahren hofft. Denn nie im Leben könnte sie ertragen, dass | |
| Funmi, die Zweitfrau, vor ihr schwanger würde. | |
| Mit diesem Szenario beginnt der Debütroman „Bleib bei mir“ der Nigerianerin | |
| Ayòbámi Adébáyò. Der Autorin gelingt es dabei, auf nur 350 Buchseiten ein | |
| breites Spektrum tiefer Emotionen wie Leid, Enttäuschung, Hoffnung und | |
| Sehnsucht zu entfalten. Und dies eingebettet in einen sozialen Hintergrund | |
| von zwei Jahrzehnten voller Putsche, Umbrüche und Machtwechsel in Nigeria. | |
| Im Fokus steht ein Paar, aus dessen Sicht die Achtziger und Neunziger in | |
| Nigeria abwechselnd erzählt werden. Besonders beeindruckend ist die | |
| Erzählperspektive der sehr viel reiferen und einsameren Yejide, die sich im | |
| Jahr 2008 gedanklich fiktional an ihren Ex-Ehemann wendet. | |
| ## Das Wunder tritt ein; das Paar stürzt in den Abgrund | |
| 1985 steigerte das Auftauchen von Funmi den brennenden Drang Yejides, | |
| endlich ein Kind zu bekommen, fast ins Unermessliche. Nicht nur hat sie | |
| Angst, durch ihre Konkurrentin Akin zu verlieren. Sie glaubt auch: „Ein | |
| Mann kann viele Frauen oder Konkubinen haben; ein Kind kann nur eine Mutter | |
| haben.“ | |
| So bedient sich die eigentlich rationale Frau auch kultischer Rituale, um | |
| ihren Wunsch endlich in Erfüllung gehen zu lassen. Die Bemühungen scheinen | |
| zu fruchten: Yejides Bauch wächst und wächst. Doch mehrere Ärzte | |
| bescheinigen ihr, dass sie nicht schwanger ist. | |
| Yejide will das nicht wahrhaben. Ihr Leugnen der Realität verursacht erste | |
| Risse in der vormals stabilen Beziehung zu Akin. Der wiederum wird sie | |
| später noch mehrfach verraten. Und als das so lange erhoffte Wunder wider | |
| Erwarten doch noch eintritt, wird das Paar in einen Abgrund gerissen, mit | |
| dem es niemals gerechnet hätte. | |
| Auch die Politik bleibt in Adébáyòs Debüt nicht außen vor. Sie dringt immer | |
| wieder in das häusliche Leben von Yejide und Akin ein. Militärputsche, | |
| Demonstrationen, Morde, Korruption – wir befinden uns im nigerianischen | |
| Alltag der damaligen Zeit. Es sind vor allem die kleinen Details, in denen | |
| sich die nigerianische Gesellschaft mit ihrer hierarchischen Struktur | |
| offenbart. Etwa in dem Kommentar einer wohlhabenden Frau, die nach dem | |
| tödlichen Briefbombenattentat auf den Journalisten Dele Giwa im Oktober | |
| 1986 von nun an lieber das Hausmädchen die Post öffnen lässt. | |
| ## Verlust der Liebe | |
| Gekonnt schildert Ayòbámi Adébáyò den Niedergang eines zunächst | |
| glücklichen Paars. Auch wenn der Stoff und seine dichte Entwicklung gegen | |
| Ende fast etwas überdramatisiert wirken, die Übertragung ins Deutsche von | |
| Maria Hummitzsch scheint gelungen. Nur manche Versuche, nigerianische | |
| Sprechweisen durch an deutsche Wörter angehängte „o's“ zu betonen, wirken | |
| etwas gewollt. Davon abgesehen ist „Bleib bei mir“ ein intensiver, | |
| sensibler Roman über den Verlust der Liebe. Wenig überraschend ist dieses | |
| Buch für zahlreiche Preise wie den Baileys Women’s Prize for Fiction 2017 | |
| nominiert worden. | |
| Interessant sind ebenfalls die mehrfach thematisierten, selbst in der | |
| gebildeten Schicht Nigerias klar definierten Rollenzuschreibungen der | |
| Geschlechter. Die Machtverhältnisse, die offenbar keiner hinterfragt. Vor | |
| allem lässt sich durch die Schilderung der äußerlichen Gewalt samt ihrem | |
| Einfluss auf das Private, die sich durch den ganzen Roman zieht, einiges | |
| über die nigerianische Gesellschaft, Politik und Geschichte lernen. | |
| 20 Aug 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Isabella Caldart | |
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