# taz.de -- EuGH-Urteil über Genome Editing: Natürliche (Gen-)Technik? | |
> Das EuGH-Urteil schlägt hohe Wellen. Die Frage war, ob die neuen Methoden | |
> überhaupt als Gentechnik eingestuft werden dürfen. | |
Bild: Tomaten in einem Gewächshaus: Sollten sie mit CRISPR manipuliert worden … | |
Nach dem [1][Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH)] zur Auslegung der | |
EU-Richtlinie zur Freisetzung genetisch veränderter Organismen ist die | |
Diskussion um Gentechnik in der Landwirtschaft neu entbrannt. Das Gericht | |
entschied zugunsten französischer Bauern- und Naturschutzorganisationen, | |
die gegen den Anbau neuer herbizidtoleranter Rapssorten geklagt hatten. Die | |
Entscheidung wurde mit Spannung erwartet, da sie grundsätzlich klären | |
sollte, ob Pflanzen, die mit Hilfe von Genome Editing hergestellt wurden, | |
unter die geltende EU-Gentechnikverordnung fallen. | |
Genome Editing nutzt die DNA-Reparaturfunktionen lebender Zellen, um das | |
Erbgut an vorbestimmten Stellen zu verändern. Zu den bekanntesten | |
Vertretern dieser Technik gehören Werkzeuge aus dem Crispr/Cas-System. Mit | |
ihnen können, wie auch in der „klassischen“ Gentechnik, neue DNA-Sequenzen | |
in das Erbgut integriert werden. Zudem können aber auch wenige Basenpaare | |
eines Genoms verändert oder gelöscht werden, ohne dass „fremde“ DNA in den | |
Organismus eingebracht werden muss. | |
Befürworter der landwirtschaftlichen Nutzung des Genome Editing | |
argumentieren, dass es sich bei dieser Art des Einsatzes nicht um | |
Gentechnik handele. Vielmehr sei dies eine Weiterentwicklung von | |
Mutageneseverfahren, die von der Gentechnikverordnung ausgenommen sind. | |
Diese Techniken werden seit Mitte des 20. Jahrhunderts in der | |
Pflanzenzüchtung angewandt. | |
Durch Bestrahlung oder den Einsatz chemischer Mutagene werden zufällige | |
Mutationen in Pflanzen herbeigeführt. Dadurch kann es zu Veränderungen | |
kommen, die für die Pflanzenzüchtung nützlich sind. | |
Befürworter des Genome Editing betonen oft die Naturnähe von | |
Mutageneseverfahren. Sie verweisen darauf, dass es auch in der Natur | |
häufig zu Mutationen des Erbguts kommt. Selbst Sonnenstrahlen können | |
Mutationen auslösen. | |
## Nützliche Mutationen | |
Das stimmt zwar, es bedeutet aber nicht, dass diese Veränderungen auch | |
ungefährlich oder hilfreich für die betroffenen Organismen oder deren | |
Umgebung sind. Dass etwas in der Natur vorkommt, sagt zunächst einmal | |
nichts darüber aus, ob ein Vorgang gut oder schlecht, gefährlich oder | |
ungefährlich ist. Zudem benötigen in der Natur ein paar wenige nützliche | |
Mutationen, die durch Zufall entstanden sind, oft viele Generationen, um | |
sich in einer Population auszubreiten. | |
Beim Einsatz von Genome Editing entstehen Veränderungen im Erbgut dagegen | |
durch ein technisches Verfahren. Da hier Mutationen zielgerichtet | |
hervorgerufen werden, sind die Zeiträume, in der neuartige Pflanzen | |
hergestellt, vermehrt, und in großer Zahl in ein Ökosystem eingebracht | |
werden können, extrem verkürzt. Die Fähigkeit den räumlichen und zeitlichen | |
Rahmen von Vorgängen die in der Natur vorkommen zu manipulieren, ist nun | |
gerade was (Bio-)Technologien von „natürlichen“ Prozessen unterscheidet. | |
Aus der menschlichen Intention und der Beschleunigung ergibt sich unsere | |
besondere Verantwortung für die Folgen dieser technischen Eingriffe ins | |
Erbgut. Wie das EuGH-Urteil nun noch einmal zeigt, sind „herkömmliche“ | |
Mutageneseverfahren auch nicht deshalb von der Freisetzungsrichtline | |
ausgenommen, weil sie besonders „naturnah“ wären, sondern weil sie bei | |
Inkrafttreten der Richtlinie 2001 bereits lange etabliert waren. | |
Kanada hat hier übrigens einen anderen Weg gewählt. Dort gelten alle durch | |
Mutagenese hergestellten Pflanzen ebenso wie Pflanzen, die durch | |
„klassische“ Gentechnik entstehen als neuartige Züchtungen und müssen dur… | |
das gleiche Zulassungsverfahren. | |
Zu argumentieren, Pflanzen, die durch Genome Editing entstanden sind, wären | |
„naturidentisch“, wenn kein „fremdes“ Erbgut eingebracht wurde, macht a… | |
deshalb wenig Sinn, da es nicht unbedingt von der Größe des Eingriffs oder | |
der Herkunft der DNA abhängt, wie tiefgreifend eine DNA-Veränderung für | |
einen Organismus ist. | |
## Neue Möglichkeiten | |
In Kombination mit dem heute vorhandenen Datenschatz aus der Sequenzierung | |
von Pflanzengenomen und dem Wissen um die Funktionen einzelner Gene, wird | |
es möglich, mit „kleinen“ gezielten Mutationen Ergebnisse zu erzielen, die | |
sogar noch weit über die Möglichkeiten der klassischen Gentechnik | |
hinausgehen. | |
Diese beschränkte sich vor allem auf stark verbreitete Nutzpflanzen wie | |
Mais, Soja oder Baumwolle. Durch das Einsetzen von „Transgenen“ werden | |
diese Pflanzen vor Insektenbefall geschützt oder sind resistent gegen | |
Herbizide wie Glyphosat. Mit den neuen Techniken können solche Resistenzen | |
schneller in eine weit größere Anzahl von Pflanzenarten „eingebaut“ werde… | |
Zudem sollen jedoch auch völlig neuartige Züchtungen entstehen. | |
So werden mit Hilfe des Genome Editing bereits Pflanzen entwickelt, die für | |
Verbraucher verträglicher (glutenfreier Weizen) oder ansprechender | |
(Champions, die nicht braun werden) sein sollen. Die Hoffnung ist auch, | |
bald Nutzpflanzen herstellen zu können, die zum Beispiel besser mit Hitze, | |
Dürre, Versalzung oder Überschwemmungen zurechtkommen. | |
Sobald wir in Prozesse, die wir in der Natur vorfinden, technisch | |
eingreifen wollen, wird es nach dem Vorsorgeprinzip zu unserer Pflicht, die | |
möglichen Folgen unserer Handlungen im Voraus genau zu untersuchen. Das ist | |
wichtig, da die Auswirkungen von technischen Veränderungen an lebenden | |
Organismen und Ökosystemen räumlich und zeitlich schwer zu begrenzen sind. | |
## Was ist das Ziel | |
Dies gilt nicht nur für die Gentechnik, sondern generell für die Werkzeuge | |
moderner Landwirtschaft. Es sollte also nicht nur darum gehen, ob ein | |
bestimmtes Verfahren, wie Genome Editing, für sich genommen Risiken birgt, | |
sondern auch zu welchen Zwecken es eingesetzt wird. Wir müssen fragen, was | |
für Pflanzen damit hergestellt werden, und wo und wie diese Pflanzen | |
angebaut werden. | |
Wie sich die Landwirtschaft entwickelt, betrifft alle Menschen, über | |
Landesgrenzen und Generationen hinweg. Deshalb können über Mittel und | |
Ziele der Agrarpflanzenzüchtung nicht allein Wissenschaftler*innen, | |
Konzerne oder Landwirt*innen entscheiden. | |
Das EuGH-Urteil ist zu begrüßen, weil es am Vorsorgeprinzip festhält. | |
Wichtig ist aber auch, dass nun eine breite öffentliche Debatte über | |
Entwicklungen in der Landwirtschaft stattfindet. In so einer Diskussion | |
geht es nicht ausschließlich um ein technisches Verständnis neuer | |
molekularbiologischer Methoden. Kulturelle und normative Vorstellungen | |
davon, wie wir mit Lebewesen und der Umwelt umgehen sollten, müssen genauso | |
ihren Platz haben. Zudem ist es notwendig, die wirtschaftlichen und | |
politischen Zusammenhänge, in denen die Ziele der landwirtschaftlichen | |
Nutzung von Biotechnologien definiert werden, mitzubedenken. | |
Diese Fragen erscheinen besonders relevant in Zeiten, in denen die | |
unbeabsichtigten Auswirkungen bisheriger technologischer Entwicklungen | |
überall spürbar werden – von der Klimaerwärmung bis zum Artensterben. | |
Obwohl heute Natur nicht mehr als unabhängig von menschlichem Einfluss | |
denkbar ist, muss die Frage wie und warum wir technische Mittel einsetzen, | |
um andere Lebewesen für unsere Zwecke nutzbar zu machen, weiter diskutiert | |
werden. | |
19 Aug 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Richter-entscheiden-ueber-Kennzeichnung/!5519732 | |
## AUTOREN | |
Rosine Kelz | |
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