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# taz.de -- Michael Müller auf Sommertour: Eine monströse Wissenschaft
> Berlins Regierender Bürgermeister und Wissenschaftssenator lässt sich in
> die Fallstricke der Digitalisierung einführen. Da geht es auch um
> Provenienz.
Bild: Michael Müller (SPD) im Lautarchiv der Berliner Humboldt-Universität
Martin Grötschel, Chef der Berlin-Brandenburgischen Akademie der
Wissenschaften, findet schließlich das beste Bild. 100 Millionen Blätter
umfasst „sein“ Archiv hier in der Markgrafenstraße, das sind 6,4 Kilometer,
darunter Tagebücher vom Gründer der Akademie, Gottfried Wilhelm Leibniz,
Briefe von Goethe, Hesse, Einstein.
„Als ich kam“, sagt Grötschel, „da dachte ich, das wird man schon
hinkriegen.“ Nach einer gekonnten Kunstpause fügt er an: „Es ist völlig
aussichtslos.“ Bislang hat die Akademie 158.000 Blätter gescannt, meist nur
auf Anfrage.
Wir befinden uns auf der Sommertour von Michael Müller (SPD), dem
Regierenden Bürgermeister von Berlin und Senator für Wissenschaft und
Forschung. An einem angenehm frischen Mittwochvormittag will er sich über
den Stand der Digitalisierung in drei Berliner Institutionen schlau machen:
der besagten Akademie, dem Lautarchiv der Humboldt-Uni und dem Fraunhofer
Leistungszentrum Digitale Vernetzung.
Ähnlich nonchalant und wortgewandt, wie er auf die stetig sinkende Gunst
seiner Wähler reagiert, nimmt Müller das Monströse der Aufgabe zur
Kenntnis, die ihm hier angetragen wird. Kopf hoch, auch wenn der Hals
dreckig ist.
## Digitalisierung als Grundvoraussetzung
Dabei ist die Digitalisierung heute eine der Grundvoraussetzungen, ohne die
sich Wissenschaft gar nicht mehr rechtfertigen kann. Dies wird beim Besuch
des Lautarchivs am Kupfergraben deutlich.
Gegründet 1920 von Sprachwissenschaftler Wilhelm Doegen, wurde es in
letzter Zeit viel beachtet. 2019 soll es ins Humboldt Forum umziehen. Es
verfügt über spektakuläre Sprachaufnahmen, die in deutschen
Kriegsgefangenenlagern während des Ersten Weltkrieges entstanden.
Müller wirkt ehrlich berührt, als Sammlungsleiter Sebastian Klotz eine
Schellackplatte mit Aufnahmen eines georgischen Gefangenen auflegt.
Die zentrale Frage, die das Lautarchiv gemeinsam mit dem Phonogramm-Archiv
des Ethnologischen Museums noch bis zum 16. September in der kleinen
Ausstellung „[laut] Die Welt hören“ in der Humboldt-Box aufwirft: Wem
gehören diese sensiblen Aufnahmen, die teilweise weltweit die ersten sind
und die von seltenen Dialekten und Sprachen zeugen? Darf man sie öffentlich
machen?
## Fünf Millionen Worte
Nur wer digitalisiert und damit Materialien den Gesellschaften zugänglich
macht, aus denen sie stammen, wird diese Fragen auf Augenhöhe und in enger
Zusammenarbeit mit diesen beantworten können. Auch vor dem Hintergrund der
aktuellen Provenienzdebatte wird das brisanter.
Dass es trotz der Uferlosigkeit des Projekts Digitalisierung doch immer
wieder große, Mut machende Erfolge gibt, erzählt sowohl Klotz mit seinen
Geschichten von gefundenen Nachfahren der Kriegsgefangenen als auch
Grötschel von der Akademie der Wissenschaften.
Zwei von Grötschels Lieblingsprojekten sind ein digitales Wörterbuch der
deutschen Sprache und ein Zentrum für Lexikologie in der Akademie, das dank
neuer Technik alle Maßstäbe sprengen wird.
Nicht jeder weiß, dass die kommerzielle Lexikografie tot ist: Der Duden,
der früher 180 Angestellte hatte, verfügt heute noch über ganze 4, weiß
Grötschel. Und während der Duden den deutschen Wortschatz auf 300.000 bis
500.000 schätzte, geht das Digitale Wörterbuch schon jetzt davon aus, dass
es an die 5 Millionen umfasst. Zu dieser Zahl zeigt sich dann selbst
Michael Müller sprachlos.
15 Aug 2018
## AUTOREN
Susanne Messmer
## TAGS
Humboldt-Universität
Digitalisierung
Michael Müller
Provenienzforschung
Schwerpunkt Angela Merkel
Ethnologie
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