# taz.de -- Aktivistin über Proteste in Rumänien: „Der soziale Vertrag ist … | |
> Zigtausende Menschen demonstrieren gegen Korruption. Für die Entwicklung | |
> im Land trägt die EU eine Mitverantwortung, meint Elena Calistru. | |
Bild: Auseinandersetzung zwischen Demonstrierenden und einem Polizisten am Frei… | |
taz: Frau Calistru, rund 100.000 RumänInnen haben am vergangenen Freitag in | |
Bukarest für eine andere Regierung demonstriert. Dabei kam es zu | |
Gewaltausbrüchen. Wie haben Sie den Abend erlebt? | |
Elena Calistru: Ich bin selbst einige Male ins Tränengas geraten. Eine so | |
unverhältnismäßige Reaktion habe ich von der Polizei nicht erwartet. Bisher | |
sind Proteste hier friedlich verlaufen. Auch am Freitag hat die Masse der | |
Menschen einfach nur ihren Unmut zum Ausdruck bringen wollen. Die meisten | |
Protestierenden waren ganz normale Menschen, Leute mit Kindern, Rentner – | |
also definitiv kein aggressiver Mob. | |
Eine solche Eskalation hat es bislang nicht gegeben, 400 Menschen wurden | |
verletzt. Wie konnte es dazu kommen? | |
Es war schrecklich, die Reaktion der Polizei zu beobachten. Im letzten Jahr | |
gab es zwar Vorfälle mit wenigen Hooligans, die die Polizei attackierten. | |
Sie wurden aber immer isoliert, andere Demonstrierende wurden dabei nicht | |
verletzt. Dieses Mal waren auch Journalisten betroffen. Das zeigt, dass es | |
keine Strategie gab, wie der ordnungsgemäße Ablauf des Protests | |
sichergestellt werden sollte. Die Polizei hat es versäumt, ein paar wenige | |
zu stoppen, die den friedlichen Protest stören wollten. Als willkürlich | |
Tränengas versprüht wurde, war die Menge aufgebracht. Wenn es heißt, | |
Protestierende hätten Brandsätze geschmissen oder Ähnliches, kann ich nur | |
sagen, dass ich nichts dergleichen gesehen habe. Für mich ist klar, dass | |
der Protest von gewalttätigen Provokateuren infiltriert wurde. | |
Alle großen europäischen Medien haben vor allem über die Gewalt bei den | |
Protesten berichtet. Ist die eigentliche Botschaft der Demonstration, der | |
Kampf gegen Korruption, überhaupt durchgekommen? | |
Ich fürchte, die ursprüngliche Botschaft der Proteste ist untergegangen. | |
Und die Kluft zwischen Regierung und Bevölkerung hat sich vertieft. Das ist | |
das Hauptergebnis. Im Moment gibt es nur noch wenig Vertrauen in die | |
Regierung und noch weniger Raum für Dialog. | |
Welche Reaktion erwarten Sie von der Regierung in den nächsten Wochen? | |
Vermutlich werden sie von der Debatte über die Eskalation abzulenken | |
versuchen. Die Spannung wird sich auflösen, aber nicht für lange Zeit. Im | |
September beschäftigt sich das Verfassungsgericht mit den zwei neuen | |
Gesetzen, die die Strafen für Korruption senken sollen. Wenn diese in Kraft | |
treten, gibt es sicher neue Proteste. Aber so oder so hat die Regierung | |
etwas Wesentliches versäumt. Sie hat nicht verstanden, dass das Misstrauen | |
der Bevölkerung nun so stark ist, dass selbst gute Entscheidungen nicht als | |
solche wahrgenommen werden. Der soziale Vertrag zwischen Regierenden und | |
Regierten ist am Freitag zerbrochen. | |
Auslöser der Proteste waren Reformen, die die Macht der Justiz beschränken | |
sollen. Gibt es in Rumänien eine ähnliche Entwicklung wie in Ungarn unter | |
Viktor Orbán? | |
Ja, wir sind an einem heiklen Punkt unserer Geschichte. Es gibt historische | |
und soziale Unterschiede zu Polen und Ungarn. Aber in allen drei Ländern | |
attackieren Populisten die Justiz, alle drei haben eine schwache politische | |
Opposition. Daran haben die EU-Institutionen eine Mitschuld: Dass Orbán mit | |
allem davonkommt, ist ein falsches Signal. Für eine Regierung wie unsere | |
ist es jetzt einfach zu sagen: Ungarn hat es doch auch gemacht. Schlechte | |
Ideen reisen schnell, leider. Auch die Narrative gleichen sich – gegen NGOs | |
und den US-Milliardär Georges Soros. Überall gibt es Attacken gegen die EU. | |
Ich glaube aber nicht, dass die rumänische Bevölkerung aufhört, die EU zu | |
lieben. | |
Es gab im rumänischen Fernsehen auch Attacken auf Ihre Organisation Funky | |
Citizens und Sie persönlich, wie die Verunglimpfung als ausländische | |
Agenten. Wie gehen Sie damit um? | |
Zuerst haben wir darauf in den sozialen Netzwerken reagiert. Das war ein | |
Fehler. Es hat die Aufmerksamkeit für die abstrusen Anschuldigungen weiter | |
erhöht. Die Konsequenz war aber nett: Unsere Spenden sind angestiegen. | |
Viele haben gesagt: Wenn sie euch attackieren, dann macht ihr was Gutes. | |
Dennoch sind wir eine kleine Organisation mit wenig Ressourcen. Die können | |
wir entweder nutzen, um gegen solche Attacken vorzugehen. Oder um unsere | |
eigentliche Arbeit zu machen. | |
14 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Lina Verschwele | |
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