# taz.de -- Gesellschaft für bedrohte Völker: Völkerfreunde und Polarisierer | |
> Die Gesellschaft für bedrohte Völker feiert ihren 50. Geburtstag. | |
> Treibende Kraft ist von Anfang an Tilman Zülch. Unumstritten war er aber | |
> nie. | |
Bild: War lange das Gesicht der Gesellschaft für bedrohte Völker: Tilman Zül… | |
Göttingen taz | Am Anfang war Biafra. In der ostnigerianischen Provinz, die | |
sich für unabhängig erklärt hat, tobt vor 50 Jahren ein blutiger | |
Bürgerkrieg. Hunderttausende Menschen sterben durch Bomben, an Hunger und | |
Krankheiten. Die Weltöffentlichkeit wird durch Fernsehbilder von Kindern | |
mit aufgeblähten Bäuchen aufgeschreckt. Weil Großbritannien das | |
nigerianische Militär mit Waffen beliefert, besetzen im Sommer 1968 | |
Mitglieder des Komitees Aktion Biafra Hilfe das britische Generalkonsulat | |
in Hamburg. | |
Mit dabei ist Tilman Zülch, Student der Volkswirtschaft und Politik. Er | |
stammt aus Deutsch-Liebau (Libina) im Sudetenland, hat sich als | |
Jugendlicher in der Bündischen Jugend und in Hamburg im | |
Sozialdemokratischen Hochschulbund engagiert. Die Besetzung des Konsulats | |
habe den britischen Botschafter mehr geschockt „als das Sterben im | |
Hungerkessel von Biafra“, erinnert sich der heute 79-Jährige an die | |
damalige Aktion. Zülch baut das Biafra-Komitee in der Folgezeit zur | |
Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) aus: einer Organisation mit dem | |
Anspruch, weltweit Menschenrechte von ethnischen und religiösen | |
Minderheiten zu schützen und durchzusetzen. | |
Unterstützt von einer Handvoll ehrenamtlicher Helfer, bleibt Zülch zehn | |
Jahre lang der einzige Vollzeitaktivist. Zunächst mit wenig Geld prangert | |
die GfbV in Flugblättern Gräueltaten in Afrika und Asien an. „Von | |
strukturierter Arbeit“, so die langjährige Redakteurin der GfbV-Zeitschrift | |
pogrom, Yvonne Bangert, „konnte damals nicht die Rede sein.“ | |
Heute werden professionell Kampagnen organisiert. In der Göttinger | |
Geschäftsstelle sind rund zwei Dutzend Frauen und Männer beschäftigt. Rund | |
6.000 Förderer und Mitglieder unterstützen die Gesellschaft durch Beiträge | |
und Spenden. 2016 betrugen die Gesamteinnahmen knapp 1,3 Millionen Euro. Es | |
gibt Regionalgruppen in 15 deutschen Städten und Sektionen in Österreich, | |
der Schweiz, in Italien, Bosnien-Herzegowina und dem irakischen | |
Kurdengebiet. | |
## Die Menschenrechtler schaffen es in die Schlagzeilen | |
Mit spektakulären Aktionen schaffen es die Menschenrechtler immer wieder in | |
die Schlagzeilen. 1988 decken sie die Mitverantwortung deutscher Firmen | |
beim Giftgaseinsatz gegen Kurden im Irak auf. 1992, im sogenannten | |
Kolumbus-Jahr, überqueren zwei Aktivisten den Atlantik mit einem | |
Bambusfloß, um den südamerikanischen Indianern eine Versöhnungsbotschaft zu | |
überbringen. | |
Und 1995, vor der Hinrichtung des nigerianischen Bürgerrechtlers Ken | |
Saro-Wiwa im Ölfördergebiet, demonstriert die GfbV vor der Shell-Zentrale | |
in Hamburg mit Galgen-Attrappen. Unter dem Motto „Auf keinem Auge blind“ | |
setzt sich die Menschenrechtsorganisation für Völkermordopfer im Sudan und | |
muslimische Uiguren in China, für bedrängte Christen in Pakistan und für | |
Kurden in der Türkei und im Irak ein. Und für Volksgruppen, „von denen | |
keiner spricht“, so der Titel eines der von Zülch herausgegebenen Bücher. | |
Dabei muss die GfbV bisweilen auch Kritik einstecken. Als sie Anfang der | |
1980er Jahre Miskito-Indianer aus Nicaragua nach Europa einlädt, die | |
gemeinsam mit US-finanzierten „Contras“ die sandinistische Befreiungsfront | |
FSLN bekämpfen, protestieren Dritte-Welt-Gruppen. Im Jugoslawienkrieg | |
werfen Friedensinitiativen der GfbV ein einseitiges und polarisierendes | |
Engagement vor – frühzeitig hat sie die Serben als Alleinschuldige des | |
Konflikts gebrandmarkt und Nato-Angriffe zugunsten der bosnischen Muslime | |
und Kosovo-Albaner gefordert. Pazifistische Positionen, so Zülch damals, | |
kämen der Beschwichtigungspolitik gegenüber Hitler vor Beginn des Zweiten | |
Weltkrieges gleich. | |
Von 1985 bis 1989 wird Zülch mit einem DDR-Einreiseverbot belegt. Seine | |
Stasi-Akte betrachtet er als „Anerkennung“ seiner Arbeit. Dass er sich | |
schon früh für ein Zentrum gegen Vertreibungen engagiert, ruft linke | |
Demonstranten auf den Plan. Ihnen hält Zülch entgegen: „Ihr seid auf einem | |
Auge blind.“ | |
## Manchmal herrscht ein autoritäres Regiment | |
Zülch erhält für sein Engagement zahlreiche Preise, darunter den Göttinger | |
Friedenspreis, den Europäischen Bürgerrechtspreis der Sinti und Roma und | |
das Bundesverdienstkreuz. 1999 schreibt ihm der Holocaust-Überlebende und | |
Publizist Simon Wiesenthal: „Sie haben eine Organisation mit gegründet und | |
aufgebaut, die allen Menschen, die sich bedroht fühlen, eine Anlaufstelle | |
für Hilfe bedeutet.“ | |
Intern beklagen Mitarbeiter und ehrenamtliche Vorstandsmitglieder | |
gelegentlich ein autoritäres Regiment des Generalsekretärs. 2012 eskalierte | |
ein Streit um angeblich nicht belegte Zuweisungen und zu unrecht bezogene | |
Gehälter in Strafanzeigen und dem Ausschluss von zwei Vorständen des | |
Trägervereins. „Ein Drittel unserer Arbeitszeit verbringen wir gerade mit | |
einer Art internem Bürgerkrieg“, sagt Zülch damals. Über Monate | |
kommunizieren er und seine Widersacher nur über Anwälte miteinander. | |
Im Frühjahr 2017 gibt Zülch die Leitung ab. Nachfolger wird ein Vertrauter, | |
der langjährige Asien- und Afrika-Experte Ulrich Delius. Als Berater für | |
Kampagnen bleibt Zülch der Gesellschaft für bedrohte Völker aber weiterhin | |
verbunden. Ihr 50-jähriges Bestehen feiert die Organisation am 6. Oktober | |
bei der Mitgliederversammlung. | |
15 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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